Vor 60 Jahren starb Josef Stalin – Den Diadochenkämpfen folgte die Entstalinisierung

Wolf Oschlies, Preußische Allgemeine, 05.03.13

Vor 60 Jahren, am Abend des 5. März 1953, starb Josef Stalin, der schlimmste Gewaltherrscher der Menschheitsgeschichte, dessen Regime laut Stalin-Biograf Boris Souvarien über 100 Millionen Opfer forderte. Seinen Tod bestätigte ein Bulletin, das Gesundheitsminister Andrej Tretjakow und neun Ärzte signiert hatten.

Die besten sowjetischen Ärzte, zumeist hochqualifizierte Juden, waren verhindert, sie saßen zu Hunderten als Mittäter einer an­geb­lichen Ärzteverschwörung in Haft und warteten auf ihre Hinrichtung, die nur Stalins Tod verhinderte. Details berichtete der Historiker Schores Medwedjew, einer von wenigen Autoren, die nicht hinter Stalins Tod Verschwörungen, Giftanschläge oder Komplotte vermuteten.

Ex-Dissident Medwedjew legte in haarfeiner Schadenfreude dar, wie eng Stalins Todeskampf in seiner Datsche Kunzewo von Eigenheiten seines Regimes bedingt war. Wegen seiner Geheimniskrämerei fehlten Krankenakten, die erst aus dem Kreml geholt wurden, als alles zu spät war. Weil der Kaukasier außer trockenem Weißwein keine „Arznei“ gelten ließ, gab es keinerlei Medikamente im Haus. Armee und Geheimdienst waren allein auf den „woschdj“ (Führer) ausgerichtet, und deren Bosse nahmen von niemandem sonst Befehle entgegen. Getrennte Informationssysteme für Armee, Grenztruppen, Transport und Miliz verhinderten die Benachrichtigung aller Verantwortlichen. Stalin hinterließ keine Nachfolgeregelung, weswegen in der Sowjetunion und im ganzen Sowjetblock augenblicklich Chaos ausbrach. Weil auch die Wohnungen höchster Funktionäre abgehört wurden, regelten diese Stalins Nachfolge hinter der Tür seines Sterbezimmers. Mit aller Berechtigung höhnte Medwedjew, dass die später so gerühmte „kollektive Führung“ entstand, während Stalin im Nebenraum in letzten Atemzügen keuchte.

Gerüchte, dass der „chosjain“ (Hausherr) Stalin krank sei, kursierten in Moskau schon im Dezember 1952. Am 28. Februar hatte er im Bolschoi-Theater „Schwanensee“ gesehen, sich danach mit den Politbüroangehörigen Lawrenti Beria, Georgi Malenkow, Nikolai Bulganin und Nikita Chruschtschow zu einer ausgedehnten „wypiwka“ (Sauferei) niedergelassen. Am 1. März verließ er sein Zimmer nicht, er war bereits von einer schweren Gehirnblutung zu Boden gestreckt. Er war ohne Bewusstsein, sein Blutdruck lag bei 220 zu 110, eine Rettung gab es nicht mehr. Sie wurde auch gar nicht versucht, denn niemand traute sich in sein Zimmer. Der wachhabende Offizier habe ihn durchs Schlüsselloch am Schreibtisch gesehen, wurde später verbreitet, um zu vertuschen, dass Stalin mindestens 15 Stunden hilflos dagelegen hatte.

Am Morgen des 2. März trafen Ärzte ein, „alle mit russischen Namen“ – also keine Juden, wie Medwedjew später berichtete –, die aber nicht ans Krankenbett gelassen wurden. Dort drängelten sich Mitglieder des Politbüros, die alle Therapievorschläge der Ärzte prüften, genehmigten und letztlich verhinderten. Stalin war abserviert, seine Satrapen hielten bis in die Nacht im Dienstzimmer seiner Datschen-Leibwache oder in Stalins Kreml-Büro Sitzungen ab, bei der Ämter und Posten verteilt wurden. Der bewusstlose Stalin wurde nicht mehr bedacht, auch keiner der neuen Funktionäre, die er beim 19. Parteitag im Oktober 1952 durchgedrückt hatte. Erst nach dieser ersten poststalinistischen „Säuberung“ durfte am frühen Morgen des 4. März das Radio Stalins schwere Erkrankung melden.

Ein makabrer „Wettlauf“ begann am 5. März um 20 Uhr: In Kunzewo verschlechterte sich Stalins Zustand laufend, im Kreml begann eine geschlossene Sitzung von 300 Spitzenfunktionären aus Partei und Staat, darunter kein Stalin-Günstling. Gesundheitsminister Tretjakow überbrachte die vielfach ersehnte Nachricht: Stalins alsbaldiger Tod sei „unzweifelhaft“. Dann wurde binnen 40 Minuten eine ellenlange Personalliste per Zuruf („in Ordnung, angenommen“) durchgewinkt. Am Ende war das Machtzentrum von der Partei auf die Regierung verschoben, sichtbar auch an der kurz danach folgenden Amnestie, die 1,2 Millionen Häftlinge aus Stalins Gulag befreite. Stalin war längst tot vor seinem offiziellen Ableben, das die Ärzte um 21.50 Uhr konstatierten.

Am 6. März folgte um 12 Uhr die Obduktion von Stalins Leichnam, der um 16 Uhr im Säulensaal des Gewerkschaftshauses aufgebahrt wurde. Davor bildeten sich endlose Schlange, und umgehend kam es auf dem nahen Trubnaja-Platz zu einer Massenpanik, bei der über 1000 Menschen totgetrampelt wurden. Am 9. März folgte Stalins Begräbnis, von Chruschtschow organisiert und eilig abgewickelt, sehr zur Verblüffung der ausländischen Gäste, unter ihnen Walter Ulbricht und Otto Grotewohl als Repräsentanten der DDR.

Stalin wurde einbalsamiert und im Lenin-Mausoleum beigesetzt, von dort aber am 1. November 1961 an die Kreml-Mauer „umgebettet“. Dieser Hinauswurf markierte auch das Ende der Diadochenkämpfe, in denen als erster der gefürchtete Chef der Geheimpolizei Berija unterlag. Am 26. Juni 1953 wurde er als „Feind“ erschossen. Andere wie Malenkow, Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow und Bulganin kamen mit Degradierungen davon. 1955 stand Chruschtschow als Sieger fest.

Chruschtschow hatte es nicht leicht mit Stalins Erbe. In Mitteldeutschenland (1953), Polen (1956) und Ungarn (1956) kam es zu Volksaufständen. Im Mai 1955 erfolgte sein Gang nach Canossa zu Stalins Erzfeind Josip Broz Tito, woraus die „friedliche Koexistenz“ resultierte. Davon profitierten im September 1955 die Deutschen, als Konrad Adenauer in Mos­kau die Heimkehr deutscher Kriegsgefangener erreichte. Auf dem 20. Parteitag der KPdSU vollzog Chruschtschow im Februar 1956 eine radikale Abrechnung mit Stalins Terrorregime – in einer „Geheimrede“, die umgehend weltbekannt wurde.

Im November 1961 forderte der Dichter Jewgenij Jewtuschwenko von der Sowjetregierung, die Wachen vor Stalins Grab zu verdoppeln und zu verdreifachen, weil der Insasse nach wie vor gefährlich sei. Das klang gut, war aber Unsinn – Stalin ist vor 60 Jahren gestorben, endgültig. Daran können auch Moskauer Stalin-Nostalgiker nichts ändern, die immer noch Brutalität mit staatsmännischer Größe verwechseln.

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