Wolf Richter, Testosteronepit.com, 18.03.2014

Die französische Wirtschaft ist in ein verdrießliches Muster aus Stellenstreichungen und Unternehmensschließungen abgetaucht. 2012 lag das Wirtschaftswachstum Frankreichs bei exakt 0%, 2013 waren es kaum messbare 0,3%. Die Staatsausgaben – die 56% der Wirtschaft ausmachen – sind seit dem zweiten Quartal 2012 um 2,1% gestiegen, aber der Privatsektor, meine Güte: Das BIP des Privatsektors ist während dieser Zeit um 0,2% zurückgegangen und liegt somit immer noch 3,2% unter dem Hoch vor dem Ausbruch der Finanzkrise.

Und im Gegensatz zu Frankreichs Nachbarn wächst die französische Bevölkerung – 2013 um 0,42%. Das heißt, dass die stagnierende Wirtschaft, so mies sie auch immer sein mag, auf Pro-Kopf-Basis in den negativen Bereich abgerutscht ist. Und genau das ist es, was die Franzosen derzeit erleben.

Aber hey, Frankreichs Finanzmärkte sind in die Höhe geschossen!

Nachdem der französische Leitindex CAC 40 im Mai 2009 mit 2.519 Punkten sein Finanzkrisen-Tief ausbildete, begann er damit, in die Höhe zu schießen, obwohl es 2011 aufgrund der Schuldenkrise in der Eurozone noch zu einigen wilden Schwankungen kam. 2012 machte sich dann jedoch eine gewisse Krisenmüdigkeit breit und die Investoren fingen damit an, die französische Wirtschaft, die wackelnden Megabanken, den Fast-Zusammenbruch und die Rettung der Autobranche, die Bankrotte, die steigende Arbeitslosigkeit, die Quartale mit „negativem Wachstum“ und die Steuerpolitik der neuen Regierung einfach zu ignorieren. Die Anleger schlossen ihre Augen, hielten sich die Nase zu und stürmten in Aktien, was den CAC 40 auf 4.313 Punkte trieb, das ist die höchste Schlussnotierung seit August 2008.

Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Probleme Frankreichs möchte man eigentlich meinen, dass die Staatsschulden irgendwelche Zeichen der Anspannung aufweisen. Pah! Diese miesen 10-jährigen Staatsanleihen? Die 10-jährigen französischen Staatsanleihen rentieren aktuell mit 2,13%, während die Rendite für 10-jährige US-Staatsanleihen bei 2,69% liegt. Die Zinsdifferenz zwischen französischen und deutschen 10-jährigen Staatsanleihen hat sich nach einem hässlichen Anstieg während der Schuldenkrise ebenfalls wieder im Bereich von 50 bis 60 Basispunkten stabilisiert.

Die französischen Schulden sind schlicht und ergreifend grundsolide, was es der französischen Regierung erlaubt, Kredite auf rekordverdächtig niedrigen Niveaus aufzunehmen. Und die Ausländer lieben es: 63,2% aller handelbaren französischen Staatsschulden werden von Ausländern gehalten.

Die französischen Finanzmärkte „reagieren nicht auf irgendwelche Erklärungen oder Schocks“, so Natixis, die Vermögensverwaltung und Investmentbanking-Tochtergesellschaft von Groupe BPCE. Groupe BPCE ist eine der größten französischen Megabanken, die über EUR 1 Billion an Finanzvermögenswerten hält und 20% des französischen Privatbankenmarkts stellt.

Natixis hat eine Erklärung dafür, warum sich Frankreichs Finanzmärkte ungeachtet der wirtschaftlichen Lage so gut entwickelt haben und warum Frankreich das Schicksal von Griechenland oder Zypern – die mit einer Marktrebellion konfrontiert waren, als sie versuchten, Bankenrettungen und sich aufblähenden Haushaltsdefizite zu finanzieren – erspart geblieben ist.

Ja okay, Natixis erwähnt nicht die weltweiten Gelddruckmaßnahmen der Zentralbanken, mit denen die Vermögenswerte aufgebläht wurden, auch die in Frankreich, stattdessen hat das Unternehmen herausgefunden, dass die ausländischen Investoren auf französische Vermögenswerte stehen, „da es das Risiko einer drastischen Krise in Frankreich nicht gibt.“

Oh nein, bloß nicht die wankenden französischen Megabanken!

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Natixis selbst Teil einer französischen Megabank ist und die Stabilität der französischen Megabanken – deren Rettung (von den bisherigen Rettungen einmal abgesehen) die Fähigkeiten der französischen Regierung bei Weitem übersteigen würde – nicht in Frage stellen wird. Daher findet sich in der Analyse von Natixis auch nichts als gähnende Leere, was einen möglichen Auslöser einer „drastischen Krise“ anbelangt.

„Das Risiko in Frankreich ist anders: Es ist das Risiko schwachen Wachstums über einen längeren Zeitraum hinweg. Im Grunde deutet alles auf folgende Schlussfolgerung: Besteuerung und schwache Kapitalerträge; armselige Kostenwettbewerbsfähigkeit, Probleme, die mit den Fähigkeiten der Arbeitnehmer in Zusammenhang stehen; ein geringe Komplexität und Ausdifferenziertheit des Betriebskapitals und der Branchenstruktur der Wirtschaft. Der Pessimismus im Hinblick auf die Lage Frankreichs wird sich schrittweise und langsam breitmachen.“

Alles läuft in die falsche Richtung, aber langsam: Die französische Staatsverschuldung in Höhe von 93% des BIP schießt nicht in die Höhe, sondern steigt mit einer Rate von rund 2% pro Jahr. Die Geschäfte mit dem Ausland brechen nicht ein, und das Außenhandelsdefizit ist bei Waren auf 4% des BIP gestiegen, aber bei den Dienstleistungen gibt es einen Außenhandelsüberschuss, sodass das weiter gefasste Außenhandelsdefizit bei unter 2% des BIP liegt. Die Arbeitslosigkeit von aktuell rund 11% steigt zwar langsam weiter an, liegt jedoch weit unter den Niveaus von Griechenland und Spanien, die mit Arbeitslosenraten von über 25% zu kämpfen haben.

„Frankreich ist keine sehr zyklische Wirtschaft, und ein drastischer Rückgang bei der Wirtschaftsaktivität ist sehr unwahrscheinlich“, heißt es in dem Bericht von Natixis. Dafür gibt es zwei Hauptgründe: Die französischen Staatsausgaben machen 56% des französischen BIP aus – damit liegt der Anteil des Staatssektors 20 Prozentpunkte höher als in den USA –, und dann hat Frankreich noch einen starren „nicht wettbewerbsfähigen“ Arbeitsmarkt, der Entlassungen schwierig macht, die Schaffung neuer Arbeitsplätze hemmt und „verhindert, dass die Realeinkommen bei Rezessionen zurückgehen, so wie es in anderen Ländern der Fall ist.“

Also: Wachstum hin oder her, der Staat und die Arbeiter geben weiterhin Geld aus. Frankreichs Problem ist „die Aussicht auf ein sehr langsames Wachstum über einen längeren Zeitraum hinweg, was auf hartnäckig anhaltende strukturelle Gründe zurückgeht.“

Und in ihrer optimistischen Art rechnet die französische Regierung mit einem langfristigen Wirtschaftswachstum von 1,6% pro Jahr. Das ist nun nicht gerade eine boomende Wirtschaft. Doch angesichts der strukturellen Realitäten Frankreichs, wird selbst das nicht zu bewerkstelligen sein. Natixis kürzt die Prognose auf „bestenfalls 1%.“ Und angesichts des Bevölkerungswachstums von 0,4%, würde das Pro-Kopf-BIP pro Jahr „bestenfalls“ um 0,6% zulegen.

Strukturelle Realitäten, die zu Stagnation führen

Die Kapitalerträge liegen in Frankreich gerade einmal bei 6% – 2010 waren es noch 10% und in den USA liegen sie fast bei 16%. „Das verhindert Investments in Frankreich, speziell bei der Industrie, und das geht vornehmlich auf die hohe Steuerlast bei den Unternehmen zurück.“

Die Kostenwettbewerbsfähigkeit ist wegen „der geringen Ausdifferenziertheit der Produktion“ und der „sehr hohen“ Stückkosten erbärmlich. Das führt zu einem Einbruch der Gewinnmargen im Fertigungsbereich, was die Industrie nun davon abhält, zu investieren und „anspruchsvoller und besser zu werden.“ Die Ressourcen werden also von der Industrie in andere Wirtschaftsbereiche umgelenkt, wo die Produktivität niedrig ist und stagniert (Einzelhandel, Bau usw.).

Die Unternehmen haben mit einer niedrigen Produktivität zu kämpfen, da sie bei den Investments in neue Technologien den Anschluss verloren haben. 1998 investierte Frankreich 1,8% seines BIP in neue Technologien, in den USA lag dieser Wert bei 2%. Aber dann ging die Kluft immer weiter auseinander: 2013 investierte Frankreich immer noch 1,8% seines BIP in neue Technologien, während es in den USA 3,3% gewesen sind. So haben französische Unternehmen 2013 beispielsweise 2.900 Industrieroboter gekauft, während es in Deutschland 16.500, in den USA 24.300 und in Japan 27.200 gewesen sind.

Dieses „nicht ausdifferenzierte“ Kapital und die Unfähigkeit, sich zu verbessern und anspruchsvoller zu werden, führen zu einem „Teufelskreis fallender Preise und Profitabilität“ und „einem Mangel an Verbesserungen bei der Produktkomplexität, speziell im Industriesektor.“

Aber im Gegensatz zu Zypern wird Frankreich „nicht von einer drastischen Krise bedroht …“

Und genau das erklärt auch die glanzvolle Performance der Finanzmärkte und „die aktuell nicht vorhandenen Sorgen unter den Anlegern.“ Stattdessen ist die Gefahr in Frankreich „die Unfähigkeit, sich aus der Situation hartnäckig schwachen Wachstums zu befreien.“

Was Frankreich den Garaus machen könnte. Das Sozialsystem Frankreichs (Gesundheitssystem, Rentenkasse und Arbeitslosenzuwendungen) ist den überwiegenden Teil der letzten zehn Jahre bedeutend im Minus gewesen. 2013 lag Frankreich hier mit EUR 15 Milliarden im Minus. Aber Natixis kommt zu einem aufmunternden Schluss:

„Da die zur Korrektur des Haushaltsdefizits notwendige Absenkung der Staatsausgaben nur sehr schwierig zu bewerkstelligen ist, werden sich die Staatsfinanzen im Großen und Ganzen weiter verschlechtern. Die Sorgen der Anleger werden jedoch nur langsam und im Laufe der Zeit ausgeprägter werden.“

Und was ist mit den überschuldeten Megabanken, die bis zur Halskrause mit vergammelnden Vermögenswerten vollgestopft sind? Ach was, die lassen wir hier einfach mal außen vor.

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