Sechs Gründe, warum das neue unbegrenzte Anleiheaufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank bedeutend mehr ist, als uns die Massenmedien glauben machen wollen

Fibs & Waves, 21.09.2012

Laut Mario Draghi dient das neue EZB-Anleiheaufkaufprogramm „OMT“ (Outright Monetary Transactions) dazu, unter bestimmten Voraussetzungen Anleihen von Euroländern zu kaufen, um das Vertrauen in die europäische Einheitswährung zu stärken und den gestörten geldpolitischen Übertragungsmechanismus zu reparieren.

Ist das OMT-Programm erst einmal implementiert, gibt es keinerlei Beschränkungen mehr, und die EZB kann es im Rahmen ihres Mandats der Preisstabilität vorübergehend oder permanent aussetzen, sollten die gesetzten Ziele erreicht worden sein oder die Länder, dessen Staatsanleihen aufgekauft werden, sich nicht an die vereinbarten Bedingungen halten.

Ich behaupte aber, dass das OMT-Programm weit mehr ist, als das, was öffentlich verlautbart wird. Im Folgenden finden Sie einige alternative Interpretationen, und Sie können gerne versuchen, die dahinter stehende Logik zu widerlegen:

1. Das OMT-Programm ist eine Art Eurobond

Angesichts der Tatsache, dass die Vermögensbestände der EZB von allen nationalen Zentralbanken (NCBs), die dem Europäische System der Zentralbanken (ESCB) angehören, gemeinschaftlich gehalten und garantiert werden und alle aus diesen Anleihekäufen resultierenden Verluste unter den NCBs gemäß des Verteilungsschlüssels aufgeteilt werden, handelt es sich beim OMT-Programm im Grunde um eine Art von Eurobond, die dem bereits verworfenen ursprünglichen Eurobond-Plan sehr stark ähnelt.

Anstatt dass die Anleihen nach dem Verschuldungsniveau der Euroländer differenziert werden – also nach der Fragestellung, ob die Verschuldung eines Landes über oder unter 60% des Schulden/BSP-Verhältnisses liegt –, ginge es beim OMT-Programm nur noch darum, welches Land die Anleihen ausgibt.

Ein Beispiel: Würde Spanien beim OMT-Programm mitmachen, würden die spanischen Staatsanleihen auf einmal über eine EZB-Deckung verfügen, während dies bei italienischen Staatsanleihen nicht der Fall ist. Hier kommt also wieder das „rot gegen blau“-Konzept der alten Eurobond-Vorschläge zum Tragen, das ja verworfen wurde, weil für blaue Anleihen (also alle Anleihen, die mit Eurobonds besichert werden) eine Marktpräferenz gegenüber den roten Anleihen geschaffen würde, da die roten Anleihen lediglich von den Länder selbst gedeckt würden.

Ist es so schwierig, sich vorzustellen, dass der Markt rasch eine Vorliebe für Anleihen der Länder entwickeln würde, die durch das OMT-Programm gestützt werden, während all die Länder, die nicht über eine derartige Kreditsicherheit verfügen, im Regen stehen?

2. Das OMT-Programm ist eine Banklizenz für den Europäischen Stabilitätsmechanismus

Hat der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) die Schulden der einzelnen Euroländer erst einmal auf dem Primärmarkt aufgekauft, kann die Europäische Zentralbank mit praktisch unbegrenzter Feuerkraft in den Sekundärmarkt einsteigen.

Es ist offenkundig, dass die Schlagkraft des ESM dadurch massiv ausgeweitet wird, ohne dass eine formelle Banklizenz oder ein Hebelmechanismus nötig wird. Und zur selben Zeit werden natürlich auch alle Schutzmechanismen der Länder umgangen – Schutzmechanismen, von denen die Länder glauben, dass sie ihre Verluste bei den Rettungspaketen begrenzen würden. Das hängt damit zusammen, dass die NCBs des Europäischen Systems der Zentralbanken gemeinschaftlich für die Anleihekäufe haften.

Ironischerweise verfügt der der ESM aber bereits über eine offizielle Banklizenz, was ein eindeutiger Verstoß der EZB gegen Artikel 123 (1) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (TFEU) ist. Das OMT-Programm wurde ganz offenkundig entworfen, um diese „technischen Unannehmlichkeiten“ zu umgehen.

3. Das OMT-Programm ist reiner Betrug

Während ich keinerlei Zweifel daran habe, dass unser geliebter italienischer Zentralbanker willens ist, die Staatsanleihen der einzelnen Euroländer aufzukaufen, glaube ich nicht eine Sekunde daran, dass er über die Eloquenz verfügt, derartige Käufe vorübergehend oder permanent auszusetzen, sollten sich die jeweiligen Länder nicht an die Vereinbarungen halten.

Ich bin mir sicher, dass die Märkte – und die Begünstigten der Nationalregierungen – dies ebenfalls bereits als leere Drohung erkannt haben. Sollte Draghi seine Drohung tatsächlich wahrmachen und die einmal eingeleiteten OMT-Anleiheaufkäufe bei einem Land wieder aussetzen, würde er damit seine behaupteten Ziele aufgeben, den geldpolitischen Übertragungsmechanismus zu reparieren und die Unumkehrbarkeit des Euros hochzuhalten.

Das gilt speziell für große Länder wie Spanien und Italien, wo eine Kettenreaktion zur vollständigen Vernichtung führen würde. Sind derart große Länder erst einmal auf dem OMT-Methadon-Programm, werden sie auch nicht mehr abgestraft werden, sollten sie sich nicht an die Vereinbarungen halten.

4. Das OMT-Programm ist Finanzpolitik per EZB-Dekret

All die Pläne zu den Eurobonds, der ESM-Banklizenz und den ESM-Hebelmechanismen sind in der Vergangenheit von einer ganzen Reihe politischer Führer vom Tisch gewischt worden. Hervorzuheben sind hier Angela Merkel, die finnischen Politiker, aber auch Nicolas Sarkozy.

Das OMT-Programm ist eine clevere Methode, um all den Hindernissen und Sorgen bei der Wiederherstellung des Vertrauens in die europäischen Staatsschuldenmärkte aus dem Weg zu gehen. Zur selben Zeit ist es eine Methode, wie man die Finanzbehörden der einzelnen Euroländer dazu bringen, bei weitem mehr Verlustgarantien zu übernehmen, als sie ihren Steuerzahlern normalerweise aufzulegen bereit wären.

Mit dem OMT-Programm wird das Konzept, dass eine supranationale Zentralbank nicht in der Lage sein dürfe, Maßnahmen einzuleiten, die den nationalen Finanzbehörden sukzessive die Hände binden, vollständig aufgegeben. Mit dem OMT-Programm wird einer Finanzpolitik durch nichtgewählte und nicht rechenschaftspflichtige Zentralbank-Bürokraten auf heimtückische Art und Weise der Weg bereitet.

5. Das OMT-Programm ist in Wirklichkeit eine Kreditfazilität

Schauen wir doch mal, was wir da haben: Wir haben ein Programm, das speziell dafür entworfen wurde, die Staatsschulden der Euroländer zu stützen. Wir haben eine unglaubwürdige Widerruflichkeit, zweifelhafte Regelungen zur Vollstreckbarkeit, und die Stützung der Euroländer ist zeitlich wie auch vom Umfang her unbegrenzt, während der Kreditgeber angeblich keine besonderen Regressansprüche hat. Hier kommt noch hinzu, dass sich der Kreditgeber explizit bereit erklärt, die Staatsanleihen auch dann zu kaufen, wenn dies kein anderer tut.

Ja, der Kreditgeber wird nicht auf dem Primärmarkt auftreten, aber wenn man sich den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union anschaut, dann stellt man fest, dass dies nicht die einzige Einschränkung ist.

Die am häufigsten zitierte Regelung ist zwar, dass es der EZB verboten ist, Staatsschulden auf dem Primärmarkt aufzukaufen, doch die Regelung, von der Draghi sich wünscht, dass wir sie einfach alle ignorieren, ist die, die es der EZB verbietet, den Euroländer Kreditfazilitäten bereitzustellen. Diese Regelung ist mit Sicherheit noch weitreichender als die Einschränkungen bezüglich des Primärmarkts.

6. Das OMT-Programm ist illegal

Auch wenn ich fortwährend darauf herumreite, werde ich es hier aufgrund der Wirkung nochmals herausstreichen: Das OMT-Programm ist illegal, da es einen Verstoß gegen Artikel 123 (1) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Unioin darstellt:

„Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank … für Zentralregierungen … sind ebenso verboten wie der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.“

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