Die deutsche Wirtschaft wankt zwischen Kontraktion und Stagnation – unterdessen schießen die Aktienkurse in die Höhe
Wolf Richter, Testosteronepit.com, 15.01.2014
Am Mittwoch kam ein neuer Puzzlestein dazu. Die deutsche Statistikbehörde Destatis veröffentlichte ihren vorläufigen Bericht zum Wirtschaftswachstum in 2013: Armselige 0,4% gegenüber dem Vorjahr. Die Wirtschaft sei „stabil“, heißt es in dem Bericht. Für das vierte Quartal 2013 wurde ein annualisiertes Wachstum von 0,25% ausgewiesen.
All die schlauen Leute, die unerklärlicherweise immer noch die Fortsetzung eines Wirtschaftsbooms vorhersagen, der sich bereits 2011 in Luft aufgelöst hat, waren wieder einmal enttäuscht. Aber sie können nicht anders, als bei der deutschen Wirtschaft enthusiastisch zu sein.
„Das jährliche Wachstum ist schwächer, als ich dachte, aber das ist kein Hinweis auf 2014“, so Citibank-Ökonom Ebrahim Rahbari. „Wir rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaft 2014 um 2% und 2015 um 1,9% wächst.“ Wirtschaftsboom!
Destatis war unterdessen ein klein wenig zurückhaltender: „Offensichtlich wurde die deutsche Wirtschaft durch die anhaltende Rezession in einigen europäischen Ländern und eine gebremste weltwirtschaftliche Entwicklung belastet. Die starke Binnennachfrage konnte dies nur bedingt kompensieren.“, so der Präsident von Destatis Roderich Egeler.
Die Verbraucherausgaben stiegen um 0,9%, die Staatsausgaben um 1,1%. Das waren die guten Meldungen. Aber die Inlandsinvestitionen in Maschinen, Geräte und Fahrzeuge gingen um 2,2% zurück. Das Beschäftigungswachstum schwächte sich um 0,6% ab. Die Exporte konnten „angesichts eines weiterhin schwierigen außenwirtschaftlichen Umfelds“, wie Destatis sich ausdrückt, lediglich um 0,6% zulegen, während die Importe um 1,3% stiegen. Das sind nicht gerade die Vorboten eines Wirtschaftsbooms.
Deutschland wurde aufgrund seines schwachen Wirtschaftswachstums und der milden Rezessionen von 2002 bis 2005 als „kranker Mann Europas“ bezeichnet. Und das zu einer Zeit, wo Griechenland, Irland, Spanien, Portugal und andere Euroländer wilde Wachstumszahlen vorweisen konnten. Und dann kam Deutschlands eigene Blase, die 2008 und 2009 zusammenbrach. Dem folgte dann eine heftige Erholung. Doch seit 2012 liegt das deutsche Wirtschaftswachstum wieder auf dem Niveau, das dem Land die Bezeichnung „kranker Mann Europas“ bescherte.
Nur dieses Mal – und das sagt uns jede Menge über den Zustand Europas und der Eurozone – ist Deutschland zur Modellwirtschaft aufgestiegen, ein bewundernswertes Beispiel, dem die anderen Länder folgen sollen.
Doch bedauerlicherweise sieht das deutsche „Wachstumsmodell“ noch beunruhigender aus, wenn man sich die Wachstumszahlen auf Quartalsbasis anschaut.
Nach dem Export-Einbruch im vierten Quartal 2008 und ersten Quartal 2009, der die gesamte deutsche Wirtschaft mit nach unten zog, erholte sich das Wirtschaftswachstum 2010 dann wieder mit Lichtgeschwindigkeit. Aber ab dem zweiten Quartal 2011 wurde das Elend dann offenkundig. 2012 und 2013 entging die deutsche Wirtschaft der Bezeichnung „Rezession“ – zwei negative Quartale in Folge – nur um statistische Haaresbreite: Das zweite und vierte Quartal 2012 waren negativ, während das dritte Quartal hingegen leicht positiv ausfiel. Und im ersten Quartal 2013 gab es dann ein Nullwachstum. Während dieser vier Quartale sank das deutsche Bruttoinlandsprodukt in Wirklichkeit sogar um 0,34%.
Deutschlands allwissender Aktienmarkt hat davon nie etwas mitbekommen. Im Gegensatz zur deutschen Wirtschaft erlebten die deutschen Aktien tatsächlich eine Boomphase. Und während bezüglich der Aktienmarktblase in den USA ja schon jede Menge gesagt worden ist, wird dieses Rätsel von der Aktienmarktentwicklung in Deutschland noch in den Schatten gestellt.
Der DAX begann das Jahr 2012 mit 5.898 Punkten. Im Mai 2013 kletterte er auf 8.122 Punkte und stellte damit den Blasen-Rekord vom Juli 2007 ein. Und am Mittwoch stieg er nach der Veröffentlichung der „enttäuschenden“ BIP-Zahlen um 2% auf 9.733 Punkte. Seit Anfang 2012 ist der DAX also um 65% gestiegen – eine wundersame Leistung, während die deutsche Wirtschaft zwischen Schrumpfung und Stagnation wankt.