„Jeder Dreijährige mit einem Taschenrechner“ ist in der Lage zu begreifen, dass die westlichen Industrieländer gegenwärtig auf eine gigantische Krise zusteuern, die in den nächsten paar Jahren explodieren wird

Ron Hera, Hera Research Newsletter, 29.03.2012
Interview mit Martin A. Armstrong

Im Folgenden finden Sie ein faszinierendes Interview mit Martin A. Armstrong, dem Gründer und einstigen Chef von Princeton Economics, Ltd. In den 80er Jahren mauserte sich Princeton Economics zur führenden Finanzunternehmensberatung der Welt mit Büros in Paris, London, Tokyo, Hongkong und Sydney. 1983 wurde Armstrong vom Wall Street Journal als der bestbezahlteste Finanzberater der Welt bezeichnet.

Als führender Währungs-Analyst und regelmäßiger Verfasser von Berichten sind seine Auffassungen nach wie vor heiß begehrt. Armstrong wurde von der Brady-Kommission des US-Präsidenten im Rahmen der Untersuchung des Aktienmarkt-Crashs von 1987 um Mithilfe gebeten. 1997 wurde Armstrong von der chinesischen Zentralbank gebeten, sie während der asiatischen Währungskrise zu beraten.

Basierend auf Untersuchungen zur historischen Goldpreisentwicklung und von Finanzpaniken entwickelte Armstrong eine Zyklen-Theorie zur Preisentwicklung bei Rohstoffen, die ihn letztlich zum Economic Confidence Model (ECM) führte, ein Modell, das genutzt wird, um langfristige Marktentwicklungen zu antizipieren.

Mithilfe des ECM sagte Armstrong u. a. den Höchststand des Nikkei im Jahre 1989 genau voraus. Dasselbe gilt für den Höchststand der Finanzmärkte am 27.02.2007. Das New Yorker Magazine bezeichnete das ECM als „den geheimen Zyklus“ und Justin Fox schrieb im November 2009 im Time Magazine, dass Armstrongs Modell „verschiedene gruselig-genaue Voraussagen machte, und zwar mit einer Formel, die auf der mathematischen Konstante Pi beruht.“

Hera Research Newsletter (HRN): Wenn wir uns die Swap-Geschäfte der US-Notenbank Federal Reserve und das langfristige Refinanzierungsprogramm der Europäischen Zentralbank (LTRO) so anschauen, wie ist dann Ihr Ausblick für den Euro?

Martin Armstrong: Die Struktur des Euros ist von Grund auf fehlerhaft. Um es mal auf Amerika zu übertragen: Das wäre so, als würden alle 50 einzelnen US-Bundesstaaten in der Lage sein, Schulden der Bundesregierung auszugeben. Das wäre das totale Chaos. Was sie gemacht haben, um politisch korrekt zu handeln, war, zu sagen, dass, da jedes Mitglied der Eurozone seine eigenen Staatsschulden ausgeben konnte, diese Anleihen nun allesamt von den Großbanken als Reserven gehalten und gerecht unter ihnen aufgeteilt werden müssten. Das ist kompletter Wahnsinn.

Während Länder wie Griechenland, Spanien und Italien unter ihren Schulden zusammenbrechen, fällt diese Entwicklung natürlich auf das Bankensystem zurück. In den Vereinigten Staaten hatten wir ja [1998] den Zusammenbruch von Long Term Capital Management (LTCM) und wir sahen, wie die Regierung auf einmal einen Hedge Fonds rettete, damit nicht der Eindruck entsteht, man würde die New Yorker Banken retten. Und mit genau denselben Problemen haben sie gerade in Europa zu kämpfen. Die EZB-Rettung der europäischen Banken ist in Wirklichkeit nichts weiter als die Stützung europäischer Staatsanleihen durch die Hintertür.

HRN: Könnte man sagen, dass es sich bei der Rettung Griechenlands in Wirklichkeit um eine Bankenrettung gehandelt hat, während das LTRO-Programm eine Rettung der Staatsschulden war?

Armstrong: Sicher. „Politik“ und „Wirtschaft“ sind zwei Dinge, die man nie hätte mit einander vermischen dürfen. Politiker machen das ein ums andere Mal. Während der Saving-and-Loan-Krise (S&L-Krise) in den USA heizten die Politiker den heimischen Immobilienmarkt auf, indem es 1980 erlaubt wurde, mit Steuerzahlergeldern geschützte und versicherte Sparkassen ins Leben zu rufen. Während der S&L-Krise konzentrierten sich diese Sparkassen mit ihren Portfolien auf Immobilien. Als nächstes brauchten die Politiker Geld, weshalb sie die Abschreibungsmöglichkeiten im Immobiliensektor reduzierten. Und dann glaubten sie allen Ernstes, das würde keinen Einfluss auf die Marktentwicklung haben?

Im Grunde hatten sie die Kredite für den Immobilienmarkt ausgedehnt und für die Sparkassen Anreize geschaffen, in den Immobilienmarkt zu geben. Dann verabschiedeten sie den Tax Reform Act von 1986. Als dann rund ein Viertel aller Sparkassen in die Pleite abrutschte und sie eine Bankenrettung durchgeführt hatten, wollten sie auf einmal alle möglichen Leute hinter Gitter bringen – und das obwohl sie es selbst gewesen sind, die die Krise überhaupt erst ins Leben gerufen hatten. Dasselbe Spiel lässt sich gerade in Europa beobachten.

HRN: Die europäischen Politiker haben die europäische Staatsschuldenkrise also selber geschaffen, indem sie allen europäischen Staatsschulden Reservestatus zubilligten.

Armstrong: Ja. Indem man allen europäischen Staatsschulden Reservestatus zubilligte und von den Banken verlangte, Reserven zu halten, sorgten sie dafür, dass die europäischen Banken Schulden von Ländern wie Griechenland und Spanien in ihre Bücher aufnahmen.

Beispielsweise war Griechenland dadurch in der Lage, Kredite zu bedeutend geringeren Zinssätzen zu erhalten, als dies normalerweise der Fall gewesen wäre. Italien und Spanien müssen alleine in diesem Jahr EUR 600 Milliarden an Schulden überrollen. All diese Anleihen sind zu extrem niedrigen Zinsen ausgegeben wurden. Jetzt müssen sie übergerollt werden, während die neuen Zinsen bei rund 6% oder 7% liegen. Die Staatshaushalte werden aufgrund dessen dramatisch anwachsen, und das wird eine echte Wirtschaftskrise auslösen.

HRN: Wird der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) bei der Lösung des Problems helfen?

Armstrong: Nein, und das hatte ich den Europäern bereits 1997 oder 1998 erklärt. Ich sagte, dass sie ihren Euro auf diese Art nicht ins Leben rufen können und sie eine konsolidierte einzelne Staatsschuld bräuchten. Sie waren jedoch der Auffassung, dass dies als Rettung all der Euroländer, die zu jener Zeit über höhere Schuldenstände verfügten, aufgefasst würde. Der EFSM, der Teil des EFSF ist, geht zwar in diese Richtung, ist aber im Grunde eher ein Rettungsmechanismus und keine Konsolidierung alter Staatsschulden. Es ist eine Halbheit. Sie müssten die bestehenden Schulden in Bundesanleihen umschreiben und all die neuen Schulden, die von den EU-Mitgliedsländern ausgegeben werden, hätten dann lediglich den Status von Schulden der einzelnen US-Bundesstaaten, könnten also nicht mehr als Reserven gehalten werden.

HRN: Kann der Euro überleben?

Armstrong: Ich glaube nicht, dass er den Geist aufgeben wird. Sie werden alles daran setzen, ihn am Leben zu halten. Politiker wollen nie zugeben, dass sie einen Fehler gemacht haben. Wenn sie herausinflationieren müssen, dann werden sie inflationieren. Deutschland hat kapituliert.

HRN: Wird es dadurch zur nächsten Finanzkrise kommen?

Armstrong: Die nächste Krise, die wir sehen werden, wird ab 2015 losgehen. Jeder Dreijährige mit einem Taschenrechner kann die langfristigen Trends sehen.

HRN: Meinen Sie die europäische Staatsschuldenkrise?

Armstrong: Es ist ja nicht nur die Eurozone. Das ganze Konzept, dass man sich fortwährend jahrein jahraus Geld leiht, und es nie zurückzahlt, und die Sache dann auch noch weniger inflationär sein soll, als wenn man das Geld einfach drucken würde, ist völlig irre. Hätten wir in den USA das Geld, das benötigt wurde, einfach nur gedruckt, läge unser Schuldenstand aktuell gerade einmal bei 40% des jetzigen Niveaus. Wir schaffen also Währung und zahlen gleichzeitig noch Zinsen dafür.

HRN: Hat Japan nach Ihrem Dafürhalten mit denselben Problemen zu kämpfen?

Armstrong: Japans Verschuldung liegt knapp unter 300% des BSP. Der einzige Grund, warum der Yen immer noch so stark ist, ist, weil das Geld wieder nach Japan zurückgeflossen ist. Ich bin der Auffassung, dass wir uns in Japan gerade einer Bodenbildung nähern. Dem wird dann die Inflation folgen, und das dürfte wohl der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

HRN: Wird dadurch nicht auch das gesamte Konzept des Zentralbankwesens in Frage gestellt?

Armstrong: Die Zentralbanken können einschreiten und dem System, sollte dies notwendig sein, Liquidität hinzufügen, während sie im Gegenzug langfristige Vermögenswerte in die Bilanz aufnehmen. Das war eigentlich die Grundidee der Federal Reserve.

HRN: Ist die Federal Reserve nicht der Hauptgrund, warum die US-Staatsverschuldung so hoch ist, im Vergleich zu dem Niveau, das wir heute hätten, wenn die US-Regierung sich ihr Geld einfach gedruckt und es in Umlauf gebracht hätte?

Armstrong: Als die Federal Reserve geschaffen wurde, gab es in Wirklichkeit keine Staatsschulden. Die US-Staatsverschuldung nahm erst mit dem Ersten Weltkrieg ihren Anfang und wuchs dann später im Zweiten Weltkrieg weiter an. Wollte die Federal Reserve zu jener Zeit die Wirtschaft ankurbeln, kaufte sie Unternehmensanleihen und nicht etwa Staatsanleihen – und damit wurde die Wirtschaft dann tatsachlich auch angekurbelt.

Die Politiker haben den ursprünglichen Zweck der Federal Reserve aber komplett ad absurdum geführt. Um die Schulden für all die Kriege zu finanzieren, wiesen die Politiker die Federal Reserve an, den Kauf von Unternehmensanleihen einzustellen und stattdessen US-Staatsschulden zu kaufen. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wiesen sie die Federal Reserve auch an, bei den US-Staatsschulden keine Abschreibungen vorzunehmen, sondern sie mit ihrem Nominalwert in den Büchern stehen zu lassen.

HRN: Die Politiker haben also die Aufgabe der Federal Reserve geändert?

Armstrong: Als die Federal Reserve 1913 geschaffen wurde, hat es sich bei ihr im Grunde um eine Art von Versicherungsmechanismus gehandelt, um die Banken unter Kontrolle zu halten. Und sie befand sich im Besitz der Politiker. Die Federal Reserve war nicht so böse, wie dies von vielen Leuten immer wieder erklärt wird. Sie war eher so etwas wie die die [staatliche] Securities Investor Protection Corporation oder der US-Einlagensicherungsfonds FDIC.

Der Erste Weltkrieg war es, wo die Rolle der Federal Reserve geändert wurde. Sie warteten auf einmal mit dieser Theorie auf, dass Inflation eine Erhöhung der Geldmenge sei, und da die Federal Reserve die Verantwortung für die Geldmenge inne hatte, erklärten die Politiker der Federal Reserve im Grunde, dass die Inflation allein ihr Problem sei. Die überwiegende Mehrzahl der Kongressmitglieder ist der Auffassung, dass sie keinerlei Verantwortung für die Wirtschaft tragen. Sie werfen die Hände in die Luft und sagen: „Hey, das ist doch der Job der Fed!“

HRN: Das fraktionale Reservesystem ist doch inhärent inflationär.

Armstrong: Nun ja, in Wirklichkeit ist es ein gehebeltes System. Man erhöht die Geldmenge, indem man denselben Geldbetrag mehrere Male ausleiht. Also wenn ich USD 100 auf ein Bankkonto einzahle und Sie sich USD 100 leihen, dann glauben wir beide, USD 100 zu besitzen, aber in Wirklichkeit gibt es nur USD 100 an Einlagen.

Nehmen wir den Hypothekenmarkt, wo die Federal Reserve Billionen US-Dollars geschaffen hat, um damit hypothekarisch besicherte Wertpapiere (MBSs) zu kaufen. Der Hypothekenmarkt ging seit seinem Höhepunkt vielleicht um USD 5 Billionen im Wert zurück. Es findet zur selben Zeit also ein Fremdkapitalabbau statt. Wenn die Federal Reserve USD 3 Billionen schafft, wäre das in der Tat inflationär, gäbe es da nicht die Deflation – doch in dieser Art von System ist es bei einem wirtschaftlichen Rückgang stets so, dass dieser mit Deflation und Fremdkapitalabbau einhergeht.

In einer Deflation streben alle nach Bargeld, weshalb der Wert von Vermögenswerten fällt. Die Bargeldbestände stellen aber nur einen kleinen Anteil des Gesamtwerts aller Vermögenswerte auf ihrem Höhepunkt dar. Würde Bill Gates schlagartig all seine Microsoft-Aktien verkaufen, wäre er nicht so reich wie auf dem Papier. Es ist ein Yin und Yang zwischen Hebelwirkung und Deflation.

HRN: Was ist der Unterschied zwischen gehebelten Positionen, also wenn ich für jeden USD 1 an Einlagen USD 10 an Kredit vergebe, und dem Gelddrucken aus dem Nichts?

Armstrong: Das aktuelle Bankensystem, das wir heute überall auf der Welt haben, ist in Wirklichkeit reiner Betrug. Banken wurden einst als Lagerstätten genutzt, um dort sein Geld zu verwahren, aber dann begannen die Banken auf einmal damit, es einfach weiterzuverleihen, um mehr Geld zu machen. Die Banken fanden bereits vor langer Zeit heraus, dass man nur zwischen 6% und 10% der Einlagen halten muss.

Wenn es mit der Wirtschaft abwärts geht, gibt es eine Art von Bank-Run. Das wirkliche Problem ist aber, dass sie die kurzfristigen Einlagen ihrer Kunden nehmen, um damit langfristige Kredite zu finanzieren und so ihre Profite zu erwirtschaften. Kommt es dann zu einer Krise, sind ihre Vermögenswerte für 20 oder 30 Jahre illiquide, weil fest investiert, während sie nach wie vor auf den kurzfristigen Verbindlichkeiten sitzen, wo all die Leute ankommen und sagen: „Hey, gebt uns unser Geld zurück!“ Das System ist also garnicht in der Lage, langfristig zu funktionieren.

HRN: Lassen Sie uns über den Goldstandard sprechen. Hätte der Goldstandard die europäische Staatsschuldenkrise verhindert?

Armstrong: Nein. In den USA hätten sie den Goldstandard ja halten können, doch dafür hätten sie den Goldpreis aufwerten müssen. Stattdessen hielten sie den offiziellen Preis künstlich bei USD 35 pro Unze und schufen 1968 ein Parallelsystem, wo der freie Markt über seine eigenen Preis verfügte. Die US-Regierung gab fortwährend mehr Geld aus, aber der Goldpreis wurde nie angepasst. Ja mussten sie denn nicht davon ausgehen, dass es eines Tages krachen würde?

Die Politiker geben immer mehr Geld aus, als sie haben. Wir hatten einen Goldstandard und jagten ihn einfach in die Luft. „Stimmt für mich und ich lasse Manna vom Himmel regnen!“ Nichts ist finanziert. Die USA haben für die staatliche Rentenkasse keinerlei Planungen vorliegen. Die Politiker stellen sich einfach hin und erklären: „Stimmt für mich, und ich gebe euch dieses und jenes.“ Aber niemand zahlt dafür.

HRN: Würden Sie eine Rückkehr zum Goldstandard begrüßen?

Armstrong: Wir müssen das Thema der Regierungsausgaben direkt angehen. Die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, muss weg. Das ist wichtiger, als das, was man am Ende Geld nennen wird. Mal theoretisch: Was soll mit einem Goldstandard denn erreicht werden? Man will damit sagen, dass, würden wir einen Goldstandard einführen, nicht mehr Geld geschaffen werden könnte, als in Gold vorliegt – aber genau das wurde das letzte Mal ja getan.

Für mich gibt es hier kein Allheilmittel, das die Politiker davon abhalten würde, das dieses Mal nicht wieder zu tun. Man gelangt an einen Punkt, wo es völlig egal ist, ob Muscheln oder Gold als Geld verwendet werden. In der Regierung gibt es keinerlei fiskalisches Verantwortungsbewusstsein. Wir müssen das Kernproblem angehen und die staatliche Kreditaufnahme verbieten, so dass diese nur zu Kriegszeiten erlaubt ist.

HRN: Ist das jetzt ein Argument für eine kleinere Regierung?

Armstrong: Ja natürlich. Während der Großen Depression lag die Arbeitslosigkeit gerade einmal auf dem jetzigen Niveau, dann kamen aber die großen Dust-Bowl-Staubstürme. Das war ein Ereignis, das von Schumpeter als „kreative Zerstörung“ bezeichnet wurde. So wurde in Amerika eine professionalisierte Arbeiterschaft ins Leben gerufen. Vor der Großen Depression waren fast 50% aller amerikanischen Arbeitnehmer in der Landwirtschaft tätig. 1980 waren nur noch 3% in der Landwirtschaft.

Heute haben wir dasselbe Problem – nur dass jetzt 40% der Arbeitnehmerschaft für die Regierung arbeiten. Sie produzieren nichts und tragen zum Bruttosozialprodukt rein Garnichts bei. Natürlich werden bei den staatlichen Statistiken auch noch die Staatsausgaben und die Gehälter der Regierungsangestellten mit hinzugerechnet, was heißt, dass das BSP doppelt so stark steigt, wenn die Regierung jemanden einstellt.

HRN: Das würde ja nahelegen, dass die BSP-Situation schlimmer ist, als man auf den ersten Blick meint.

Armstrong: Ja, die Regierung fingert im Grunde an jeder Statistik herum, die man sich nur vorstellen kann. Wir blicken gegenwärtig auf eine sehr, sehr ernste Situation. Das einzige Land der Welt, dessen Altersvorsorge durchfinanziert ist, ist Australien. Die USA haben hingegen USD 60 Billionen an nichtfinanzierten Verbindlichkeiten. Auf dem Höhepunkt in 2007 belief sich der Wert aller US-Hypotheken auf USD 15 Billionen. Hier kommt eine extrem düstere Entwicklung auf uns zu.

Das ist der Grund, warum die Regierung nun die Jagd auf all jene eröffnet hat, die sie als die sogenannten Reichen bezeichnet. Zu den sogenannten Reichen gehört mittlerweile jeder, dessen jährliches Haushaltseinkommen bei über USD 250.000 liegt. Wenn Sie und Ihre Frau über einen Job verfügen, bei dem Sie beide jährlich USD 125.000 bekommen, ja dann gehören Sie zu den Reichen! Und da die Jugendlichen heutzutage länger bei ihren Eltern bleiben, wird vielleicht sogar ihr Einkommen teilweise mit dazugezählt werden.

HRN: Aber sind das nicht die Überreste unserer Mittelschicht?

Armstrong: Sie führen dann immer Typen wie Warren Buffett oder Bill Gates vor, aber von diesen Leuten gibt es überhaupt nicht so viele. Selbst wenn die US-Regierung das gesamte Vermögen eines jeden US-Milliardärs beschlagnahmen würde, könnte sie damit noch nicht einmal das US-Haushaltsdefizit für die nächsten zwölf Monate bestreiten. Im Grunde handelt es sich hierbei um nichts weiter als einen Kampf gegen die amerikanische Mittelschicht. Die Decke wird dann einstürzen, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, ihre Staatsanleihen zu verkaufen. Das wird dann der Punkt sein, an dem der Anleihemarkt komplett verwüstet ist.

HRN: Gehen Sie davon aus, dass die Federal Reserve ihre Monetisierung von US-Staatsanleihen, beispielsweise mit QE3 weiter fortsetzen wird?

Armstrong: Sie werden gezwungen sein, zu monetisieren, aber das wird die Wirtschaft nicht ankurbeln. Es sind ja nicht nur Amerikaner, die 30-jährige US-Staatsanleihen halten. Vielleicht verkaufen die Chinesen ihre Anleihen an die Federal Reserve, sagen Danke und bringen das Geld wieder zurück nach China. Auf diese Art belebt man nicht ausschließlich die inländische Wirtschaft.

Die Theorien der Federal Reserve sind veraltet. Sie basieren auf einer Inlandswirtschaft und sogar noch auf dem Goldstandard. Diese Theorien basieren auf Dingen, die es überhaupt nicht mehr gibt. Ja schauen Sie sich doch nur die Universitäten an. An der London School of Economics werden ja noch nicht einmal Kursabsicherungsgeschäfte gelehrt. Es ist einfach nur unglaublich.

HRN: Glauben Sie, dass es in den USA zur Hyperinflation kommen wird?

Armstrong: Nein, da die Wirtschaft nicht lange genug überleben würde, als dass die Phase der Hyperinflation überhaupt erreicht werden könnte. Bevor die Hyperinflation einsetzt, ist bereits alles zusammengebrochen. Wichtig ist, zu begreifen, dass die Amerikaner dazu neigen, sich auf die Zahlen in Amerika zu konzentrieren, aber Europa befindet sich in bedeutend größeren Schwierigkeiten. Ein großer Teil der europäischen Banken befindet sich heute immer noch im Staatsbesitz.

HRN: Was kann die US-Regierung tun, um die US-Wirtschaft wieder auf den rechten Weg zu bringen?

Armstrong: Es ist schwer, die Politiker zu irgendetwas zu bewegen, was der Wirtschaft tatsächlich zum Vorteil gereichen würde. Sie schnallen es einfach nicht. Zurzeit gibt es auch Rekordhöchststände bei den von US-Unternehmen gehaltenen Geldbeständen, ganz einfach, weil die Politik so mies ist.

HRN: Was begreifen die Kongressmitglieder nicht?

Armstrong: 1996 habe ich vor dem US-Kongressausschuss „Committee on Ways & Means“ ausgesagt. Sie wollten wissen, warum keine einzige amerikanische Firma auch nur irgendeinen kleinen Auftrag beim Bau des Staudamms am Gelben Fluss erhalten hat. Ich sagte ihnen, dass die USA und Japan die einzigen zwei Länder auf dem Planeten sind, wo die weltweiten Umsätze ihrer Firmen besteuert werden.

Wir hören immer wieder davon, dass die Unternehmen ihren fairen Anteil zahlen sollen – aber wenn sie nicht in den Vereinigten Staaten sind, ja was ist dann ihr fairer Anteil? Für die US-Regierung sind die US-Bürger nichts weiter als Wirtschaftssklaven. Wenn man in den USA geboren wurde, dann schuldet man den USA selbst dann noch Steuern, wenn man sich garnicht in den USA aufhält und keinerlei Zuwendungen bekommt. Andere Länder tun das nicht. Eine deutsche Firma, die sich auf dieselbe Ausschreibung in China bewirbt, ist somit automatisch billiger als eine amerikanische Firma.

HRN: Sie sagen also, dass die Besteuerung der Bundesregierung die Firmen außer Landes treibt?

Armstrong: Wenn die Firmen international in Wettbewerb treten wollen, müssen sie die Vereinigten Staaten verlassen. Hier geht es nicht nur um Arbeitskosten, da man eine professionelle Arbeitnehmerschaft braucht. Ich habe viele Firmen dabei unterstützt, sie nach Europa zu bringen. Man muss die Arbeitnehmerschaft den Steuervorteilen gegenüberstellen. Man kann einen Autohersteller nicht einfach nach Zimbabwe verfrachten. Es ist bedeutend komplizierter, als das, was seitens der Politiker zu vernehmen ist.

HRN: Gibt es irgendwelche anderen Dinge, die seitens der Politiker unternommen werden könnten, um die Firmen wieder in die USA zurückzuholen?

Armstrong: Eines der wichtigsten Dinge ist es, die Steuerrate in Stein zu meißeln und nicht nach jeder Wahl zu ändern. Das ist der Grund, warum die Unternehmen Rekordmengen an Geld halten. Warum sollte eine Firma damit beginnen, Leute einzustellen, wenn man den ganzen Tag nur „Wir schnappen uns die Reichen!“, „Wir schnappen uns die Konzerne!“ zu hören bekommt und dann auch noch mehr zahlen soll? Das ist der Grund, warum die Geldbestände der Unternehmen auf Rekordniveaus sind.

Warum sollte man heute Leute einstellen, wenn man nächstes Jahr vielleicht 20% mehr zahlen muss? So kann man nicht arbeiten. Sie würden ja auch keinen Mietvertrag unterzeichnen, in dem steht, dass der Vermieter Ihre Miete, wenn er wieder einmal zu viel für seine eigenen Belange ausgegeben hat, nach Gutdünken erhöhen kann. Vertrag ist Vertrag – und man wird keine Stabilität erreichen, außer etwas Derartiges wurde langfristig festgeschrieben.

Es gibt viele Länder, die genau auf diese Art Kapital angezogen haben. Wenn man in diese Länder geht und einen Geschäftsplan aufstellt und vorlegt, dann wird einem garantiert, dass die Steuern die nächsten 20, 30 oder 40 Jahre nicht angehoben werden. Wenn man einen Geschäftsplan ausarbeitet, muss man vorher wissen, welche Kosten zum Tragen kommen. Es kann nicht sein, dass es dieses Jahr, sagen wir, USD 1 Million sind und nächstes Jahr 25% mehr. So funktionieren Geschäftspläne nun einmal nicht.

Die Politiker müssen das in Stein meißeln und damit hat es sich dann auch. Danach kommt die Sache vom Tisch. Schluss mit der Rhetorik. Ohnedem wird es keine neuen Arbeitsplätze geben. Warum sollte irgendjemand in den USA eine Fabrik errichten, wenn die Regierung alle sechs Monate ihre Regeln ändern kann? So baut man keine Wirtschaft auf.

HRN: Die Unsicherheit ist also eines der Hauptprobleme der US-Wirtschaft?

Armstrong: Das Hauptproblem ist die gesamte Schuldenstruktur. Die Unsicherheit ist der Grund, warum die Bargeldbestände seit nunmehr mindestens zwei Jahren auf Rekordhochs sind. Ein Mangel an Stabilität dämpft das Vertrauen. Um jemand zum Investieren zu bewegen, muss er erst einmal Vertrauen haben. Daher ist es auch egal, ob die Zinssätze auf 0% gehen. Denn wenn man der Meinung ist, dass man mit dem Geld noch nicht einmal 1% Gewinn machen kann, wird man es sich auch für 0% nicht leihen.

In Wirtschaftsdepressionen gehen die Zinssätze immer dramatisch in den Keller, weil keiner bereit ist, Kredite aufzunehmen. Es gibt einen Mangel an Vertrauen in die Zukunft, es wird also niemand ein neues Restaurant aufmachen oder eine Gruppe neuer Mitarbeiter einstellen. Und speziell die kleinen Unternehmen stellen nicht ein, weil sie von den Banken keine Kredite bekommen können. Sie entlassen stärker als die großen Unternehmen.

Eine große Firma, sagen wir ein an der Börse gelistetes Unternehmen, hat Aktien – die Banken werden ihr dann mehr Geld geben als dem Kleinunternehmer. Die kleinen Unternehmen sind es aber, die die meisten Arbeitsplätze schaffen, doch genau diese Firmen werden von den meisten Banken abgewiesen, und es ist weniger wahrscheinlich, dass sie heutzutage Leute einstellen, weil sie keine Kredite bekommen.

HRN: Was sollte die US-Regierung sonst noch tun, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen?

Armstrong: Die Regierung muss damit aufhören, fortwährend Schulden zu machen. Und das Thema Staatsverschuldung muss wirklich angegangen werden. Die Regierung müsste ihre Steuerpolitik ändern und diese dann in Stein meißeln, so dass sie nicht ständig geändert werden kann. Also ohne dieses ganze Hin und Her vor jeder Wahl, denn das untergräbt das Vertrauen. Warum sollte denn jemand vor den Wahlen einen Fabrik bauen oder mehr Leute einstellen?

HRN: Was könnte man geldpolitisch tun?

Armstrong: Sobald irgendetwas passiert, schlagen die Politiker die Hände überm Kopf zusammen und erklären, es sei der Fehler der Federal Reserve. Es ist aber nicht der Fehler der Fed. Die Politiker sind in Wirklichkeit diejenigen, die die Gelder ausgeben. Die Federal Reserve hat überhaupt keine Kontrolle über die Ausgabenpolitik des Kongresses. Es gibt nicht viel, was man tun kann, um die Dynamik dieses Problems zu ändern.

Die Fed kann heutzutage jede Firma retten, die sie für systemrelevant hält – das hat also überhaupt nichts mehr mit dem Bankenwesen zu tun. Sie kann Ford Motor Company verstaatlichen, wenn sie will. Die Federal Reserve hat sich soweit von ihrem ursprünglichen Aufrag entfernt, dass es einfach nur noch kompletter Irrsinn ist. Ursprünglich war sie garnicht dazu gedacht, die Geldversorgung zu kontrollieren, und auch für die Inflation oder die Rettung von systemrelevanten Firmen war sie nicht verantwortlich.

Die Fed war nie dazu gedacht, das zu tun – sie war schlicht ein Versicherungsfonds für die Banken, Punktum. Der Kongress geht unterdessen davon aus, dass er für nichts die Verantwortung trägt. Absolut niemand trägt für irgendetwas die Verantwortung. Das ist nichts weiter als eine einzige große Party in Washington D.C.

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