Der Edelmetall-Veteran Leonard Melman geht davon aus, dass Gold in den kommenden zwei Monaten auf bis zu USD 1.400 pro Unze absinken könnte und dann im Verlauf der zweiten Jahreshälfte auf bis zu USD 2.400 pro Unze klettert. Die Goldpreisanstiege der kommenden anderthalb Jahre werden vornehmlich durch einen Vertrauensverlust der Öffentlichkeit gegenüber den staatlichen Geldbehörden befeuert werden. Der Angstfaktor wird immer mehr an Bedeutung gewinnen
Zig Lambo & JT Long, The Gold Report, 21.05.2012 (in Auszügen)
Die Wahlen in Griechenland und Frankreich haben gezeigt, dass in demokratischen Gesellschaften letzten Endes die Menschen die ultimativen Entscheider sind, die darüber befinden, wie die gut gemeinten Wirtschaftspläne langfristig tatsächlich ablaufen werden. In dem nachfolgenden Exklusiv-Interview mit The Gold Report spricht Leonard Melman, langjähriger Edelmetallanalyst und Herausgeber des Melman Report, über die Auswirkungen der jüngsten Wahlen in Europa und den Ausblick für die Gold- und Silbermärkte …
The Gold Report: Es scheint, als könnten die Ökonomen planen und empfehlen, die Politiker verhandeln und manövrieren und die Experten analysieren und vorhersagen, wie sie wollen – wenn die Menschen nicht mitspielen wollen, hat das doch alles nichts zu sagen. Die Rede ist natürlich von den Wahlen in Griechenland und Frankreich. Was passiert da gerade?
Leonard Melman: Was dort gerade stattfindet, ist, dass sich die Geldbehörden in Europa dafür entschieden haben, dass Austerität der einzige Ausweg aus dem Finanzdilemma sei, was schon ein wenig amüsant ist, da es ihre keynesianischen Maßnahmen gewesen sind, die überhaupt erst zu dieser Politik führten.
Sie haben sich nun dafür entschieden, dass Austerität – als das Zusammenstreichen von Regierungsprogrammen – das einzige ist, was funktionieren wird. Das Problem ist nur, dass die Öffentlichkeit nicht will, dass ihre Regierung die Zuwendungen beschneidet.
Die Botschaft vom französischen Volk war also, dass Nicolas Sarkozy mit seinen Austeritätsmaßnahmen nicht mehr länger ihr Freund und François Hollande mit seinem Versprechen, der Austerität ein Ende zu bereiten, jetzt der neue Präsident ist.
In Griechenland ist es sogar noch dramatischer. Die Griechen haben ja bereits seit über 40 Jahren eine lustige Kultur und in einer Traumwelt gelebt, in dem Glauben, dass niemand arbeiten und auch niemand Steuern zahlen muss, was dort eine Art von Volkssport ist.
TGR: Nicht Steuern zu zahlen, ist ein Volkssport?
LM: Für die Menschen in Griechenland ist es eine hohe Kunst. Sie erwarten von ihrer Regierung immer noch, dass sie die Menschen in Frührente schickt, großzügige Arbeitslosengelder auszahlt usw. In den vergangenen 40 Jahren ist das durch eine enorme staatliche Kreditaufnahme finanziert worden. Und das ist die Realität nach den Wahlen. Die Menschen haben die Politiker, die sich – zumindest auf dem Papier – für eine Verkleinerung der Regierung aussprachen, aus ihren Ämtern gewählt, und es könnte sein, dass jetzt eine echte Krise direkt vor uns liegt.
TGR: Heißt das, dass die Eurozone auseinanderbrechen wird?
LM: Die Eurozone ist gegenwärtig der größten Gefahr seit ihrer Schaffung vor 13 Jahren ausgesetzt. Griechenland kann seine Schulden nicht zahlen. Und wegen der jüngsten Wahlen können sich die Geldbehörden, die Griechenland mit Geldern versorgt haben, nicht mehr länger sicher sein, dass ihr Programm von der griechischen Regierung gebilligt werden wird. Wenn das der Fall ist, könnte es sein, dass sie weitere Zahlungen an Griechenland einstellen werden und Griechenland dann offiziell die Zahlungsunfähigkeit auf seine Schulden einleitet, was eine wahrscheinliche Ursache für den Ausschluss aus der Eurozone werden dürfte.
Wenn das passiert, werden alle Geldangelegenheiten auf die frühere Währungseinheit, die Drachme, umgestellt. Keiner weiß, was die Drachme dann wert sein wird, da es sich bei ihr zunächst einmal um eine völlig künstliche Währung handeln wird. Eine Konsequenz hat sich in den letzten paar Tagen an den Märkten ja bereits abgezeichnet. Viele Griechen bekommen es mit der Angst zu tun und wandeln ihr Geld nun vornehmlich in Euros und US-Dollars um.
Das ist auch einer der Gründe, warum der Dollar stieg und die Edelmetalle schwächer geworden sind. Überdies birgt es die Gefahr eines echten Bank-Runs, wenn die Menschen damit beginnen, ihre Euro-Vermögenswerte abzuheben.
Und Spanien, Portugal, Irland, Island usw. stehen ja auch schon Gewehr bei Fuß. Fakt ist, dass es zurzeit neun Eurozonenländer gibt, die sich in einer Wirtschaftsrezession befinden. Die Frage ist also, ob dies zu einem Auseinanderbrechen der Eurozone führen könnte. Ich halte es in der Tat für möglich, dass einige Länder aus dem Euro gezwungen werden, was in der Eurozone ein Chaos anrichten würde.
TGR: Angesichts all dieser schlechten Meldungen scheinen die Edelmetallmärkte aber nicht entsprechend positiv zu reagieren. Wann werden die Edelmetalle davon beeinflusst werden?
LM: Für die meisten Europäer sind die USA nach wie vor das Finanzbollwerk der Welt. Wenn die Europäer planen, ihre Vermögenswerte von der Schwäche in die Stärke zu bewegen, fassen sie daher gewöhnlich Schuldenpapiere der US-Regierung ins Auge. Und durch den Kauf dieser Schuldenpapiere machen sie den US-Dollar stärker, was Gold und Silber schwächt. Das wird ein Ende haben, wenn die Schwäche des US-Dollars beginnt, zum Vorschein zu kommen – dann dürften wir bei den Edelmetallen wesentlich positivere Dinge zu sehen bekommen.
TGR: Wie sind ihre aktuellen Erwartungen für Gold und Silber angesichts der jüngsten Entwicklungen?
LM: Die Zahl der Menschen, die ihr Vertrauen in die konventionellen Politiker und Ökonomen, die das Weltgeschehen steuern, verlieren oder bereits verloren haben, nimmt immer weiter zu. Und da das anhalten wird, glaube ich, dass die Menschen immer größere Teile ihres Vermögens in Richtung Edelmetalle als letztem Rettungsanker umschichten werden. Die Frage ist wann.
Bei meiner Jahresprognose sagte ich, und das glaube ich immer noch, dass sich dieser Trend in der zweiten Jahreshälfte beschleunigt, was zu einem Druck auf die Edelmetalle und einem dramatischen Preisanstieg führen wird. Ich gehe davon aus, dass Oktober, November und Dezember für die Edelmetalle großartige Monate sein werden.
TGR: Bedarf es dafür eines großen auslösenden Ereignisses oder wird sich das Ganze langsam aufbauen?
LM: Die französischen und griechischen Wahlen hätten ein solches auslösendes Ereignis liefern können – obwohl, jetzt sprechen sie ja bereits über eine weitere Wahl, die in einem Monat stattfinden soll. Das hat aber gezeigt, dass es zwischen dem, was die Politiker und Ökonomen tun wollen, und dem, was die Öffentlichkeit akzeptieren wird, einen Riesenunterschied gibt.
Es ist wie mit einem Drogensüchtigen, der gelobt aufzuhören, weil er weiß, dass die Drogen ihm schaden. Drei oder vier Tage später leidet er dann unter dem Entzug und wird alles dafür tun, um an noch mehr Drogen zu kommen.
Und genau das sehen wir gerade bei den verschiedenen europäischen Ländern. Sie wissen, dass die exzessive Kreditaufnahme den Schaden angerichtet hat, und jetzt wollen sie das Ganze mit einem kalten Entzug beenden. Doch die Menschen, die auf die Kreditaufnahme der Regierung angewiesen sind, wollen ihre Sozialhilfe, Renten oder anderweitigen Regierungszuwendungen nicht verlieren und randalieren auf den Straßen.
Diese Unruhen und Desillusionierung sind jetzt in ihrer Frühphase und könnten noch bedeutend schlimmer werden. Das ist ein weiterer Grund für die Edelmetalle, bedeutend zuzulegen. Die Lösung, sich der Austerität zu unterziehen, wird nicht auf die Zustimmung der Öffentlichkeit treffen.
TGR: Wie stark könnten Gold und Silber steigen?
LM: Der Goldpreis könnte innerhalb der kommenden zwei Monate auf rund USD 1.400 pro Unze absinken. Ich gehe in meinen Prognosen für die zweite Jahreshälfte von einem Goldpreis von bis zu USD 2.400 pro Unze und einem Silberpreis von rund USD 55 pro Unze aus.
TGR: Ein Silberpreis von USD 55 pro Unze scheint aber ein wenig niedrig, wenn man ihn mit einem Goldpreis von USD 2.400 pro Unze vergleicht? Sie sind ja nicht gerade ein großer Silber-Bulle?!
LM: Doch bin ich. Sagen wir, Gold erreicht ein Tief von USD 1.400 pro Unze und steigt daraufhin auf USD 2.400 pro Unze. Das entspricht einem Zugewinn von rund 65% oder 70%. Sollte Gold auf USD 1.400 pro Unze fallen, könnte Silber auf USD 24 bis USD 25 pro Unze fallen. Wenn Silber von USD 25 pro Unze auf USD 55 pro Unze steigt, wäre das ein Zugewinn von rund 120%.
Ich gehe davon aus, dass Silber, während die Beschleunigung an Fahrt aufnimmt, schneller steigen wird als Gold. Silber ist schwächer gewesen als Gold, weshalb es bei seinem Anstieg auch ein wenig länger brauchen wird. Aber ich bin immer davon überzeugt gewesen, dass Silber während kraftvoller Edelmetallbullenmärkte Gold nach oben hin aussticht, genauso wie es bei Rückgängen schneller fällt als Gold.
TGR: Sie rechnen also nicht mit einem Silberpreis von USD 75 pro Unze, wie es einige andere tun?
LM: Nein, nicht in diesem Jahr. Sollte es jedoch zu dieser massiven Desillusionierung oder gar zu einem Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber den Geldbehörden kommen, ja wer weiß, wie diese Zahl dann in 2013 aussehen könnte? Aber USD 55 pro Unze schien mir genau richtig, als ich die Prognose gemacht habe, und daran werde ich erst einmal festhalten …
TGR: Was glauben Sie, wie sich die Dinge von hier aus weiter entwickeln werden, und worauf sollten sich unsere Leser konzentrieren, um Fallen zu vermeiden und Gewinne zu machen, wenn es zu diesem Marktumschwung kommt?
LM: Ich mag Juniorminenaktien mit einer Produktionsfinanzierung, die ihre Anlagen aktiv aufbauen, um in die Produktion gehen zu können, oder Firmen wie SilverCrest, die bereits in der Produktion sind. Das ermöglicht ihnen, schneller zu wachsen, ohne dass es zu ernsten Verwässerungseffekten kommt.
Und ich liebe immer noch Gold und Silber. Silber verfügt über den Bonus, Industriemetall wie auch Investmentmetall zu sein. Wenn ich aufs große Ganze blicke, dann gehe ich davon aus, dass die maßgebliche treibende Kraft hinter Gold und Silber in den nächsten Monaten und Jahren der zunehmende Angstfaktor sein wird.
Wenn die Öffentlichkeit erst einmal mitbekommt, dass die internationalen Finanzangelegenheiten gegenwärtig richtig außer Kontrolle geraten, werden die Menschen damit beginnen, ihre Vermögenswerte von konventionellen Investments in Richtung Edelmetalle umzuschichten.
Im Dezember 2010 wurde in der Wochenzeitung Barron´s ein Artikel veröffentlicht, wo der Autor erklärte, dass Edelmetalle laut der ihm vorliegenden Daten während des Übergangs von der Inflation zu Hyperinflation dazu neigen würden, zwischen 2.000% und 50.000% stärker zu steigen als die Entwertungsrate der Währung.
Das ist ein gewaltiger Faktor für die Zukunft, und ich denke, historisch gesehen macht das auch Sinn. Im Großen und Ganzen gehe ich also davon aus, dass die Desillusionierung bezüglich der internationalen Geldbehörden gegenwärtig zunimmt und auch künftig weiter anwachsen wird, und auch die Angst wird weiter zunehmen. Wenn das Bild des US-Dollars als tragende Säule erst einmal zu schwinden beginnt, womit ich ab der zweiten Jahreshälfte rechne, dürften wir bei den Edelmetallen meines Erachtens ein echtes Feuerwerk erleben.