Wann knickt Merkel endlich ein? Merkel muss zahlen – nur sie kann die Eurozone und somit die Weltwirtschaft retten. Und sie muss jetzt handeln

Wolf Richter, Testosteronepit.com, 26.06.2012

Während des zweitägigen EU-Gipfels, der vom 28.06.2012 bis 29.06.2012 stattfindet, werden alle Augen unaufhörlich auf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtet sein, und es wird nur eine Frage geben, die alle beschäftigt: Wird sie einknicken? Schließlich geht es hier um nichts weniger als die Zukunft der Eurozone. Der Euro steht auf dem Spiel, und somit auch die gesamte Weltwirtschaft. Nur sie kann ihn retten. Und ihr bleiben dafür auch nur 48 Stunden!

Es gibt sogar einen Masterplan, der vom EU-Ratspräsidenten Herman Van Rompuy ausgearbeitet wurde. In diesem Plan finden sich all die Nettigkeiten: Ein nichtgewählter EU-Finanzminister, mit der Macht über die nationalen Haushalte zu verfügen und zu entscheiden, wie viel Kredit ein Land aufnehmen darf; Eurobonds; eine Bankenunion, die die Einlagen garantieren würde; und der Europäische Stabilitätsmechanismus, mit dem die Banken gerettet würden.

Der Masterplan würde es notwendig machen, dass die Euroländer eine einheitliche Politik, Besteuerung und Arbeitnehmergesetze schaffen. Durch eine gemeinschaftliche Entscheidungsfindung der nationalen Parlamente würde dem Ganzen die Aura „demokratischer Legitimität“ verliehen. Und jeder einzelne Punkt des Masterplans würde von den Steuerzahlern der Länder bezahlt – vornehmlich vom deutschen Steuerzahler.

Mario Monti, der Premierminister des am Abgrund wankenden Italiens, bereitete dem Masterplan am 21.06.2012 den Weg, als er warnte, dass die Eurozone auseinanderbrechen würde, sollten die Gipfel-Teilnehmer die Vorschläge nicht abnicken. Und er hatte sogar eine eigene Liste mit Maßnahmen dabei, die „absolut notwendig“ seien, um die Eurozone zu retten.

Griechenland muss auf dem Gipfel ebenfalls gerettet werden. Die von den Konservativen angeführte neue griechische Regierung hat bereits bekanntgegeben, dass die Strukturreformen, die dem Land als Bedingung für das zweite Rettungspaket auferlegt worden sind, über Bord geworfen werden.

Stattdessen präsentierte Griechenland einen Plan, der vornehmlich darauf abzielt, bereits umgesetzte Reformen wieder zurückzufahren. Den Gipfel wollte man eigentlich nutzen, um für den Plan zu werben. Doch die Tinte war noch nicht einmal trocken, da wurde das Ganze bereits von Chaos überlagert … von griechischem Chaos.

Am 23.06.2012, drei Tage nach seiner Vereidigung, unterzog sich Premierminister Antonis Samaras einer Augenoperation, und aufgrund der Ratschläge seiner Ärzte darf er nicht reisen und kann somit auch nicht an dem Gipfel teilnehmen.

Samaras benannte seinen neuen Außenminister Dimitris Avramopoulos als seinen Vertreter, was Brüssel zunächst auch akzeptierte. Später hatten sie dann aber wohl doch noch einmal im großen Wälzer der EU-Regularien nachgeschaut und eine Kehrtwende vollzogen. Die EU erklärte, dass der einzig möglich Ersatz für Samaras der griechische Präsident Karolos Papoulias sei. Jetzt führt also eine im Großen und Ganzen machtlose Person die griechische Katastrophen-Delegation an.

Kurz nachdem er seine neuen Amtsräume bezogen hatte und noch bevor er als griechischer Finanzminister überhaupt vereidigt werden konnte, muss Vassilis Rapanos wohl unabsichtlich einen Blick auf die tatsächlichen Zahlen erhascht haben: Er brach unter Schmerzen zusammen und landete am 22.06.2012 im Krankenhaus. Mittlerweile ist er zurückgetreten. Auch Rapanos wird nicht am Gipfel teilnehmen.

Am Dienstag wurde bekanntgegeben, wer für Rapanos als Finanzminister einspringen wird: Yiannis Stournaras, ein Wirtschaftsprofessor von der Athener Universität. Aber er ist auch noch nicht vereidigt worden und wird daher auch nicht in Brüssel sein. Stattdessen nimmt sein Vorgänger George Zannias, der Finanzminister der machtlosen Übergangsregierung, an dem EU-Gipfel teil.

Diese Katastrophen-Delegation, die ohne politische Führer anreist, wird Griechenlands Plan vorstellen, darf ihn aber nicht verhandeln. Die Behauptung, der Euro würde untergehen, sollte Griechenland nicht das bekommen, was es will – eine traditionelle Verhandlungstaktik in der Eurozone – wird daher natürlich als belanglos beiseite gewischt werden. Also wird Griechenland auf dem EU-Gipfel nicht gerettet werden.

Unterdessen hat man den Masterplan unter den Entscheidungsträgern verteilt und nach Reaktionen Ausschau gehalten. Und wie vorherzusehen war, irritierte er die deutsche Bundeskanzlerin. Die Balance zwischen stärkeren gemeinsamen Maßnahmen und gemeinsamer Haftung würde nicht gewahrt sein, so Merkel. Stattdessen würde das Dokument eine rasche Vergemeinschaftung der Eurozonen-Schulden erlauben, was sie – „solange ich lebe“ – nicht hinnehmen würde.

Diese Nur-über-meine-Leiche Stellungnahme war Merkels deutlichste Positionierung der letzten paar Monate. Selbst Außenminister Guido Westerwelle, der seine Vorbehalte gegenüber derartigen Plänen gelegentlich aufgibt, erklärte, dass Deutschland Eurobonds „nicht akzeptieren“ würde und es keine „Haftung fürs Unbekannte“ gäbe. Europa könne, so Westerwelle, nicht nur aufgrund von zu wenig Solidarität, sondern auch aufgrund von zu viel Solidarität auseinanderbrechen.

Der Außenstaatsminister Michael Georg Link erklärte am 26.06.2012: „Wir kämpfen für den Zusammenhalt der Eurozone, aber gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden …“ Er sagte, der Masterplan lese sich „streckenweise wie ein Wunschzettel“ und „mit der Vergemeinschaftung der Schulden zu beginnen, halten wir für einen Holzweg.“

Und dennoch ist Deutschland hin- und hergerissen. Während es auf den Straßen und im Internet Proteste gegen den ESM und den Fiskalpakt gibt und Kanzlerin Merkel eine Vergemeinschaftung der Eurozonen-Schulden kategorisch ablehnt, scheint sich die Wirtschaft auf die andere Seite der Debatte zu schlagen.

Der letzte dieser Wirtschaftsvertreter, die sich zu Wort meldeten, war Hans-Peter Keitel, Präsident des BDI, einer Lobbygruppe, die 100.000 Unternehmen vertritt. In einer Erklärung zur Währungsunion forderte Keitel die Bundesregierung am 25.06.2012 auf, den Euro zu retten, da „für ihn politische und handfeste wirtschaftliche Gründe“ sprächen.

Deutschlands exportorientierte Industrie würde vom Euro profitieren, da dadurch Wechselkursrisiken beim Handel mit den Euroländern – der immerhin 40% der deutschen Gesamtexporte ausmacht – ausgeschaltet würden, so Keitel. Ferner führte er aus, dass die Inflation unter dem Euro geringer gewesen sei als in den 80er und 90er Jahren unter der D-Mark.

„Wir Europäer müssen die Währungsunion jetzt konsequent zu einer politischen Union ausbauen“, so Keitel, der für eine Vergemeinschaftung der Wirtschafts- und Finanzpolitik eintritt, was natürlich der Nur-über-meine-Leiche Positionierung der Kanzlerin direkt entgegensteht.

Und da Keitel kein großer Fan von demokratischer Kontrolle ist, was Unternehmen und Rettungspakete anbelangt, verunglimpfte er auch gleich die „populistischen Spekulationen und Mutmaßungen überfinanzielle Belastungen sowie angeblich undemokratische fiskalpolitische Mechanismen.“

Keitel will mit Sicherheit vermeiden, dass die Menschen und die Steuerzahler dem Masterplan in die Quere kommen.

Aber leider haben sie ja noch immer mit einem viel geringeren Problem, dem ESM-Rettungsfonds, zu kämpfen. Obwohl der ESM noch nicht einmal ratifiziert worden ist, wird er vom deutschen Bundesverfassungsgericht bereits einer eingehenden Überprüfung unterzogen.

Alle Maßnahmen, die über den ESM hinausgehen, wie die Vergemeinschaftung von Schulden und andere Aspekte des Masterplans dürften aller Vorausschau nach als verfassungswidrig eingestuft werden, was es zuvor notwendig machen würde, dass sich die Deutschen von ihrem geliebten Grundgesetz verabschieden, um die Schulden der Sündenländer finanzieren zu können. Merkel erklärte, man solle diese Träumereien sein lassen.

Und trotzdem wird Merkel keine Pause gegönnt. Sie hat bereits hunderte Milliarden an Steuerzahlergeld für die Rettung der zusammenbrechenden Euroländer aufgebracht. Im Gegenzug verlangt sie von diesen Ländern natürlich, dass sie nicht über ihre Verhältnisse leben und ihre Wirtschaften so restrukturieren, dass die Rettungspakete nicht auf immer und ewig fortgesetzt werden müssen.

Und genau dafür gehört Merkel nun auch zur Achse des Bösen. An dieser Stelle lassen wir dann besser noch einmal den Schweizer Verteidigungsminister zu Wort kommen: „Wohlstand kann man verlieren, aber auch wieder gewinnen. Die Freiheit verliert man nur einmal.“

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