Graham Summers, Gainspainscapital.com, 03.07.2012
Während verschiedene Medien und „Analysten“ behaupten, dass der EU-Gipfel am Freitag irgendwie ein Erfolg gewesen sei und die Probleme Europas nun der Vergangenheit angehörten, ist es nach wie vor so, dass Europa das Geld bereits ausgegangen ist. Und damit meine ich ganz Europa.
Ja sicher, diese Auffassung ist genau das Gegenteil von dem, was 99% aller Analysten behaupten, aber es handelt sich hierbei dennoch um eine Tatsache.
Die verschiedenen Organisationen, die die Europäische Union zusammenhalten könnten – die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds, Deutschland und die zwei europäischen Rettungsfonds EFSF und ESM – verfügen allesamt nicht über das Kapital, Europa zu retten.
Ich werde fortwährend mit E-Mails bombardiert, in denen es heißt: „Aber wenn sich die Situation verschärft, dann kann die Fed oder die EZB ja einfach Geld drucken und alles ist wieder in Ordnung.“
Nein, das ist grundfalsch. Es handelt sich hier schlicht um Gruppendenken, das darauf zurückzuführen ist, dass die US-Notenbank seit Beginn der Großen Krise in 2008 fortwährend Marktinterventionen durchgeführt hat. Bei ZeroHedge ist jüngst ein Artikel dazu erschienen, aus dem hervorgeht, dass die Fed seit Beginn der Krise in zwei Dritteln der Zeit in den Märkten intervenierte.
Aber auch die Interventionen der Fed haben ihre Grenzen, was man daran sieht, dass die US-Notenbank bereits seit über einem Jahr keine aggressiven geldpolitischen Maßnahmen mehr durchgeführt hat. Seit dieser Zeit hat es keine Gelddruckmaßnahmen mehr gegeben. Stattdessen hat die Fed ihr Portfolio ein wenig umgeschichtet, um die Renditekurve abzuflachen.
Doch warum macht die Fed das und legt nicht einfach ein weiteres Lockerungsprogramm (QE) auf? Ganz einfach: Weil die Fed durch ihre quantitativen Lockerungsmaßnahmen US-Staatsanleihen aus dem Bankensystem abzieht. Und in Zeiten einer Solvenzkrise sind US-Staatsanleihen die wertvollsten Sicherheiten, die sich in den Bilanzen US-amerikanischer Banken finden.
Wenn die US-Notenbank von einer US-Bank US-Staatsanleihen aufkauft, stellt sie der Bank Liquidität (Bargeld) zur Verfügung, damit sie in der Lage ist, ihre kurzfristigen Verbindlichkeiten zu bedienen.
Wenn die Fed US-Staatsanleihen aus den Bilanzen der Banken herausholt, entfernt sie damit aber gleichzeitig auch ihre hochwertigsten Vermögenswerte: Also genau die Vermögenswerte, mit denen die Banken hunderte Milliarden US-Dollars besichert und wohlmöglich Billionen an Krediten vergeben haben.
Mit anderen Worten: Dadurch, dass die Fed US-Staatsanleihen aufkauft, macht sie die Banken noch insolventer als sie ohnehin bereits sind. Kurzfristig ist es natürlich ein Zugewinn, da die Bank Liquidität erhält – langfristig ist es jedoch eine Katastrophe: Die Banken brauchen zurzeit jede Sicherheit, die sie in die Finger kriegen können.
Und da US-Staatsanleihen gegenwärtig im Wert steigen – und somit auch den Wert der von den Banken gehaltenen Vermögenswerte erhöhen – würde jedwedes aggressive Anleiheaufkaufprogramm der FED einen bedeutenden Schritt in Richtung einer Solvenzkrise im Stile des Jahres 2008 bedeuten.
In Europa spielt sich gegenwärtig genau dasselbe ab – nur mit dem Unterschied, dass das Ausmaß der europäischen Krise bedeutend größer ist, da das europäische Bankensystem fast viermal so groß ist wie das der USA. Und während alle nach wie vor der Auffassung sind, dass die EZB über das Potenzial verfügt, die Lage zu retten, ist es eine Tatsache, dass die Europäische Zentralbank die vergangenen 14 Wochen nicht eine einzige Staatsanleihe aufgekauft hat.
Und warum? Aus demselben Grund, weshalb auch die FED keine weiteren quantitativen Lockerungsmaßnahmen auflegt: Europa hat es gegenwärtig mit einer Solvenzkrise zu tun. Wenn die EZB Staatsanleihen aus dem Markt abzieht, dann ist das höchstens von der Warte der Liquidität aus hilfreich (Bargeld gegen Giftmüll) – das Problem ist nur, dass die europäische Krise mit Liquidität rein Garnichts zu tun hat. Es ist ein Solvenzproblem, und die EU-Banken brauchen zurzeit so viele hochwertige Sicherheiten, wie sie kriegen können.
Jedes Mal, wenn die Europäische Zentralbank Staatsanleihen aufkauft, entfernt sie dadurch die so dringend benötigten Sicherheiten aus dem EU-Bankensystem. Die Staatsanleihen mögen zwar Ramsch sein, aber es ist in der Regel immer noch besserer Ramsch als ein EU-Hypothekenkredit oder eine EU-Unternehmensanleihe.
Die Solvenzprobleme im EU-Bankensystem werden durch Anleihekäufe also nur noch verstärkt. Und wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass in Spanien, Italien, Frankreich und Griechenland bereits Bank-Runs laufen. Die Banken brauchen also händeringend Kapital und Sicherheiten.
Das ist der Grund, warum die EZB kein Geld drucken kann und es schlicht nicht tun wird, um die Lage zu retten. Würde sie es tun, würde die EU-Bankenkrise im Grunde nur noch stärker angeheizt.
Die US-Notenbank und die Europäische Zentralbank werden also erst dann einspringen, wenn das System zu Boden kracht.
Und dann haben wir noch den Internationalen Währungsfonds. Doch da es sich beim IWF um eine US-gestützte Organisation handelt, wird er ebenfalls keine groß angelegte EU-Rettung durchführen, denn in den USA ist Wahljahr, und die US-amerikanischen Wähler würden eine US-geführte Rettung Europas auf gar keinen Fall hinnehmen.
Somit bleiben noch die zwei Mega-Rettungsfonds (EFSF und ESM) und Deutschland. Die Gelder des EFSF sind bereits vollständig aufgebraucht, da sie bei der Rettung Portugals und Irlands zum Einsatz kommen. Hier hat man also auch keinen Spielraum mehr.
Und der ESM? Nun ja, aktuell existiert dieser Rettungsfonds ja noch nicht einmal. Der ESM muss zunächst einmal von allen stimmberechtigten Ländern ratifiziert werden. Darüber hinaus stellen Spanien und Italien gemeinsam über 30% der ESM-Finanzierung. Sollen sich diese Länder nun etwa selber retten!
Finnland und die Niederlande haben sich bereits dagegen ausgesprochen, dem ESM die Befugnis einzuräumen, Bankanleihen direkt aufzukaufen. Selbst wenn wir hier einmal die Annahme zugrunde legen, dass der ESM tatsächlich ratifiziert wird, wird es dennoch massive politische Auseinandersetzungen bezüglich der Fragestellung geben, wie die Gelder des Fonds konkret ausgegeben werden sollen.
Somit bleibt nur noch Deutschland als einzige Kraft, die wirklich in der Lage ist, die EU zu stützen. Deutschland befindet sich jedoch auch schon an seiner Belastungsgrenze.
Zunächst einmal ist Deutschland nur noch EUR 328 Milliarden vom offiziellen Schulden/BSP-Verhältnis von 90% entfernt – ab dieser Marke wird man die Solvenz des Landes in Frage stellen.
Darüber hinaus sind diese EUR 328 Milliarden bereits im Rahmen verschiedener EU-Stützungsmaßnahmen eingesetzt worden. Und wenn man hier noch die „Rettungen durch die Hintertür“ hinzunimmt, die Deutschland zur Stützung der Europäischen Union bereits durchgeführt hat, dürfte das reale Schulden/BSP-Verhältnis in Wirklichkeit bedeutend höher sein.
Deutschlands Risiken, die aus seinen diversen Rettungsmaßnahmen zur Stützung der EU erwachsen, belaufen sich auf rund EUR 1 Billion, was rund 30% des deutschen BSP entspricht.
Sollte sich auch nur ein Teil dieser EUR 1 Billion in uneinbringliche Forderungen verwandeln – was definitiv der Fall sein wird, da die Gelder zur Stützung der PIIGS-Länder ausgegeben wurden – wird das deutsche Finanzsystem einen massiven Schlag einstecken.
Dadurch wird Deutschland seinen AAA-Status verlieren, was mit bedeutenden Anstiegen bei den Kreditkosten einhergehen wird. Diese Entwicklung konnten wir im vergangenen Jahr schon in Frankreich mitverfolgen. Frankreich hat nun seine eigenen Bank-Runs und seine eigene Solvenzkrise – wovon Sie in den kommenden Wochen noch genug hören werden.
Angela Merkel möchte nächstes Jahr wiedergewählt werden. Es ist völlig undenkbar, dass Merkel dabei zusehen wird, wie die EU Deutschland in den Schuldenstrudel zieht. Sie erklärte sogar: „Keine Eurobonds, solange ich lebe.“
Das ist nicht bloß leere Rhetorik. Das ist eine Tatsache. Deutschland hat es in den vergangenen 30 Tagen dutzende Male klargemacht: Keine Eurobonds und kein europaweiter Bankeinlagensicherungsfonds.
Der Grund dafür ist denkbar einfach: Eurobonds wie auch ein EU-Einlagensicherungsfonds stürzen Deutschland in die Pleite. Deutschland wankt bereits am Rande der Insolvenz. Würde Deutschland neben dem Geld, das es bereits ausgegeben hat, um die EU über Wasser zu halten, nun auch noch Eurobonds oder eine wie auch immer geartete Garantie des EU-Bankensystems zulassen, würde die EU Deutschland schlicht zu Fall bringen.
Die deutsche Wirtschaft schwächelt bereits. Die meisten Deutschen haben die Nase voll vom Euro. Merkel würde lieber sterben, als ihr Land in ein weiteres Griechenland zu verwandeln – was durch die Schaffung von Eurobonds oder eines EU-Einlagensicherungsfonds jedoch besiegelt würde.
Kurzum: Deutschland hat ebenfalls kein Geld mehr. Zur Rettung der EU bleibt also … niemand mehr!
Noch einmal: Europa ist das Geld ausgegangen. Ende der Geschichte … Gewiefte Investoren nutzen die jüngste Rally an den Märkten, um sich auf die kommenden Ereignisse vorzubereiten: Eine EU-Bankenkrise, die die Finanzkrise 2008 in den Schatten stellen wird.