ACTA, PIPA, SOPA, CISPA und wie die konzertierten Angriffe der Eliten auf das Internet nicht alle heißen – letztlich ist die Internet-Reformation nicht mehr aufzuhalten. Es ist wichtig, dass sich die Freiheitsbewegung und die alternativen Medien ihrer eigenen Erfolge auch bewusst sind
Anthony Wile, The Daily Bell, 07.07.2012
Aufgrund des durchschlagenden Erfolgs des Internets hat die Machtelite zahlreiche Versuche unternommen, das Internet zu schwächen, da es für sie unbequem ist und ihre Machenschaften enthüllt.
Wir nennen diesen Prozess die Internet-Reformation, und wir bauen gerade eine Organisation auf, mit der unter anderem ein freies und offenes Internet formell unterstützt werden soll. Das Internet selbst ist nur ein Teil einer größeren und unvermeidlichen Freiheitsbewegung, die durch die Internet-Reformation angespornt wurde – genauso wie die Reformation eine Verschiebung des europäischen Mächtegleichgewichts zur Folge hatte.
Und mit Sicherheit ist es genau das, wovor die Machtelite Angst hat – ungeachtet der Tatsache, dass viele, die im Internet für die alternativen Medien schreiben, nach wie vor der Auffassung sind, dass die Spitzeneliten unerbittlich agieren und auf gewisse Weise sogar allmächtig sind.
Wir sind von Anfang an der Meinung gewesen, dass das nicht stimmt. The Daily Bell berichtet nun bereits seit zehn Jahren darüber, wie das Internet und die Informationen, die es verbreitet, das Mächtegleichgewicht zwischen denjenigen, die die Welt kontrollieren wollen, und ihrer Zielgruppe (uns) verändern.
Sicher, die Kriege, das wirtschaftliche Chaos und die gesetzlichen Bestimmungen, mit denen wir überzogen werden, sind in der Tat ziemlich eindrucksvoll – und entmutigend. Aber selbst vor dem Hintergrund derartiger Mengen an organisiertem Chaos sind wir immer noch in der Lage, eine ganze Reihe von Siegen auszumachen.
Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, dass es sehr schwer ist, neue Technologien zu kontrollieren, und diese Technologien überdies dazu neigen, instinktiv bis aufs Letzte ausgeschlachtet zu werden. Man könnte auch sagen, dass die Menschen darauf „programmiert“ sind, die jeweils neuste Technologie auszureizen.
Wie dem auch sei, die Internet-Gegner haben es in letzter Zeit unglaublich schwer gehabt, formelle Regeln zu implementieren, mit denen die Meinungsvielfalt im Internet eingeschränkt werden könnte.
Die jüngsten Meldungen dazu stammen aus Europa, wo ACTA, das Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen, vom Europa-Parlament abgeschmettert wurde. Die Befürworter beteuerten, dass ACTA lediglich darauf abzielen würde, die Strafen für Urheberrechtsverletzungen in den westlichen Ländern (und darüber hinaus) zu vereinheitlichen. Den Gegnern des Vertrages gelang es jedoch darzulegen, dass die Gefahren – wie Zensur zu üben und die Menschen auszuspionieren – schwerer wiegen als die von den Befürwortern gepriesenen Vorteile.
Und der Gesetzentwurf scheiterte nicht bloß, sondern wurde aufgrund des Widerstands mit überwältigender Mehrheit abgeschmettert. Überall in Europa fanden Straßendemonstrationen statt, es gab E-Mail-Kampagnen und eine ausführliche Berichterstattung in den Medien. Und als sich die Aufregung gelegt hatte, verwarf das EU-Parlament ACTA mit 478 Nein-Stimmen, 39 Ja-Stimmen und 165 Enthaltungen.
Das Ergebnis bedeutet, dass die EU wahrscheinlich nicht an einem Vertragskonstrukt partizipieren wird, das sie von Beginn an unterstützt hatte und an dessen Ausarbeitung sie beteiligt gewesen ist. Und während es den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten natürlich freisteht, bei ACTA auf eigene Faust mitzumachen, scheint dies ohne Beteiligung der EU jedoch recht unwahrscheinlich.
ACTA zielt direkt auf das Internet und seine Inhalte ab. Der Vertrag ist darauf angelegt, die verschiedenen nationalen Gesetze zu vereinheitlichen. Einige Aktivitäten, die durch das Abkommen erlaubt worden wären, sind ziemlich drakonisch. Beispielsweise wäre es Privatfirmen erlaubt gewesen, Internetnutzer auszuspionieren und dann von Dritten zu verlangen, ihnen den Internetzugang zu sperren – und das alles ohne irgendein gerichtliches Urheberrechtsverfahren.
Dem Scheitern von ACTA gingen andere Niederlagen voraus. In den USA scheiterten mindestens zwei derartige Gesetzesvorlagen. Einer dieser Gesetzentwürfe ist SOPA, das sogenannte Stoppt-Internetpiraterie-Gesetz. Mit SOPA sollten Internetstraftaten verschiedener Kriminalitätsfelder bekämpft werden. SOPA wurde vom republikanischen Kongressabgeordneten Lamar S. Smith eingebracht und sollte die Befugnisse der US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden erweitern.
Eine der wichtigsten Regelungen unter SOPA war, die Internetnutzung von geistigem Eigentum zu verbieten, sollte die Verwendung von verschiedenen Vertretern der Unterhaltungsindustrie als illegal erachtet werden. Man schlug eine ganze Reihe von Methoden vor, um gegen die behaupteten illegalen Aktivitäten vorzugehen, wozu auch gerichtliche Abmahnungen gehörten.
SOPA enthielt sogar Regelungen, um gegen Suchmaschinen vorzugehen. Es wurden Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren erwogen. Speziell die Bibliotheksverbände waren bezüglich der unter SOPA angedachten Strafverfolgungsmaßnahmen bei Urheberrechtsverletzungen extrem aufgebracht.
Vor SOPA hatte der demokratische US-Senator Patrick Leahy bereits einen Gesetzentwurf namens PROTECT IP Act (PIPA)eingebracht. Angeblich sollten mit PIPA die Möglichkeiten verbessert werden, gegen Urheberrechtsverstöße vorzugehen. Und wie SOPA sorgte auch PIPA in den USA im vergangenen Jahr für einen Proteststurm.
Google reagierte auf beide Gesetzentwürfe, indem es eine Online-Petition anstieß, bei der 7 Millionen Unterschriften eingesammelt wurden. Es wurden Firmen boykottiert, die die Gesetzgebung unterstützten, und in New York wurde eine Demonstration abgehalten. Am 18.01.2012 gingen große Internetseiten wie Wikipedia und Reddit sowie rund 7.000 weitere kleinere Internetseiten für einen Tag vom Netz, um gegen SOPA zu demonstrieren.
Am Ende sah sich Smith gezwungen, SOPA auf Eis zu legen, und auch Harry Reid, der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, legte umgehend nach den Protesten alle weiteren Erwägungen zu PIPA für unbestimmte Zeit ad acta.
Die Herausforderungen nehmen natürlich kein Ende – und es steht außer Frage, dass sie es immer wieder probieren werden. Beispielsweise wurde in den USA bereits kurze Zeit später CISPA, ein Nachtrag zum National Security Act des Jahres 1947, eingebracht. Das US-Abgeordnetenhaus hat den Gesetzentwurf im April 2012 verabschiedet. Jetzt liegt er beim Senat.
Wachsamkeit ist mit Sicherheit angebracht, um weitere Angriffe auf das Internet abzuwehren, und es ist so gut wie sicher, dass einige ihrer Initiativen von Erfolg gekrönt sein werden. Aber wie wir bereits unterstrichen haben, finden die Menschen immer Mittel und Wege, die neuesten Technologien zu nutzen, ganz egal wie die Rechtslage aussieht.
Gerade in Zeiten, wo das Internet auf vielfältige Art und Weise angegriffen wird, ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass die Freiheitsbewegung bereits Siege verzeichnen konnte. Diejenigen, die gegen den freien Informationsfluss ankämpfen – Informationen, die das Voranschreiten der „Neuen Weltordnung“ untergraben – verfügen weder über übermenschliche Kräfte noch irgendwelche magischen Fähigkeiten. Vielleicht stehen sie sogar auf der falschen Seite der Geschichte.
„Zensur alleine funktioniert nicht … das Internet ist wie ein Baum, der weiter wächst. Die Menschen werden immer das letzte Wort haben – selbst wenn nur mit sehr schwacher und leiser Stimme. Die Herrschaft wird aufgrund solchen Geflüsters zusammenbrechen.“ – Guardian, Ai Weiwei, April 2012