Nur 39% der Griechen gehen überhaupt noch einer Arbeit nach. Im Juli dieses Jahres wurden gerade einmal 6.000 Neuwagen verkauft. Die Menschen flüchten auf die Dörfer und ins Ausland. Die Lage ist ein einziges Chaos
Wolf Richter, Testosteronepit.com, 10.08.2012
„Trostlos“ ist nicht mehr länger das richtige Wort, um die Lage in Griechenland zu beschreiben. Im Mai dieses Jahres stieg die Arbeitslosigkeit auf 23,1%, so ELSTAT, die griechische Statistikbehörde, die diese Daten am 09.08.2012 veröffentlichte. Dass diese Behörde über zwei Monate braucht, um die Arbeitsmarktdaten zu veröffentlichen – eine Aufgabe, die andere Länder innerhalb weniger Wochen erledigen –, dürfte für die im Chaos versinkende griechische Wirtschaft wohl symptomatisch sein.
Ja, die griechische Wirtschaft ist chaotisch. Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf 54,9% geschossen – aber selbst vor der Krise, während der Boom-Jahre sozusagen, lag sie bereits auf hohem Niveau und schwankte zwischen 22% in 2007 und 32% im Jahre 1999.
Die Zahl der Griechen, die noch Arbeit haben, ist auf 3.816.900 gefallen – wir sprechen hier von einem Land mit einer Gesamtbevölkerung von 9,9 Millionen Menschen! In Griechenland gehen also nur noch 38,5% der Menschen einer Arbeit nach! In den USA, wo die Arbeitsmarktsituation trostlos genug ist, liegt der Beschäftigungsanteil bei 58,4%.
Kein Land der Welt kann sich über Wasser halten, wenn lediglich 38,5% der Menschen zur Wirtschaft beitragen und Steuern zahlen, um ihre Regierung durchzufüttern und den Schuldendienst zu leisten. Wollte Griechenland die Hälfte seiner Bevölkerung in Arbeit bringen, müssten 1,2 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden, was einem 31%igen Anstieg entspräche! Unter dem Regime griechischer Politik, Bürokraten und im Staatsbesitz befindlicher Unternehmen ist das völlig undenkbar. Deshalb stimmen die Menschen jetzt auch mit ihren Füßen ab.
„Zigtausende Griechen haben sich aufgemacht und verlassen die größeren Städte in Richtung der Dörfer oder der kleineren Provinzstädte, oder sie verlassen das Land und suchen ihr Glück im Ausland“,
so Teacher Dude in seinem Blog aus dem nordgriechischen Thessaloniki. Er beklagt, dass es
„eine anhaltende Welle von Freunden, Nachbarn und Kollegen gibt, die einer nach dem anderen abhauen … Ganz egal, um welches Wohnhaus es sich auch handelt, keine Eingangshalle ist perfekt, wenn sich dort nicht eine Handvoll ´zu vermieten`- oder ´zu verkaufen`-Schilder befinden … Thomas ist jetzt in Deutschland und versucht dort, ein neues Leben anzufangen. Anne und Makis haben sich entschieden, in Makis Heimatstadt Alexandroupoli zurückzukehren, und Panos ist nach Kreta, wo er sich in der Landwirtschaft versucht, nachdem er bei der jüngsten Runde an Stellenstreichungen seine Arbeit verloren hat …“
Und die Autoverkäufe sind im Juli dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 42,1% eingebrochen. Seit Jahresbeginn liegt der Einbruch bereits bei 41,4%. Im Juli wurden lediglich 5.757 Neuwagen verkauft – das ist der schlimmste Juli seit Beginn der Aufzeichnung dieser Daten im Jahre 1990 und ein 82,4%iger Einbruch gegenüber Juli 2009, wo noch 32.627 Neuwagen verkauft wurden. Das sind atemberaubende Einbrüche.
Die Menschen kaufen sich keine Autos mehr! Stattdessen kaufen sie sich jetzt Fahrräder: In 2011 wurden 200.000 Fahrräder verkauft – ein Anstieg um 25% gegenüber 2010! In den Wohngegenden schießen die Fahrradgeschäfte wie Pilze aus dem Boden. Na Bitte, es geht also doch was …
Unterdessen hat die griechische Regierung, die mit aller Kraft versucht, das Land zusammenzuhalten, einen erneuten Rückschlag erfahren: Wie durchsickerte, wird die Zahlung der nächsten Rettungsgeld-Tranche von EUR 31 Milliarden – die eigentlich im Juni erfolgen sollte, dann jedoch auf September verschoben wurde – nun abermals nach hinten verlegt, und zwar auf Oktober.
Die Troika – die Europäische Zentralbank, die Europäische Union und der Internationale Währungsfonds – macht weitere Rettungsgeldzahlungen von der Einführung von „Strukturreformen“ abhängig, also von der Entlassung von Beamten und der Privatisierung von Staatsunternehmen. Doch während der Wahlen schreckten die griechischen Politiker vor derartigen Maßnahmen zurück. Und anstatt dass die Troika Geld übersandte, schickte sie ihre Inspektoren, um die Fortschritte des Reformprozesses zu überprüfen.
Die erste Welle der Inspektoren zeichnete Anfang Juli ein „entsetzliches Bild“ von der Lage. Die zweite Welle ist 05.08.2012 mit ihrer Arbeit fertiggeworden – und plötzlich hat sich der Ton geändert; auf einmal waren von allen Seiten Worte wie „Zusammenarbeit“ und „Fortschritt“ zu vernehmen, und auch die Griechen stimmten der Auffassung zu, dass größere Anstrengungen von Nöten seien. Es kam zu einem wahren Lobesrausch! Und es machte sich auch gleich Argwohn breit, dass die Troika hier für etwas Vorarbeit leisten könnte, das den rettungsmüden Deutschen nicht gefallen dürfte.
Das war am 05.08.2012. Nun kam noch der Aufschub bis Oktober hinzu. Und im September steht noch eine Mega-Inspektion ins Haus, die nicht nur über ein paar Tage geht, sondern den ganzen Monat andauern wird. Von den abverlangten EUR 11,5 Milliarden an Austeritätsmaßnahmen hat die griechische Regierung bereits EUR 7 Milliarden identifizieren können, nach weiteren Sparmöglichkeiten wird jedoch noch gesucht.
Die Vorschläge der griechischen Regierung müssen „konkret“ und „implementierbar“ sein, „nicht bloß warme Worte“, so Quellen gegenüber dem Wall Street Journal. Das Treffen, wo über das Schicksal Griechenlands entschieden wird, findet angeblich am 08.10.2012.
Leider gehört zu den Rettungsauflagen aber auch, dass die griechische Regierung bis Ende 2012 15.000 Staatsbedienstete entlässt. Bis 2015 sollen 150.000 Angestellte des öffentlichen Dienstes entlassen werden. Angesichts der vollumfänglichen Arbeitsmarktkatastrophe könnten derartige Einschnitte – sollte sich die Koalitionsregierung überhaupt darauf einigen – erneut für Aufruhr auf den Straßen sorgen. Und diese Unruhen könnten bereits Ende August ihren Anfang nehmen.
Das ist nämlich der Zeitpunkt, wo den Griechen das Geld ausgeht. Das Datum der Zahlungsunfähigkeit ist der 20.08.2012. An diesem Tag werden Staatsanleihen in Höhe von EUR 3,2 Milliarden fällig. Europa befindet sich in Urlaub. Es wird das blanke Chaos. Und irgendwem wird man die Schuld daran geben. Aber die Griechen scheinen bereits eine Lösung gefunden zu haben, eine, die die Grundfeste der Eurozone untergräbt: Die Griechen drucken sich die notwendigen Euros einfach selber …