Der Umgangston wird härter: Mittlerweile gehört es selbst bei moderaten Politikern zum Standardrepertoire über das Auseinanderbrechen der Eurozone zu referieren. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie das Euro-Kartenhaus jetzt noch vorm Einsturz bewahrt werden soll

Wolf Richter, Testosteronepit.com, 19.08.2012

Der Euro war eigentlich nicht als Kartenhaus gedacht. Solange das „Vertrauen“ da war, dass die europäische Einheitswährung funktionieren würde, funktionierte sie auch: Die Finanzmärkte boten den verschwenderischsten Regierungen der Eurozone billiges Geld an, ohne irgendwelche Fragen zu stellen, und selbst die winzigsten Länder wie Zypern waren in der Lage in Rekordzeit phänomenale Geldbeträge aufzusaugen und zu verbraten. Die Eliten wurden immens reich, und selbst die anderen Mitglieder der Gesellschaft bekamen ein paar Krumen ab.

Aber alles, was jetzt noch von diesem wilden Rausch geblieben ist, sind Berge an verrottenden Schulden – und eine Kakophonie aus Zwistigkeiten, Schreiduelle über Staatspleiten und Visionen der Undurchführbarkeit. Einstige Tabus werden gebrochen, heilige Kühe geschlachtet und der Euro auf die Schlachtbank gehievt.

Da war der Milliardär Frank Stronach, der bekanntgab, in Österreich eine Anti-Euro-Partei gründen zu wolle. Während die Europäische Union ein Garant für Frieden und den freien Austausch von Gütern, Menschen, Dienstleistungen und Kapital sein sollte, könne sie, so Stronach, nur funktionieren, „wenn jedes Land seine eigene Währung hat.“

Stronach nannte den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), den noch nicht existierenden Rettungsfonds, mit dem die Eurozone angeblich gerettet werden soll, der zurzeit jedoch noch im deutschen Bundesverfassungsgericht festhängt, „Insolvenzverschleppung“. Und er hielt die Österreicher dazu an, den Euro über Bord zu werfen.

Der österreichische Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) würde aber am liebsten genau den entgegengesetzten Kurs einschlagen. In Sorge um die Exporte – die Hälfte der Arbeitsplätze in Österreich hängen daran – würde er lieber davon absehen, den Euro über Bord zu werfen. Stattdessen „brauchen wir die Möglichkeit, jemanden aus der Währungsunion zu werfen“, so Spindelegger, speziell „Länder, die sich nicht an ihre Zusagen halten.“ Und gegen Griechenland teilte er aus, dass das Land bezüglich seiner Zahlen gelogen hätte, um sich so Eintritt in die europäische Währungsunion zu verschaffen.

Doch leider müsste man die europäischen Verträge ändern, um in der Lage zu sein, ein Land aus der Währungsunion zu werfen, und das, so Spindelegger, würde wiederum fünf Jahre dauern. Aber er hat diesbezüglich bereits Gespräche mit anderen Finanzministern eingeleitet. Und obschon viele von ihnen die Vertragsveränderungen unterstützen, müssten alle 27 EU-Länder zustimmen, so der österreichische Außenminister, der sich seiner eigenen Träumereien anscheinend bewusst ist.

Die Standhaften in der Regierungskoalition gaben ihm umgehend Kontra. Einige nannten seine Ausführungen „populistisch“ – womit vielleicht gemeint sein dürfte, dass seine Vorschläge nicht im Interesse der Elitisten sind. Kanzler Werner Faymann machte sich jedenfalls Sorgen über die „negativen Folgen eines Auseinanderbrechens der Eurozone“, ja er sagte wörtlich „Auseinanderbrechen der Eurozone“ – ein Konzept, das mittlerweile so gewöhnlich ist wie die europäische Einheitswährung selbst, obwohl es unter Spitzenpolitikern vor nicht allzu langer Zeit noch als undenkbar galt, sich dergestalt zu äußern. Und auch in Deutschland kocht die Diskussion weiter hoch.

In Finnland schüttete der Außenminister Erkki Tuomioja unterdessen noch zusätzlich Benzin ins Feuer:

„Wir müssen offen der Möglichkeit eines Auseinanderbrechens des Euros ins Auge sehen. Unsere Beamten haben, genau wie alle anderen auch, wie jeder andere große Mitarbeiterstab, eine Art von Notfallplan für alle Eventualitäten.“

Der einzige Haken? „Ein Auseinanderbrechen der Eurozone würde kurzfristig mehr kosten, als die Krise zu verwalten.“ Es ist also nur eine Frage der Zeit, wann die Kosten, die in den vorangegangenen Jahren bereits angefallen sind, hochkochen: Veröffentlicht man sie heute oder kehrt man sie mithilfe der Rettungsfonds unter den Teppich, was Stronach ja richtig als „Insolvenzverschleppung“ bezeichnete.

Und genauso wie Stronach will auch Tuomioja die Europäische Union retten und sie dadurch, dass man den Euro über Bord werfen würde, wieder „funktionsfähiger“ machen. Toumioja bestätigte das Szenario, dass entweder der Süden oder der Norden aus dem Euro flüchten würde, „da diese Währung eine Zwangsjacke ist, die Millionen von Menschen Elend bringt und die Zukunft Europas vernichtet.“ Und dass er den Euro dann noch eine „totale Katastrophe nannte“, war auch nicht sonderlich hilfreich.

Nicht ein Tag vergeht, wo die Vorstellung des Auseinanderbrechens der Eurozone nicht in der Öffentlichkeit aufflammen würde. Dadurch wird beim Euro jedes Mal ein klein wenig mehr Vertrauen abgetragen – obwohl „Vertrauen“ ja das einzige ist, was das Kartenhaus gegenwärtig noch vorm Zusammenbruch bewahrt.

Die 21 EU-Gipfel zur Rettung der Eurozone, die Wellen an halbherzigen Werbezirkusveranstaltungen, die Buchstabensuppe zusammengeschusterter und wirkungsloser Rettungsmaßnahmen sind allesamt gescheitert, um auf der Schlitterbahn des Euro-Desasters zum Halten zu kommen.

Es gibt keinerlei Anzeichen, die darauf hindeuten, dass hier jemals ein Wundermittel gefunden wird. Und die Tatsache, dass das „Auseinanderbrechen der Eurozone“ mittlerweile selbst in den höchsten Kreisen der politischen Machtstruktur ein so weit verbreitetes Thema ist, hat dazu geführt, dass sich das Thema mittlerweile verselbständigt hat.

„Die Zahlungsunfähigkeit ist nicht zwingend zerstörerisch“, so Panayiotis Lafazanis, ein griechischer Politiker. Für die Griechen mag das stimmen, aber für die Europäische Zentralbank, die auf all den griechischen Anleihen sitzen geblieben ist, und die Geschäftsbanken, die die damit korrespondierenden Finanzderivate halten, ist es im höchsten Maße zerstörerisch. Daher die Rettungspaket – um sie über Wasser zu halten, nicht die Griechen. Aber selbst dieses Konzept ist mittlerweile auf Grund gelaufen.

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