Während die deutsche Wirtschaft abschmiert, versuchen die linientreuen BRD-Politiker, die Euro-Rettungsorgie auf Kosten und gegen den Willen der deutschen Steuerzahler durchzusetzen und den Abweichlern einen Maulkorb zu verpassen

Wolf Richter, Testosteronepit.com, 27.08.2012

In Deutschland ist ein ziemliches Getöse ausgebrochen, bei dem es im Grunde um die Vernichtung des demokratischen Diskurses geht. Genauer gesagt geht es um die Fragestellung, ob die deutschen Steuerzahler nun auf immer und ewig dafür zahlen sollen, dass Griechenland in der Eurozone verbleibt und die Anleihehalter – namentlich die Europäische Zentralbank und die Zentralbanken der einzelnen Euroländer – davor bewahrt werden, die Realität bezüglich der wurmstichigen griechischen Schulden in ihren Kellern anzuerkennen.

Die Mittel, die zum Einsatz kommen: Politischer Druck, fingierte moralische Entrüstung und Verächtlichmachung. Und die Schlammschlacht erstreckt sich nicht nur auf Deutschland: Das amerikanische Radionetzwerk NPR gab am Sonntag bekannt, dass der Rettung der Welt durch die Europäische Zentralbank und die deutschen Steuerzahler nur noch ein paar „Hardliner“ in Deutschland im Wege stünden.

Der Druck kommt von allen Seiten: Kanzlerin Angela Merkel soll die widerspenstigen, lästigen und nach medialer Aufmerksamkeit heischenden „Hardliner“ – deren Aussagen der deutschen Bevölkerung, die all das bezahlen soll, so einleuchtend erscheinen – mit aller Macht zum Schweigen bringen. Das Hauptziel: Alexander Dobrindt, der Generalsekretär der CSU, der im Hinblick auf die verschiedenen griechischen Regierungen, ihre Lügen und gebrochenen Versprechen, ihre Erpressungsversuche und ihre Forderungen nach immer mehr Geld zutiefst verbittert ist.

Das ist auch der Grund, warum er gegenüber dem Boulevardblatt „Bild“ erklärte: „Ich sehe Griechenland 2013 außerhalb der Euro-Zone.” Danach würde Griechenland einen Marschall-Plan bekommen, so Dobrindt. Und die Gerüchte, dass die EZB demnächst wohlmöglich unbegrenzte Mengen an Staatsschulden aufkaufen könnte, verleiteten ihn dazu, den EZB-Präsidenten als „Falschmünzer Europas“ zu bezeichnen.

Er „zündelt am europäischen Haus“, warnte Andrea Nahles, die Generalsekretärin der Oppositionspartei SPD. Und das muss natürlich verboten werden; Merkels Mahnungen, die Rhetorik zu entschärfen und den großen Troika-Bericht abzuwarten, seien einfach nicht ausreichend, so Nahles.

Was wir hier beobachten können, ist der Beginn eines Prozesses, um die demokratische Diskussion über ein teures und riskantes Unterfangen der deutschen Steuerzahler abzuwürgen. Ja, die Versuche, Dobrindt einen Maulkorb zu verpassen, kamen sogar aus seiner eigenen Koalition.

Die Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte: „Europa ist viel zu wertvoll, als dass es durch populistisches Gequatsche gefährdet werden darf.“ Sie forderte, dass sein Boss Horst Seehofer, der Premierminister von Bayern, ihm persönlich einen Maulkorb verpasst. Und Nahles machte Dobrindt sogar als „Stammtisch Kasper“ lächerlich.

Der CSU-Kollege Max Straubinger warf Dobrindt „provinzielles Gemeckere“ vor. Was Straubinger wesentlich mehr Sorge bereitet, ist, dass sich Griechenland mit einer entwerteten Drachme nicht mehr länger die Einfuhr von Importen leisten könne – also deutschen Exporten – und auch andere Dominosteine zu Fall gebracht würden.

Die Exporte – Deutschlands heilige Kuh – werden aber bereits abgeschlachtet, und überall im Land ist von Entlassungen die Rede. Am Freitag sickerte durch, dass Opel, das ausblutende Tochterunternehmen von General Motors, eine „Geheimstrategie“ verfolge, um 30% seiner Mitarbeiter zu entlassen … was von der Firma jedoch umgehend dementiert wurde.

Anfang vergangener Woche wurde bekannt, dass Siemens, Deutschlands drittgrößter Arbeitgeber, Stellenstreichungen plant, um den Rückgang bei den Auftragseingängen, die innerhalb der ersten drei Quartale dieses Jahres um 43%(!) eingebrochen sind, entgegenzuwirken. Einzelhändler wie Karstadt streichen ebenfalls Stellen und das Stahl-Konglomerat ThyssenKrupp verkürzt die Arbeitszeit.

Während die deutsche Wirtschaft weiter abschmiert, ist der Ifo-Geschäftsklimaindex im August erneut zurückgegangen, nachdem er bereits im Juli drastisch eingebrochen war. Und die Exporterwartungen, die in Deutschland von überragender Bedeutung sind, rutschten nun das erste Mal seit drei Jahren in den negativen Bereich ab. Die Erwartungen beim Einzelhandel sind nun bereits den sechsten Monat in Folge gesunken – was die sich anbahnende Katastrophe nur noch schlimmer macht.

Die Industriellen sind besorgt darüber, dass ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone (oder das Hinauszögern des Austritts) auch weitere Länder in den Abgrund reißen und somit auch die deutschen Exporte in Mitleidenschaft ziehen könnte. Für Merkel wäre das ein politischer Albtraum. Daher braucht sie auch etwas Großes und Unanfechtbares, hinter dem sie sich verstecken kann, namentlich den Troika-Bericht, der ihr Rückendeckung bescheren dürfte.

Deshalb hat Merkel auch ein Machtwort gesprochen: Solange kein neuer Troika-Bericht vorliegt, soll es keine weiteren Diskussionen über einen Austritt Griechenlands geben. Von dem Bericht hängt nun jede Menge ab. Merkel und Ihresgleichen führen ihn als Grundlage für künftige Entscheidungen über Griechenland an, und sie werden sich alle hinter diesem Bericht verstecken, ganz egal, wie sie am Ende auch immer entscheiden werden.

Der Bericht wird als wirkungsvolle Rechtfertigung dienen, selbst wenn die Rettungsprogramme um weitere zwei Jahre verlängert und viele weitere Milliarden an Hilfsgeldern bewilligt werden sollten – was in Deutschland in höchstem Maße unpopulär ist, da sich 72% der Deutschen gegen derartige Rettungsmaßnahmen aussprechen.

Aber das interessiert überhaupt nicht. Alle, angefangen mit Merkel, werden sich letztlich hinter dem Troika-Bericht verstecken, der ihnen dann aufgrund unumstößlicher „Fakten“ angeblich die Hände binden und die gesamte Schuld auf sich ziehen wird.

Im September werden die Troika-Inspektoren nach Griechenland zurückkehren, um sich mit dem Wirtschaftsschlammassel auseinanderzusetzen und rund einen Monat an den Staatsvertretern Griechenlands herumzukritisieren. Wahrscheinlich wird sich die Veröffentlichung des Berichts dann noch bis Oktober hinziehen, und mit einer Entscheidung über Griechenland – speziell wenn sie negativ ausfallen sollte – dürfte erst im November zu rechnen sein, also nach den US-Wahlen, so wie es sich Präsident Obama Gerüchten zufolge gewünscht hat.

Solch einen Bericht zusammenzuschustern, ist ein „ziemlich umfangreicher und auch komplizierter Prozess“, so Merkels Sprecher Steffen Seibert; dafür gäbe es „keine vorgeschriebene Zeitdauer“. All das unterstreicht nur, welche Strategie Merkel von Anfang an verfolgt hat.

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