Wolf Richter, Testosteronepit.com, 05.10.2012
An den deutschen Finanzmärkten sind eine trügerische Ruhe und ein trügerischer Optimismus eingekehrt. Bundeskanzlerin Angela Merkel bereitet sich zurzeit auf ihren Besuch in Griechenland vor, wo sie am Dienstag den griechischen Premierminister Antonis Samaras treffen wird. Es ist ihr erster Besuch in Griechenland seit 2007, lange bevor die Krise ausgebrochen war.
Samaras lobte Merkel bereits dafür, dass sie erklärte, angesichts all der leidenden Griechen würde ihr das Herz bluten – oder angesichts des Anblicks ihrer selbst mit Hitlerschnurrbart und Naziuniform in griechischen Boulevardblättern. Sie wird mit Sicherheit lautstark willkommen geheißen werden.
Vielleicht versucht sie sich gegenwärtig aber auch nur in Schadensbegrenzung, da in Deutschland – das euphorisch über zwei Jahre hinweg sein überlegenes Wirtschaftsmodell feierte – nun Ängste bezüglich der Wirtschaft und der Exportmärkte aufkommen. Und außerdem finden nächstes Jahr Wahlen statt. Es wäre für Merkel bedeutend einfacher, an der Macht zu bleiben, wenn sich Deutschland nächstes Jahr nicht in einer durch einbrechende Exportmärkte ausgelösten tiefen Rezession befände.
Die deutschen Exportmärkte waren ja schon mal zum Erliegen gekommen. Als die Finanzkrise in den USA, China und in geringerem Maße auch in Europa zuschlug, griffen die Kunden der Deutschen einfach nicht mehr zum Hörer. Im dritten Quartal 2008 brach das Bruttosozialprodukt auf Quartalsbasis um 2,1% ein, und im ersten Quartal 2009 lag der Einbruch sogar bei erschreckenden 3,8%. Aufs Jahr gerechnet war es ein Wirtschaftseinbruch im zweistelligen Prozentbereich – ein Albtraum, den kein deutscher Exporteur jemals wieder vergessen wird.
Nein, Deutschland wurde weder aufgrund seiner Genialität und harten Arbeit noch durch sein überlegenes Wirtschaftsmodell gerettet, sondern durch den Konjunkturbelebungs- und QE-Rausch in den USA, China und anderen Ländern. Die Erholung fiel massiv aus. Und ein paar Jahre später klopfte man sich kräftig auf die Schulter. Sie nannten es das deutsche „Erfolgsrezept“. Nun ja, das war im Oktober 2011.
Mittlerweile hat sich die Krise in jeden Bereich der Wirtschaft hineingefressen, und der Rückgang bei den Auftragseingängen der Exportbranche sorgt wieder einmal für weitflächige Ängste und Beklemmungen. Doch dieses Mal könnte es auch den Bereich treffen, der bisher immer als unverletzlich galt: Die Inlandsnachfrage.
Am 01.10.2012 kam es zum Maschinenbau-Massaker. Die Auftragseingänge für den Maschinenbau – einer der verhätschelten Schlüsselbranchen Deutschlands – gingen im Vergleich zum Vormonat um 11% zurück, während die Exportaufträge um 6% sanken. Die Ursache: Unsicherheit, die Abschwächung in China und das Eurozonen-Fiasko. Die Inlandsbestellungen brachen jedoch gleich um 18% ein.
Am 02.10.2012 war es dann das Massaker in der Autoindustrie. Die Pkw-Neuanmeldungen brachen im Vorjahresvergleich um atemberaubende 10,9% ein. Die deutschen Autoverkäufe konnten sich trotz der Krise erstaunlich gut halten und blieben bis Sommer dieses Jahres im positiven Bereich. Doch Juli war kein guter Monat. August war noch schlimmer. Und September kam es bei den Verkäufen dann zu einem massiven Einbruch, was das gesamte Verkaufsjahr noch tiefer in den negativen Bereich drückte.
Aber es gab auch einige Gewinner. Hervorzuheben wären hier die koreanischen Autobauer Kia (+44%) und Hyundai (+15,2%) – die seit Beginn der Finanzkrise im Aufwind sind – genauso wie Porsche und Audi. Mercedes konnte wieder einmal gerade so positive Zahlen ausweisen. Und die Liste der Verlierer war lang und beinhaltete sogar BMW und den Marktführer VW. Die Verkäufe von Ford gingen um 8,8% und die von Opel um 13,2% zurück. Und der Frühindikator für die allgemeine Wirtschaftsentwicklung – die Gewerbefahrzeuge (Busse, Lastkraftwagen und Traktoren) – legte ebenfalls einen steilen Absturz hin.
Am 03.10.2012 war es dann der deutsche Gesamteinkaufsmanagerindex des Fertigungs- und Dienstleistungsbereichs. Der Einkaufsmanagerindex ging im September abermals zurück, nachdem er bereits im August mit der höchsten Rate seit Juni 2009 gefallen war. Mittlerweile ist der Index den siebten Monat in Folge rückläufig, was auf einen Mangel an Auftragseingängen zurückgeht. Die Unternehmen arbeiten gerade ihre Auftragsbücher ab – und wenn das vorbei ist, wird es für die Produktion steil nach unten gehen.
Am 04.10.2012 musste die Baubranche ordentlich einstecken. Ja, vor sechs Monaten ging es ihr noch prima. Im September dieses Jahres gingen die Auftragseingänge bei den Bauunternehmen jedoch massiv zurück, wofür eine „gesamtwirtschaftliche Nachfrageabschwächung“ verantwortlich gemacht wird. Außerdem tat der Draghi-Bernanke-Effekt sein Übriges: Die Inflation bei den Produktionsfaktoren nahm an Fahrt auf.
Die Beschäftigung kam ebenfalls unter Druck. Opel und Ford jagen die roten Zahlen aus der Zylinderkopfdichtung, und auch andere Arbeitgeber versuchen zurzeit, die Kosten zurückzufahren. Das ist aber nicht ganz einfach. Zurzeit sind Verhandlungen im Gange, um die Kurzarbeit wieder einzuführen. Und Lufthansa gab gerade erst bekannt, dass es seinen Mitarbeiterstab in der Verwaltung mittels Frühpensionierungen und Abfindungen deutlich verringern wolle.
Selbst der Monster-Beschäftigungsindex, wo das Jahreswachstum bei den Internetwerbungen zu Beginn dieses Jahres noch bei über 30% gelegen hatte, kam am Freitag kräftig ins Schlingern. Im August lag der Index gerade einmal 7% über dem Vorjahreszeitraum, und im Monatsvergleich hat er sogar an Boden verloren und liegt nun 3,2% unter seinem Höhepunkt von April 2012.
Ja und dann kam noch das Blutbad bei den Auftragseingängen der Industriebranche. Saisonal bereinigt gingen sie im August gegenüber dem Vormonat um 1,3% zurück, was weit unter den Erwartungen lag. Die Exportaufträge stagnierten dank einer leichten Verbesserung der Auftragseingänge aus der Eurozone, die im Jahresvergleich jedoch immer noch mit 12,6% im Minus sind. Die Inlandsaufträge gingen aber insgesamt um 3% zurück – bei den Kapitalgütern lag der Einbruch bei 6,8%, was den Beobachtern einfach nur den Atem verschlug.
Und mit den immer leerer werdenden Auftragsbüchern und steigenden Lagerbeständen sieht sich die deutsche Wirtschaft natürlich mit einer zunehmenden Zahl an Herausforderungen konfrontiert. Die Verbraucher sind zurückhaltend geworden. Die Konzerngiganten überschlagen sich mit enttäuschenden Meldungen. Die Metro AG, Deutschlands größter Einzelhändler und Grossist, hat beispielsweise erst vor kurzem eine Gewinnwarnung ausgegeben, wofür sie Schwächen ihrer wichtigsten Märkte verantwortlich macht. Die Aktien gaben daraufhin ordentlich nach.
Aber der Draghi-Bernanke-Effekt wird’s schon richten und sich um die Märkte kümmern, nur keine Sorge. Stattdessen hat Deutschland zurzeit mit der größten Nahrungsmittelvergiftung aller Zeiten zu kämpfen. Aus China. Aber die Exporte nach China sind von entscheidender Bedeutung, weshalb das Debakel – 11.200 deutsche Kinder erkrankten an chinesischen Erdbeeren – natürlich gewissenhaft heruntergespielt wird.