Wolf Richter, Testosteronepit.com, 22.02.2013

Alle Hoffnungen ruhen auf Deutschland: Seine vibrierende Wirtschaft, die von globalisierten, ultra-wettbewerbsfähigen und exportorientierten Unternehmen nur so wimmelt, würde Frankreich und die anderen Euroländer aus dem Wirtschaftsschlamassel befreien. Ja, und dann gibt’s da noch die Realität.

Das Frankreich mit seinem Arbeitslosenfiasko im zweistelligen Prozentbereich gegenwärtig den Boden unter den Füßen verliert, wurde ja bereits durch den Einkaufsmanagerindex unzweideutig veranschaulicht. Nach drei Monaten falscher Hoffnungen ist der Index nun auf ein Tief gestürzt, das letztmals im März 2009 gesehen wurde – also mitten in der Finanzkrise!

Die Wirtschaftsaktivität Frankreichs ist bereits seit 18 Monaten rückläufig und die Auftragseingänge, ein Vorbote der künftigen Wirtschaftsaktivität, gehen seit nunmehr 19 Monaten zurück. Der französische Privatsektor steckt in massiven Schwierigkeiten.

Auf der anderen Seite des Rheins, in Deutschland, herrscht immer noch im Optimismus – und das obwohl die Wirtschaftsleistung Deutschlands im vierten Quartal 2012 um 0,6% zurückging (was daher auch die böse BIP-Überraschung genannt wurde). Der Wirtschaftsrückgang Deutschlands fiel damit im letzten Quartal genau so hoch aus, wie der der sich abquälenden Eurozone, die jetzt schon das fünfte Quartal in Folge ein Minus ausweist.

Frankreichs Rückgang von 0,3% war hingegen wesentlich moderater. Und während der französische Rückgang strukturellen Problemen zugeschrieben wird – die sich nur durch eine Reihe von Reformen und Anpassungen beheben ließen, bei denen der Gürtel der Franzosen enger geschnallt würde, bis sie kreischen –, wird Deutschlands wesentlich stärkerer Rückgang lediglich als „vorübergehend“ erachtet. Das würde sich von alleine erledigen.

Ein Beweis für diese Wahrnehmungsunterschiede: Der Einkaufsmanagerindex. Der deutsche Einkaufsmanagerindex lag immer noch im positiven Bereich, obwohl er im Januar zurückgegangen ist. Während die Aufträge im Dienstleistungssektor stagnierten, legten sie bei den Herstellern zu. Die „scharfe Erholung“ bei den Exporten wurde einer stärkeren asiatischen Nachfrage zugeschrieben. China würde Deutschland über die Runden helfen!

Nur leider ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands nicht China, und die USA sind es auch nicht. Es ist Frankreich. Frankreich nimmt rund 10% aller deutschen Exporte auf. Und dabei geht es nicht nur um Autos und monströse Technik. Deutschland exportierte, um hier mal ein köstliches Beispiel zu nennen, in den ersten elf Monaten des Jahres 2012 645.000 Tonnen Schokolade im Wert von EUR 2,7 Milliarden, was gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg von 5,7% entspricht. Und das wichtigste Zielland? Frankreich! Frankreich importierte 13,4% davon.

Angesichts der Tatsache, dass Frankreich gerade aus den Latschen kippt, versuchten die deutschen Exporteure händeringend, ihre asiatischen Verkäufe auszuweiten. Und sie investierten wie verrückt in China. Letztes Jahr funktionierte es. Die die deutschen Warenexporte sind auf einen Rekord von EUR 1,097 Billionen gestiegen, was gegenüber 2011 einen Zuwachs von 3,4% entspricht.

Die böse BIP-Überraschung hielt aber noch ein paar hässlichere Details bereit: Die Exporte sind im vierten Quartal 2012 gegenüber dem Vorquartal um 2% zurückgegangen. Und die Unternehmensinvestitionen sind gegenüber dem Vorjahr um 9,3% eingebrochen. Stattdessen investierten die Unternehmen lieber in China – denn für sie ist China der Ort, wo die Zukunft liegt, nicht die wirtschaftlich heruntergekommene Eurozone.

Und jetzt das … In 2012 schaffte Deutschland etwas, das weltweit nur ganz selten zu beobachten ist, und wird es dann doch einmal erspäht, hat es etwas von einer flüchtigen Fata Morgana: Ein Haushaltsüberschuss. Nicht groß, EUR 4,2 Milliarden. Das ist der erste Überschuss der letzten fünf Jahre und der dritte seit der Wiedervereinigung. Und obwohl die Bundesländer immer noch Defizite auftürmen, sind diese durch die Überschüsse der Gemeinden und der sozialen Sicherungssysteme mehr als wettgemacht worden.

Jedes Mal, wenn eine Regierung auch nur ansatzweise irgendwie in den Bereich eines Haushaltsüberschusses gerät, verdient das eine Runde Applaus. Wenn sich der Jubel dann wieder gelegt hat, kann man sich damit auseinandersetzen, wie die Regierung das eigentlich geschafft hat, ob sie es überhaupt geschafft hat oder es sich dabei lediglich um ein Hirngespinst staatlicher Buchhaltungsfantasien handelt … und warum man von den erschöpften Steuerzahlern überhaupt erst so viel Steuern absaugen musste.

Und vor dem Hintergrund dieser Besteuerung konnte der Privatkonsum in 2012 – ein weiteres Detail der bösen BIP-Überraschung – lediglich um 0,6% zulegen. Der Verbrauch des in Rekord-Steuereinnahmen schwimmenden Staats stieg unterdessen aber um 1,4%. Und zum Ende des Jahres wurde es noch schlimmer: Die Einzelhandelsverkäufe legten im Dezember mit -4,7% eine Bruchlandung hin. Für den Einzelhandel liegen die Januarzahlen noch nicht vor, aber die Fahrzeugverkaufszahlen liegen bereits vor, und die waren …

Die Fahrzeugverkäufe insgesamt brachen im Januar dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahresmonat um 9,3% ein. Nicht minder desaströs sind die PKW-Verkaufszahlen, die um 8,6% abstürzten. Die größten Verlierer unter den Autobauern, die in Deutschland als deutsche Marken erachtet werden: Ford -32,2%, und die Verkäufe von VW – dem Megastar, der nichts falsch machen kann – gingen um 13,3% zurück. Bei den ausländischen Marken erlitt Lexus einen atemberaubenden Einbruch von 62,8%.

Ja, in Deutschland ist es schwer heutzutage. Und ein Indikator dafür, wie die Unternehmen ihre Zukunft in Deutschland einschätzen – die Verkäufe von leichten und schweren LKWs –, ging um 14,6% zurück, während die Verkäufe von Traktoren um 23% einbrachen. Bei den jüngsten Fahrzeugverkaufszahlen findet sich nicht ein Fünkchen Positives.

Das ist die Wirtschaftsmaschine Europas, das Land, von dem erwartet wird, dass es Europa aus seiner Malaise befreit. Sicher, die Situation könnte sich in Windeseile auch wieder drehen. China und die anderen asiatischen Länder könnten einen Tsunami an Bestellungen lostreten. Frankreich könnte plötzlich eine Wirtschaftserholung erleben. Wunder geschehen immer wieder. Und das könnte auch dazu gehören …

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