Don Quijones, Testosteronepit.com, 14.04.2013

Im Mai 2011 wurden die zwei wichtigsten Plätze Spaniens – Madrids Puerta del Sol und Barcelonas Plaza Catalunya – von zigtausenden empörten Demonstranten besetzt. Vielen hochgebildeten und desillusionierten jungen Spaniern reichte es, und für einen kurzen Augenblick schien es so zu sein, als würde eine neue Ära politischer Mobilisierung anbrechen.

Ein paar Wochen später, als die katalonische Bereitschaftspolizei, die „Mossos D´esquadra“, die ganze ungezügelte Wut des Staats gegen das provisorische Camp der Demonstranten auffuhr, wurden diese Hoffnungen aber brutal niedergeschmettert – alles unter dem Vorwand, Barcelona von Gesundheits- und Sicherheitsrisiken zu befreien (schließlich ist das hier Europa!). Die Botschaft war unmissverständlich: Alle Versuche, gegen die neue wirtschaftliche Realität Europas Widerstand zu leisten, ganz egal wie friedfertig sie auch sein mögen, werden brutal niedergeschlagen.

Es dauerte nicht einmal eine Stunde und im Handumdrehen wurde der Platz mit Polizeigewalt von den Demonstranten und all ihren Habseligkeiten – die sie in vielen Fällen nie wiedersahen – gesäubert. Und die ganze Zeit über stand ein großer, dichtgedrängter Ring völlig verstörter Demonstranten und neugieriger Zuschauer rund um den Platz herum und schaute sich das Treiben in einer Mischung aus Befremdung, Angst und Wut an.

Ich gehörte auch dazu. Während ich mich am Rande des Platzes herumtrieb und dabei ein Auge auf die gekränkten Demonstranten und ein anderes auf die beängstigend stark bewaffnete und völlig unberechenbare Bereitschaftspolizei warf, fiel mir ein Plakat auf. Die Botschaft auf dem Plakat war wunderbar einfach: „No soy anti sistema, el sistema es anti yo.“ (Ich bin nicht gegen das System; das System ist gegen mich.)

Das Schild wurde von einem kleinen Kind hochgehalten, das auf der Schulter seines Vaters saß. Der zynische Realist in mir wusste natürlich, dass der Junge, der vielleicht fünf oder sechs Jahre alt war, lediglich die Botschaft seines Vaters übermittelte. Doch das hielt die romantische Seite in mir nicht von der Vorstellung ab, dass es das Kind sei, das sich hier entschieden für seine schon bald verlorene Generation ausspricht.

Denn wenn es eine Sache gibt, der man sich im heutigen Europa sicher sein kann, dann ist es, dass die politischen und wirtschaftlichen Systeme nicht dafür da sind, die Interessen der Jugend zu schützen. Das Gegenteil ist der Fall: Diese Systeme wurden so designt, dass sie die letzten noch verbliebenen Freiheiten und Rechte der Jugend sukzessive aushöhlen, indem sie ihnen die Rechnung für die Verschwendungssucht und Gier des weltweiten Bankensektors präsentieren und ihnen alle Hoffnungen darauf nehmen, dass sie jemals den Lebensstandard erreichen werden, den ihre Eltern und Großeltern noch für selbstverständlich erachtet haben.

Spanien ist das perfekte Beispiel: In den zwei Jahren, die nun nach der Bewegung des 15. Mai ins Land gezogen sind, ist die Wirtschaft in eine bodenlose Depression abgetaucht. Die offizielle Jugendarbeitslosenquote liegt bei schwindelerregenden 60%. Tausende spanische Sparer und Rentner wurden um ihre Lebensersparnisse gebracht; sie sind Opfer der Arglist ihrer eigenen Banken geworden – und die kommen damit natürlich straffrei davon. Die Menschen wurden mit der „Preferentes“-Nummer abgezogen.

Unterdessen schießen die Steuern weiter in die Höhe, während essentielle Sozialleistungen gnadenlos auf dem Altar der Bankenrekapitalisierung geopfert werden. Unzählige spanische Eigenheime gingen in die Zwangsvollstreckung – was auch heute noch der Fall ist –, nur um dann später zu einem Bruchteil ihres Wertes von internationalen Immobilienspekulanten aufgekauft zu werden.

Und das wohl Schlimmste von allem: Die jetzige spanische Regierung, die sechs Monate nach der Gründung der Bewegung des 15. Mai das Zepter übernahm, hat sich mittlerweile als die korrupteste und inkompetenteste Regierung der jüngeren Geschichte herausgestellt.

Aber Spanien ist keineswegs ein Einzelfall; wenn überhaupt ist Spanien lediglich ein Symptom für Entwicklungen, die überall in der Eurozone stattfinden. Von Zypern bis nach Portugal und von Frankreich bis nach Slowenien hat man der arbeitssamen Mittelschicht den Krieg erklärt.

Und nun, wo der Winter zum Frühling wird und der Frühling schon bald dem Sommer weichen wird, steht Europa vor schwerwiegenden Entscheidungen: Resignation gegenüber der neoliberalen, neofeudalen Agenda der EU und der damit einhergehenden schrittweisen Auslöschung der wenigen verbliebenen Freiheiten und Möglichkeiten, die wir zurzeit noch haben; oder ein leidenschaftliches letztes Aufbäumen gegen den immer stärker um sich greifenden Totalitarismus des europäischen Superstaats.

Doch bevor Sie Ihre Entscheidung treffen, lassen mich zuvor noch ein paar persönliche Beobachtungen bezüglich unserer aktuellen Situation und der künftigen Entwicklungen anführen:

1. Falls Sie es noch nicht mitbekommen haben sollten: Wir befinden uns bereits vollumfänglich im Besitz des internationalen Bankenkartells und der systemrelevanten Banken.

2. Ein Großteil unserer politischen Repräsentanten und Institutionen – ob nun auf EU-Ebene oder auf nationaler Ebene – sind von genau diesen Banken gekauft worden, deren Agenten (die nationalen Zentralbanken, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die Europäische Zentralbank, die Europäische Kommission, der Internationale Währungsfonds, die OECD und die Weltbank) zurzeit weit über allen anderen politischen Akteuren der globalen politischen Ordnung thronen.

3. Diese Banker sind im Grunde bankrott – und zwar finanziell wie auch moralisch. Und sie stehen buchstäblich über Recht und Gesetz. Dadurch, dass es ihnen weiterhin erlaubt wird, in ihrer Mark-to-model-Fantasiewelt zu operieren, während über ihnen buchstäblich kostenloses Zentralbankgeld herabregnet und sie regelmäßig mit Steuerzahlergeldern versorgt werden, haben unsere Politiker nur allzu deutlich zur Schau gestellt, welche Hand sie füttert. Und da dem so ist, wird es den Bankenchefs – solange das aktuelle Finanzsystem existiert – auch weiterhin freistehen, unsere nationalen Wirtschaften und Bankkonten auszubluten.

Golem XIV schrieb in seinem Blog, dass es nun eine offizielle Liste des Financial Stability Board gibt, auf der 28 Banken stehen, die jetzt schalten und walten können, wie sie wollen, ohne dafür rechtlich belangt zu werden. Genauso wie HSBC können sie Geschäfte mit einigen der weltweit am meisten gesuchten Verbrecher durchführen, ohne Gefahr zu laufen, rechtlich dafür belangt zu werden. Und Golem merkt an, dass wir uns diesen Monat auch noch auf die Bekanntgabe einer weiteren Liste freuen dürfen, „dieses Mal die Liste weltweit systemisch wichtiger Versicherer (G-SIIs). Auch sie werden über Recht und Gesetz stehen.“

4. Die Demokratie spielt in der Europäischen Union überhaupt keine, allenfalls eine symbolische Rolle. Die größte Sorge gilt dem Überleben und der Ausweitung des europäischen Superstaats. Diesem Ziel werden alle anderen moralischen, politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Sorgen untergeordnet. Und da dem so ist, wird es auch nicht erlaubt werden, dass irgendeine echte Form von demokratischer oder zivilgesellschaftlicher Bewegung Fuß fasst. Genauso wie im stalinistischen Russland wird alle Macht in den Händen gesichtsloser Apparatschiks liegen, die nicht zur Rechenschaft gezogen werden können und im Dienste der globalen Banken und Konglomerate agieren.

5. Die Realwirtschaft – also alles, was nicht an der Börse notiert – stürzt immer weiter in den Abgrund. Die Unternehmen werden weiterhin schließen und auch die Arbeitsplatzvernichtung wird mit alarmierender Rate weiter anhalten, während die Steuern erhöht werden. Darüber hinaus wird man den wohlfahrtsstaatlichen Systemen Europas – auf die die ganze Welt einst neidisch blickte – in einem politisch passenden Augenblick den finalen Todesstoß versetzen. Logisch, dass die dann privatisierten, neuen Gesundheits-, Bildungs-, und Rentensysteme nur den Aufwärtsmobilen dienen werden (also nicht uns).

Anstatt für essentielle öffentliche Dienstleistungen und Versorgungssysteme wie das Gesundheitswesen, die Bildung, die Renten und die Infrastruktur zu zahlen, wird die sich immer weiter aufblähende Steuerlast in Richtung zweier Ziele gelenkt werden: Die Rettung der Banken und die Aufrechterhaltung des sich immer stärker ausweitenden polizeistaatlichen Apparats, den man noch brauchen wird, um die kollabierende Zivilgesellschaft unter Kontrolle zu halten. Mit anderen Worten: Wir werden dazu gezwungen werden, unsere eigene Versklavung zu finanzieren.

6. Und am wichtigsten: Die Tage des weltweiten Finanzsystems sind bereits gezählt. Das System bricht gegenwärtig unter der Last nicht tragfähiger Schuldenniveaus, unbezahlbarer Pensionssysteme und einem Derivatemarkt zusammen, dessen Gesamtwert das weltweite BIP um Größenordnungen übersteigt, die sich dem menschlichen Verstand entziehen.

Die Frage ist, wer die Trümmer auflesen und ein neues, stabileres System errichten wird, nachdem das alte zusammengebrochen ist. Werden wir, die Bevölkerung, es sein oder werden es dieselben Banker, Zentralbanker und massiv kompromittierten politischen Volltrottel sein, die uns überhaupt erst hierhin geführt haben? Werden wir mutig unsere neue Zukunft einfordern oder werden wir uns aus Angst und Verzweiflung dem totalitären Nirwana der globalen Banker ergeben?

Welche Entscheidung die Europäer in den kommenden Monaten und Jahren auch immer treffen mögen, eines ist klar: Die menschlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kosten werden so oder so unglaublich ausfallen. Die traurige Wahrheit ist doch, dass wir uns soweit in den Kaninchenbau exponentieller Schuldenausweitung führen ließen, dass es Jahre an gemeinsamer Anstrengungen und Opfern bedarf, bis wir wieder Licht am Ende des Tunnels sehen werden.

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