Wolf Richter, Testosteronepit.com, 23.04.2013

Einige prominente Deutsche haben bereits öffentlich ihre Zweifel bezüglich der Zukunft des Euros zum Ausdruck gebracht. Ein paar Politiker haben unterdessen versucht, die Anti-Euro-Misstöne aus den Abendnachrichten zu verdrängen, und dann haben wir noch die Anti-Euro-Partei „Alternative für Deutschland“, die genau rechtzeitig vor der Bundestagswahl im September gegründet wurde, in der Hoffnung, dass man genug Stimmen einsammeln kann, um in den Bundestag einzuziehen.

Aber im Epizentrum der Macht, also in der Nähe von Kanzlerin Angela Merkel, wurde bereits eine rote Linie gezogen. Und diese rote Linie ist, dass der Euro weit mehr ist als einfach bloß eine Währung – er ist ein heiliges Konzept, eine Art von Religion, die es wert ist, geschützt zu werden, koste es, was es wolle. Und sogar weite Teile der Opposition folgen dieser Linie. Und obwohl die Möglichkeit, dass ein kleines Land aus der Eurozone austreten könnte, mittlerweile mehr oder weniger akzeptiert wird, gilt der Euro an sich diesen Kreisen als unantastbar. Zumindest bis jetzt.

„Dem Euro gebe ich mittelfristig nur eine begrenzte Überlebenschance,“ so Professor Kai A. Konrad, der Vorsitzende des Wissenschaftsbeirats beim Bundesfinanzministerium, einem Beratungsgremium im Epizentrum der Macht. Er ist Direktor beim Max Planck Institute und dort für Steuerrecht und Staatsfinanzen zuständig.

In einem von der Zeitung „Welt“ veröffentlichten Interview ließ er einen Testballon steigen, eine Alternative, eine Gotteslästerung für die Deutschen, eine Art großer Kompromiss, eine Austrittsstrategie, wenn man so will, ein Weg, wie jedes Euroland aus der Krise kommen kann, ein Plan B, dessen Existenz von der Regierung bisher vehement bestritten wurde.

Die europäische „Austeritäts“-Politik – das Allheilmittel, um die Eurozone zusammenzuhalten – ist nun unter massive Kritik geraten. Aber Konrad ist kein Softie, was das angeht: „Kein Land kann beliebig viele Schulden machen, ohne sich der Gefahr auszusetzen, dass die Anleger irgendwann den Stecker ziehen.“ Und genau das ist ja den Ländern widerfahren, die sich zurzeit im Zentrum der Schuldenkrise befinden.

Laut Konrad müsste es daher im Interesse eines jeden Eurolands liegen, die Schuldenstände niedrig zu halten. Seines Erachtens gibt es dafür aber keine fixe Schuldengröße, wie etwa das Schulden/BIP-Verhältnis von 60%, das im (mittlerweile praktisch für obsolet erklärten) Maastricht-Vertrag vereinbart wurde. Vielmehr hänge die Kreditfähigkeit der Euroländer von den Wachstumsaussichten und der demographischen Entwicklung ab.

Als der Maastricht-Vertrag vereinbart wurde, konnte die Verschuldungsgrenze von 60% des BIP noch irgendwie gerechtfertigt werden, da diese Zahl auf den Wachstumsaussichten der Euroländer basierte. Im Rückblick sei diese Verschuldungsgrenze aber zu hoch gewesen, da sich die Wachstumsprognosen als viel zu hoch herausgestellt hätten, was die Kreditfähigkeit der schwachen Länder zusätzlich verschlechtern würde.

Und Konrad sah ein weiteres Problem mit den strikten Schulden- und Defizitgrenzen: „Wenn man versucht, solche Auflagen Mitgliedsstaaten aufzuzwingen, schafft man Ressentiments und riskiert am Ende das Projekt Europa.“

Das gilt vor allem im Hinblick auf das Verhältnis Deutschlands zu den geretteten Ländern wie Griechenland, wo Merkel sogar schon in Naziuniform gezeigt wurde. Stattdessen, so Konrad, sollten die Euroländer eigenständig darüber entscheiden, wie viel Kredit sie aufnehmen wollen, aber sie müssten für ihre Schulden dann auch selbst geradestehen.

Für deutsche Verhältnisse ist das eine radikale Auffassung: Jedes Euroland soll sich so stark verschulden, wie es ihm gefällt! Und der zweite Teil, dass jedes Euroland für seine Schulden ganz alleine geradestehen müsse und es nicht zu einer Haftungsunion kommen dürfe, nun, das wurde ja eigentlich bereits im Maastricht-Vertrag geregelt. Der Maastricht-Vertrag war eines der hieb- und stichfesten Versprechen, die den deutschen Politikern gemacht wurden, damit sie die Deutschen dazu bringen konnten, die D-Mark aufzugeben – ein Versprechen, das sich mit der ersten Euro-Rettung als Lüge herausstellte.

Aber für Konrad geht es nun um den großen Kompromiss, Plan B: Vergessen wir einfach die Schulden- und Defizitgrenzen des Maastricht-Vertrags. Soll doch jedes Euroland Schulden machen, wie es will. Aber wenn Anleger den Stecker ziehen, gibt es halt kein Rettungspaket, keine Troika, keine EZB-Anleihen und keine deutschen Inspektoren, die sich durch die Unterlagen der Finanzministerien wühlen. Jedes Land müsste dann alleine mit seinen Anlegern klarkommen und die Defizite eigenständig finanzieren.

Um die Pleite eines Eurolandes zu ermöglichen, müssten die Banken laut Konrad krisensicher gemacht werden. Und er sprach hier nicht von Eigenkapitalanforderungen, Derivaten oder dergleichen, sondern darüber, dass sich die Finanzinstitute aus der Finanzierung von Staatsschulden vollständig zurückziehen sollten, so dass die Banken nicht gleich ein Systemrisiko darstellen, wenn ein Land in die Pleite abrutscht.

Das ist ein Paradigmenwechsel. Zurzeit kaufen die europäischen Banken von ihren eigenen und fremden Regierungen riesige Mengen an Staatsschulden auf. Laut Konrads Vorschlag wäre es den Banken verboten, irgendwelche Staatsschulden zu kaufen, wodurch sie vor einer Staatsschuldenkrise geschützt wären. Aber das dürfte auch nicht funktionieren, wenn man bedenkt, wie stark die Regierungen bei der Finanzierung ihrer Defizite auf die Banken angewiesen sind. Daher kommt Konrad dann auch zu einem trostlosen Schluss – der gleichzeitig auch der Testballon für die neue Regierungslinie ist.

„Sagen wir es so: Europa ist mir wichtig. Der Euro nicht. Und dem Euro gebe ich mittelfristig nur eine begrenzte Überlebenschance.“ Darauf gefragt, was er mit „mittelfristig“ meine, sagte er vorsichtig, dass sich genaue Zeiträume dafür kaum benennen ließen, da dies von einer Vielzahl von Faktoren abhängig sei, er dabei aber wohl die nächsten fünf Jahre im Blick habe.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner