Wolf Richter, Testosteronepit.com, 26.04.2013
Das Großherzogtum Luxemburg hat mit seiner Bevölkerung von gut einer halben Million Menschen – es ist also noch kleiner als Zypern, der andere winzige Fleck in der Eurozone – das dritthöchste Pro-Kopf-BIP der Welt. In einer Vermögenserhebung der Eurozone wies Luxemburg das größte durchschnittliche Haushaltsvermögen auf – EUR 710.000. Nur Zypern, das einstige Offshore-Bankenzentrum der Eurozone, kam ansatzweise in diesen Bereich. Und doch läuft Luxemburg nun Gefahr, ruiniert zu werden.
Das Land hat 141 Banken – also einzelne Unternehmen, nicht Geldautomaten. In Luxemburg kommt auf 3.808 Menschen eine Bank. Die meisten sind Privatbanken. Die Finanzbranche stellte 2010 38% des Bruttoinlandsprodukts und sorgte für 30% aller Steuereinnahmen, so der luxemburgische Bankenverband ABBL. Und das alles nur wegen des Bankgeheimnisses und der Steuergesetzgebung. Aber jetzt, nach dem Zypern-Massaker, gerät das Ganze ins Stocken.
Deutschland und andere Länder fahren nun ihre ganz großen Geschütze auf und richten sie in Richtung Luxemburg, das sich mittlerweile bereiterklärt hat, ab 2015 an einem internationalen, automatisierten Datenaustausch zu partizipieren, bei dem die Bankdaten der ausländischen Kunden an ihre Heimatländer übermittelt werden.
Der Premierminister Jean-Claude Juncker verkündete zurückhaltend, dass die Aufhebung des Bankgeheimnisses gar keine so große Sache sei und Luxemburg in Wirklichkeit nicht von Steuerhinterziehung leben würde. Für die Banken „werden die Lichter 2015 nicht ausgehen“, so Juncker.
Während des gesamten Eurozonen-Rettungsdebakels, dem Junker bis Februar dieses Jahres als Eurogruppenchef vorstand, hat er ein ums andere Mal unter Beweis gestellt, dass er ein unverbesserlicher Optimist ist.
„Es wird damit gerechnet, dass in den kommenden Jahren nur 60 bis 70 Banken überleben werden,“ erklärte Alain Steichen, ein prominenter luxemburgischer Anwalt für Steuerrecht, auf einer Konferenz, die die Auswirkungen der Datenaustauschvereinbarung zum Gegenstand hatte. Und Steichen muss es wissen.
Aus seinem Onlineprofil geht hervor, dass er „Thomson bei dem Kauf von Reuters behilflich war, um Thomson Reuters zu schaffen, dessen Haupt-Holding ihren Sitz in Luxemburg hat.“ Und er „unterstützte Chase Manhattan beim Kauf von JPMorgan, um die Hauptholding in Luxemburg zu gründen.“ Ja genau, es geht mit zahlreichen Vorteilen einher, wenn man seine Geschäfte über Luxemburg abwickelt.
Man nehme das Bankgeheimnis, kombiniere es mit Briefkastenfirmen und schon hat man einen besonders saftigen Cocktail. Zu diesem Zweck hat sich um die Banken herum eine ganze „Treuhänder“-Branche ausgebildet. Diese Buchhaltungs- und Rechnungsprüfungsfirmen und Rechtsanwaltskanzleien gründen und verwalten steuerbegünstigte Briefkastenfirmen. Ihre Direktoren und Geschäftsführer fungieren dabei als die Inhaber dieser Briefkastenfirmen. Der Kunde und die Geldquelle bleiben für die Außenwelt im Dunkeln.
Es ist ein perfektes Geldwäschesystem. Und da die Banken bei diesem Modell Geschäfte mit luxemburgischen Briefkastenfirmen machen, nicht mit Ausländern, und die Zeichnungsberechtigten dieser Briefkastenfirmen zu den tragenden Säulen der luxemburgischen Gesellschaft zählen, bleibt dieses Geschäftsmodell von dem automatischen Datenabgleich völlig unberührt. Aber jetzt sind auf einmal auch die Briefkastenfirmen unter Angriff geraten – und zwar nicht nur in Europa, sondern auch im US-Kongress.
„Ich rechne mit ernsthaften Veränderungen in der Bankenlandschaft, weil es zu Abhebungen der Kunden kommen wird,“ so Steichen. Einige Banken, führt er weiter aus, „würden die kritische Masse verlieren, die sie zum Überleben brauchen.“
Die Privatbanken, über die Steichen sprach, verwalteten laut ABBL EUR 300 Milliarden an Vermögenswerten und machten dabei EUR 3,14 Milliarden Umsatz, während sie EUR 503 Millionen an Steuern entrichteten. Sie beschäftigen direkt oder indirekt über 10.000 Menschen. Von den verwalteten Vermögenswerten stammen 19% aus Luxemburg und der Rest aus dem Ausland. Die Hälfte dieses Systems würde verschwinden; die Überlebenden müssten schrumpfen.
„Ein großer Teil der Kunden luxemburgischer Banken hat nichtdeklariertes Geld,“ so Steichen. Ihnen bliebe daher kaum eine andere Wahl, als ihre luxemburgischen Konten zu schließen. Sie könnten die Gelder wieder in ihre Heimatländer überweisen – und dort Gebühren, Steuern und Strafzahlungen entrichten – oder die Gelder nach Singapur, Monaco oder in andere zwielichtige Steueroasen überweisen. Wie auch immer, auf alle Fälle würden die Vermögenswerte Luxemburg verlassen und mit ihnen würde sich auch ihre Fähigkeit, Einkomme, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen zu schaffen, in Luft auflösen.
In der Schlacht um Zypern wurde dieses „nichtdeklarierte Geld“ auch „Schwarzgeld“ genannt. Ein Großteil davon stammte aus Russland. Nordeuropa revoltierte gegen die Briefkastenfirmen und ihre Schwarzgeldkonten. Und wo sie gerade dabei waren, legten die Nordeuropäer – hier zählte dieses Mal auch Frankreich mit dazu – gleich auch die gesamte Offshore-Maschinerie lahm, paralysierten die zypriotische Wirtschaft und zerschmetterten ihre größte Einkommens- und Vermögensquelle. Das ganze Geschäftsmodell wurde zerlegt. Angestachelt von diesem Erfolg, schwenkte Nordeuropa inklusive Großbritannien seine Geschütze in Richtung Luxemburg.
Luxemburg war entsetzt. Es gab allzu viele Parallelen zwischen ihnen und den Zyprioten – die Briefkastenfirmen, die ausländischen Schwarzgelder, ein aufgeblähter Finanzsektor, das hohe Vermögen der Haushalte … und das alles in einer Ära der Austerität, wo in anderen Ländern gerade die Pensionen, Gehälter und Sozialleistungen auf die Schlachtbank gezerrt wurden.
Die Steuern wurden wie in Frankreich auf absurde Niveaus angehoben. Überall wurde bei den Armen der Gürtel enger geschnallt. Ganz klar, dass da die Steuerhinterziehung der Reichen und weniger Reichen ebenfalls in den Blick geriet. Die Regierungen würden mit aller Härte dagegen vorgehen – nein, nicht gegen ihre eigenen Steuersünder, sondern, viel bequemer, gegen die Länder, die ihren Lebensunterhalt damit verdienten, ihnen zu helfen.
Und in Luxemburg, wo 38% des BIP vom Finanzsektor stammt, könnte man sich einen plötzlichen „Übergang“ zum neuen Geschäftsmodell im Stile Zyperns gar nicht leisten. Im Rahmen dieses Prozesses könnten einige Banken zusammenbrechen. Es käme zu einer Wirtschaftsdepression und das Vermögen des Landes würde verheert.
Stattdessen erklärte sich Luxemburg zur Kooperation bereit, im Gegenzug für einen schrittweisen Übergang, einige Schlupflöcher, ein klein wenig Spielraum – alles in dem Wissen, dass die guten Zeiten vorüber sind und am anderen Ende des Spektrums das zypriotische Szenario droht.