Don Quijones, Testosteronepit.com, 11.05.2013

Früher war ich ein bekennender Konvertit und hatte mich dem europäischen Projekt verschrieben. Lange bevor ich Großbritannien verlassen hatte, glaubte ich fest an den europäischen Traum, die Idee, dass Europa seine fast schon prähistorischen Spaltungen überwinden und es zu einer neuen Ära der Einheit kommen würde.

In den letzten fünf Jahren hat sich meine Auffassung diesbezüglich jedoch ein klein wenig gewandelt. Umso mehr ich über die trostlose Realität der europäischen Integration herausfand, desto stärker wurde mir klar, dass die Ängste der Briten im Hinblick auf die Gefahren, die von der EU für die nationale Souveränität und die Demokratie an sich ausgehen – Ängste, die ich in meiner Jugend als kindisch und irrational beiseite wischte –, völlig begründet gewesen sind.

Im Folgenden finden Sie ein paar der herausragendsten Punkte des anhaltenden europäischen Experimentes, mit denen die politische und wirtschaftliche Zentralisierung immer weiter vorangetrieben wird und die das Leben von fast einer halben Milliarde Europäer radikal verändern:

1. Laut einigen Schätzungen handelt es sich bei bis zu 80% aller Gesetze, die in den nationalen Parlamenten Europas verabschiedet werden, um Edikte aus Brüssel, die einfach nur abgenickt werden.

Und der Umfang der EU-Einmischungen in nationale Fragen nimmt Tag für Tag weiter zu. Erst letzte Woche verabschiedete die EU-Kommission eine neue Welle an Regulierungen, um zu kontrollieren, welche Arten von Saatgut von den Landwirten Europas gehandelt werden können und welche nicht – womit den kleinen Landwirten Europas ein schwerer Schlag versetzt wurde, während die Macht der Saatkonzerne weiter gestärkt wird.

2. Entgegen der weitläufigen Auffassung unter Europäern hat das Europaparlament keinerlei Entscheidungsbefugnisse.

Das Europaparlament ist wie ein Eunuche – und im Grunde ist das bereits seit seiner Gründung so. Es ist einzig dafür da, Gesetze, die von der nichtgewählten EU-Kommission vorgeschlagen werden, zu verabschieden oder abzulehnen, obwohl es auch über die Macht verfügt, EU-Kommissare zum Rücktritt zu zwingen, was 1999 sogar schon einmal geschehen ist, nachdem der Kommissions-Insider Paul Van Boetenin mit Betrugsvorwürfen an die Öffentlichkeit ging.

3. Seit 1994 fand bei der EU keine ordentliche Haushaltsprüfung statt.

Die Finanzangelegenheiten der Europäischen Union sind derart undurchsichtig, dass Marta Andreasen – die erste professionelle Buchhalterin, die als Hauptbuchhalterin der EU-Kommission tätig wurde – sich 2002 weigerte, die Konten der EU gegenzuzeichnen, weil sie befürchtete, dass es sich bei dem Buchhaltungssystem der EU um offenen Betrug handelt. Nachdem sie damit an die Öffentlichkeit ging, wurde sie von der EU-Kommission beurlaubt und einige Zeit später entlassen.

4. Der EU-Rettungsfonds – der Europäische Stabilitäts-Mechanismus –, der Ende 2012 im EU-Recht verankert wurde, steht über allen nationalen Wirtschaftgesetzen der einzelnen Euroländer.

Und in altbewährter EU-Tradition gibt es auch in dieser neuen Organisation weder Transparenz, noch kann irgendwer für seine Handlungen zur Rechenschaft gezogen werden. Das Gegenteil ist der Fall: Der ESM steht – genau wie die Federal Reserve Banken in den USA – über allen Gesetzen.

5. Seit Beginn der Krise in 2008 ist die Europäische Kommission – als eines der drei Mitglieder der gefürchteten Troika, zu der auch noch der Internationale Währungsfonds und die Europäische Zentralbank gehören – gegenüber den Forderungen der Bankenlobby bei jeder einzelnen Gelegenheit auf Kosten der europäischen Steuerzahler und Einleger eingeknickt.

Bei dem letzten Rettungspaket für Zypern hat die Troika ihr Versprechen gebrochen, die Einleger bei den Rettungsmaßnahmen der bankrotten europäischen Finanzinstitutionen außen vor zu lassen.

Brüssel: Das Schlaraffenland der Lobbyisten

Einer der Aspekte der EU, über den am wenigsten berichtet wird, ist der gewaltige Einfluss, den mächtige, internationale Lobbygruppen bei der Erstellung von neuen Gesetzesentwürfen haben.

Die Gesetzgebung der EU-Kommission wird vornehmlich ohne irgendeine echte öffentliche Debatte durch im Geheimen stattfindende Verhandlungen zwischen der Kommission und Industrielobbygruppen wie dem „European Roundtable of Industrialists“ (ERT) und neoliberalen Denkfabriken wie „Friends of Europe“ ausgearbeitet.

Der ERT repräsentiert 45 der mächtigsten Konzerne Europas. Hierzu gehören beispielsweise FIAT, BP, Nestle, Shell, Unilever und Siemens. Dieser Roundtable wurde in den 80er Jahren gegründet – angeblich um Europa aus seiner tiefen wirtschaftlichen Malaise zu helfen. Es war die erste Organisation dieser Art, die darauf abzielte, multinationale Firmen auf europäischer Ebene zusammenzubringen.

Étienne Davignon, einer der Gründer des ERT und ehemaliger EU-Kommissar, sagte, dass das Hauptziel darin besteht, „engere Beziehungen zwischen den Wirtschaftslenkern und denen zu knüpfen, die bei der europäischen Regierungsmaschinerie die Verantwortung tragen.“

Und Junge, was hatten sie für einen Erfolg damit! Laut der Nichtregierungsorganisation „Corporate Europe Observatory“ (CEO) – die an vertrauliche Kommunikation zwischen Mitgliedern des ERT und leitenden politischen Figuren der EU-Kommission und der Nationalregierungen gelangt war – ist der Einfluss, den der ERT auf den politischen Entscheidungsprozess ausübt, einfach nur atemberaubend.

Laut CEO ist das „Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes“ der EU-Kommission von 1985 – das, wie der Name schon sagt, der Vollendung des Binnenmarkts den Weg ebnete – praktisch eine 1:1-Kopie des „Decker-Plans“, ein Plan, der nach Wisse Decker, dem damaligen CEO des niederländischen Industrieschwergewichts Phillips, benannt wurde.

Zu dem von Decker ausgearbeiteten Plan gehörte, eine Währungsunion voranzutreiben; groß angelegte Infrastrukturprojekte zu finanzieren; einen flexiblen Arbeitsmarkt zu schaffen; die Industrie von Regulierungen zu befreien; die öffentlichen Leistungen zu beschneiden und in wirtschaftlichen schweren Zeiten Austeritätsmaßnahmen zu implementieren. Na, kommt Ihnen das bekannt vor? Ja das sollte es auch, denn bei all diesen Punkten handelt es sich um Kernelemente der EU-Politik der darauffolgenden Jahre.

Noch besorgniserregender ist aber die Tatsache, der ERT nur eine von 2.500 mächtigen Industrielobbystrukturen ist, die ihren Sitz in Brüssel haben, womit Brüssel gleich hinter Washington über die zweitgrößte Lobbyindustrie der Welt verfügt – und hier kommen ja noch die unzähligen Denkfabriken hinzu, die von Unternehmen angeheuert werden, um den Eurokraten ihre Forderungen und Ziele zu vermitteln.

Die Europäische Union ist nicht reformierbar

In einem Versuch, den massiven Interessenkonflikten, die sich in Brüssel zusammenbrauten, Herr zu werden, legte Siim Kallas, der damalige EU-Kommissar für Verwaltung, 2004 eine neue EU-Initiative auf, die drauf abzielte, bei den ständigen Interaktionen zwischen der EU-Kommission und den Lobbygruppen mehr Transparenz und Kontrollmechanismen zu etablieren. Die gutgemeinten Anstrengungen von Kallas trafen aber rasch auf eine Mauer des Widerstands seitens der Lobbygruppen wie auch seitens der mächtigen Eurokraten, die zweifelsohne befürchteten, einen Teil ihrer hart erarbeiteten Privilegien und Vergünstigungen zu verlieren.

Nach drei Jahren heftigen Kuhhandels war die letztlich daraus hervorgehende Gesetzgebung – die regelte, dass sich die Lobbyisten auf freiwilliger Basis registrieren lassen sollten – aber derart verwässert worden, dass sie sich praktisch als sinnlos herausstellte.

Und daher wuchern die Lobbygruppen in Brüssel nach wie vor und untergraben auf europäischer Ebene die letzten Reste noch verbliebener Demokratie. So dauerte es nach Ausbruch der Finanzkrise in Europa keinen Monat, bis die Europäische Kommission eine unabhängige und hochrangige Gruppe mit der Ausarbeitung von Empfehlungen beauftragt hatte, wie die Finanzaufsicht auf europäischer Ebene verstärkt werden könnte.

Zu diesem achtköpfigen Ausschuss gehörten Menschen, die aufs Engste mit mächtigen Lobbygruppen, neoliberalen Denkfabriken und US-Banken wie Lehman Brothers, Goldman Sachs und Citigroup vernetzt waren – ein eindringliches Beispiel dafür (sofern das noch notwendig sein sollte), was das Wort „unabhängig“ für die EU-Kommission bedeutet.

Und, ist es da angesichts des Mangels an irgendeiner Art von bedeutender Rechenschaftspflicht, Transparenz oder demokratischer Legitimität mitten im Zentrum der Regierungsinstitutionen Europas noch verwunderlich, dass sich der Kontinent in einem derart jämmerlichen Niedergang befindet?

Schon Margaret Thatcher wusste, dass die EU nicht reformierbar und ein Kurswechsel unmöglich ist. Die EU hat keinen Plan B – warum sollte sie auch, wenn man nirgends so gut absahnen und fürs Nichtstun bezahlt werden kann wie in der EU!

Die entscheidende Frage ist: Wenn ein positiver und bedeutsamer Wandel von der Spitze der EU her nicht möglich ist, was können wir, die Bürger von Europa, dann tun, um die größte Betrugs- und Absahnmaschinerie der Neuzeit davon abzuhalten, uns alle einfach zu überrollen?

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