Die deutschen Exporte fielen im Mai dieses Jahres so schlecht aus wie seit 2009 nicht mehr, als die Finanzkrise wütete. Die Exporte in die Euroländer brachen im Mai um 9,6% ein – ein großartiges Beispiel dafür, in was für eine Katastrophe sich der Euro mittlerweile verwandelt hat
Wolf Richter, Testosteronepit.com, 08.07.2013
Für Deutschland war die Finanzkrise brutal, aber danach setzte eine massive Erholung ein, und ab 2011 begann dann die Schadenfreude. Sie nannten es das deutsche „Erfolgsrezept“ – ein System, das den anderen irgendwie überlegen sei. Es würde dafür sorgen, dass die Wirtschaft sogar dann weiterwächst, wenn in der Eurozone an allen Ecken und Enden das Chaos ausbricht. Ja dieser Optimismus hält heute immer noch an, die Aktien sind im Mai auf neue Hochs geklettert – nur die deutsche Wirtschaft hat sich von diesem Szenario deutlich abgekoppelt.
Ein Schlüsselelement dieses „Erfolgsrezepts“ war – zum Leidwesen der angeschlagenen Nachbarn Deutschlands – der erbarmungslose Drang zu exportieren. Die ganze politische und wirtschaftliche Maschinerie ist darauf ausgerichtet. Die außenpolitischen Entscheidungen basieren darauf. Und für die innenpolitischen Entscheidungen gilt dasselbe. Im Gegenzug hat sich die Wirtschaft von den Exporten abhängig gemacht.
Aber die Exporte sackten im Mai dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,8% ein, was einem Rückgang von EUR 88,2 Milliarden entspricht. Damit ist Mai bisher der schlechteste Monat in 2013. Die ersten fünf Monate dieses Jahres lagen die Exporte ebenfalls allesamt unter den Vergleichszeiträumen des Vorjahres. Die Exporte in EU-Länder, die nicht der Eurozone angehören, wie Großbritannien gingen um 2,4% zurück. Die Exporte in Euroländer brachen – in einem großartigen Beispiel, in was für eine Katastrophe sich der Euro verwandelt hat – um 9,6% ein.
Im Mai kauften die Euroländer 36,6% aller deutschen Exporte und die EU-Länder ohne Euro 20,0%. Und während die Peripherie nun bereits seit Jahren zu kämpfen hat und in einigen dieser Länder der Konsum bereits zusammenbricht, ist es Frankreich, über das sich Deutschland die meisten Sorgen macht. Frankreich kauft rund 10% der deutschen Exporte, also mehr als jedes andere Land, rutscht zurzeit aber in eine voll ausgeprägte Wirtschaftskrise ab, mit einer auf Rekordhochs notierenden Arbeitslosenrate, einer Autobranche – dem bedeutendsten Exportsektor Deutschlands –, die sich in einer Todesspirale befindet und einer zurückgehenden Verbrauchernachfrage. Selbst die Exporte in den Rest der Welt gingen um 1,6% zurück. Es war der schlimmste Mai-Rückgang seit 2009.
Aber leider kommen ja sonderbare Erinnerungen hoch, wenn man an 2009 denkt. Im ersten Quartal 2009 brach das deutsche BIP im Vergleich zum vierten Quartal 2008 um 4,1% ein, und das obwohl es im vierten Quartal 2008 gegenüber dem Vorquartal bereits zum einem Rückgang von 2,0% gekommen war. Aufs Jahr hochgerechnet lag der BIP-Einbruch während dieses Zeitraums im zweistelligen Prozentbereich – es war der schlimmste Wirtschaftsrückgang in der Geschichte der Bundesrepublik. Die deutschen Exporte kamen zum Erliegen.
Und wie sich herausstellte, wurde die Wirtschaft nicht durch den Schweiß deutscher Arbeiter, die Genialität deutscher Manager, das deutsche „Erfolgsrezept“ oder was auch immer gerettet – sondern durch die berauschten Gelddruck-Orgien in den USA, China, der Europäischen Union und anderer Länder, und die deutschen Unternehmen saugten mit aller Macht an den Zitzen verschiedenster weltweiter Programme, die von all den Öko-Geldverschwendungsprogrammen bis hin zu den Abwrackprämien-Fiaskos reichten.
Diese Party gelangt jetzt aber an ihr Ende. Die Fed droht aktuell damit, zum Stift zu greifen und im Kalender für September „geldpolitische Straffung“ einzutragen, während der Begriff „konjunkturbelebende Maßnahmen“ vom US-Kongress bereits durch „automatisch einsetzende Haushaltseinsparungen“ ersetzt worden ist. China geht unterdessen hart gegen seine eigenen Überkapazitäten, Kapitalfehlallokationen und ein komplett durchgeknalltes Finanzsystem vor. Und die Eurozone versinkt in einer tiefen Rezession.
Und genau darauf reagiert jetzt die deutsche Wirtschaft. Nachdem das deutsche BIP im vierten Quartal 2012 um 0,7% zurückging, konnte man im ersten Quartal dieses Jahres ein Wachstum von 0,1% vorweisen – doch damit liegt Deutschland gegenüber dem Vorjahresquartal immer noch mit 1,4% im Minus. So sieht das deutsche „Erfolgsrezept“ aus:
Die Welt hat ihre Hoffnungen auf Deutschland gesetzt, die mächtige Wirtschaftslokomotive, die die Eurozone aus ihrer Malaise ziehen würde. Aber die Importe – also genau das, was zum Anheizen dieses Zugs nötig wäre – fielen im Mai gegenüber dem Vorjahresmonat um 2,6%, weil selbst in Deutschland mittlerweile eine rückläufige Nachfrage zu verzeichnen ist.
Und, gibt es ein Fünkchen Hoffnung für Juni? Eher nicht. Einer der Frühindikatoren für die künftige Geschäftsentwicklung, namentlich die Auftragseingänge, fiel im Mai um 1,3%, nachdem er den Monat zuvor bereits um 2,2% zurückgegangen war. Die inländischen Auftragseingänge gingen um 2,0% zurück, Export-Auftragseingänge um 0,7%, und die Bestellungen von Konsumgütern sanken um 3,1%. Für die Periode von April bis Mai gingen die Auftragseingänge gegenüber dem Vorjahr um 1,2% zurück, wobei allein die inländischen Auftragseingänge um 3,7% sanken. Der von der Welt gehegte Traum von Deutschland als Wirtschaftslokomotive ist geplatzt.
Aber ungeachtet solch lästiger Details sind die rund 7.000 Manager und Unternehmenschefs, die an der Ifo-Umfrage im Juni teilnahmen, bezüglich der Wirtschaft völlig begeistert, was den Geschäftsklimaindex auf 105,9 Punkte und den Index für die aktuelle Lage auf 109,4 Punkte trieb. Und obschon sie damit immer noch unter dem Euphorie-Niveau von 115 Punkten liegen, das Anfang 2011 verzeichnet wurde, ist es für das Ifo-Institut bereits ausreichend, um zu behaupten, dass die Unternehmen „im Hinblick auf ihre künftigen Geschäftsaussichten zunehmend optimistischer sind“. Die Hersteller waren „eindeutig optimistischer bezüglich der künftigen Geschäftsaussichten. Besonders die Exporterwartungen sind drastisch gestiegen.“ Das war vor zwei Wochen.
Und die Reaktion auf das Debakel vom Montag? Der deutsche Aktienindex stieg angesichts der Meldungen oder irgendwelcher Meldung oder gar keiner Meldung und schloss mit 7.969 Punkten oder 2,1% im Plus, liegt aber immer noch unter seinem Lalaland-Hoch von 8.558 Punkten, das im Mai erzielt wurde – ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Finanzmärkte von der wirtschaftlichen Realität komplett abgekoppelt haben, was als die größte Errungenschaft, die die weltweiten Zentralbanken jemals erreicht haben, in die Geschichte eingehen dürfte.