Andrew Cullen, Mises.org., 12.11.2013

Für die Verbraucher in der Eurozone gab es letzte Woche relativ gute Nachrichten. Die neuesten Daten zum Verbraucherpreisindex (VPI) für den Monat Oktober zeigten, dass die Inflationsrate von 1,1% auf 0,7% fiel.

Zu einer Zeit, wo die Arbeitslosigkeit hoch ist und weiter zunimmt und auch die Steuern weiter steigen, sorgt das für eine kleine Erleichterung bei den klammen Haushalten, deren frei verfügbares Realeinkommen mindestens die letzten fünf Jahre zurückgegangen ist. Es ist aber wirklich nur eine kleine Erleichterung. Der VPI ist so designt, dass essentielle Verbrauchsgüter wie Nahrungsmittel und Energie absichtlich nicht erfasst werden. Würden sie in den VPI integriert, würde das die gemessene Preisinflationsrate weiter nach oben treiben.

Der Rückgang des VPI ist wahrscheinlich in gewissem Grad auf den Anstieg des Wechselkurses des Euros während dieses Zeitraums zurückzuführen, was zu einer Reduzierung der Kosten für Importgüter geführt haben dürfte. Der steigende Wechselkurs des Euros ist ein Ergebnis der aggressiven Geldmengenausweitung anderer wichtiger Währungen, vornehmlich des US-Dollars und des japanischen Yens. Unterdessen hielt sich die Europäische Zentralbank aufgrund des Wahlkampfs in Deutschland während der Sommermonate zurück.

Die Veröffentlichung der VPI-Daten wurde von den Finanzmarktanalysten, den Zentralbankern und den Reportern der Massenmedien fast schon panikartig aufgenommen. Ambrose Evans-Pritchard, der für die britische Zeitung Telegraph schreibt, meldete, dass die Märkte von diesen Daten überrascht wurden. Er zitiert eine ganze Reihe von Finanzmarktanalysten, die diese Entwicklung als „Schulden-Deflations-Falle“ bezeichnen.

Evans-Pritchard verweist auch auf einen ehemaligen, namentlich nicht genannten EZB-Direktor, der die EZB dafür kritisiert, dass sie nicht handeln würde, um die Deflationsgefahr mittels einer aktiveren Geldpolitik abzuwenden.

Also: Was ist hier los? Wie kann eine Reduzierung der Verbraucherpreisinflation zu einer „Deflation“ werden? Wie kann eine minimale Verbesserung der Kaufkraft der Verbraucher zu einem Liquiditätsproblem der Finanzmärkte werden? Die Österreichische Wirtschaftsschule – die sich der Tatsache im Klaren ist, dass die Auswirkungen neuen Geldes niemals neutral sein können – liefert uns Einblicke: „Die Krux bei der Deflation ist, dass sie die mit den Veränderungen der Geldmenge Hand in Hand gehende Umverteilung nicht verbirgt …“

Die europäischen Politiker und die geldpolitischen Entscheidungsträger bei der Zentralbank sorgen sich nicht um einen Rückgang der Verbraucherpreise, sondern um die realen Rückgänge bei der Geldmenge, da solche Rückgänge die Staaten dazu zwingen würden, ihre permanente Monetisierung der Haushaltsdefizite aufzugeben. Das ist der Grund, warum sie an dem Monopol der Geldschaffung festhalten und es lieben, zu kontrollieren, wo das Geld als erstes in die Wirtschaft eintritt. Politiker nutzen diese Vorteile auf zweierlei Art.

Erstens handelt es sich bei allen Zentralbanken – mit Ausnahme der Bundesbank – um „Inflationisten“, was die Geldpolitik anbelangt. Durch die Inflation (also den Anstieg der Geldmenge) wird die Kaufkraft des Fiatgelds fortwährend reduziert, wodurch die Last der Schuldenrückzahlung im Laufe der Zeit zurückgeht, da die nominellen Summen über zunehmend weniger relativen Wert verfügen.

Eine solche Preisinflation ist zum Wohle der Schuldner und geht zu Lasten der Geldgeber. Daher erachten hochverschuldete Regierungen die Preisinflation auch als eine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte, die es ihnen erlaubt, ihre Schuldenverbindlichkeiten mit einem fallenden Anteil ihrer Staatsausgaben zu bedienen.

Zweitens sprechen sich zumindest die politischen Eliten der PIIGS-Länder (Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien) und Frankreich für „Reflations“-Pläne aus, bei denen die EZB mittels ihrer Befugnis, Geld zu schaffen, die Geldversorgung und die Monetisierung von Staatsschulden ausweiten würde. Dadurch würde die Gesamtstaatsverschuldung erhöht und die wirtschaftliche Macht und die Privilegien der Staaten würden geschützt bzw. ausgeweitet.

Die Schulden/BIP-Verhältnisse der PIIGS-Länder liegen aber heute bereits über der wichtigen Marke von 90%, die von Rogoff und Reinhart als die Schwelle angegeben wird, ab der die Wirtschaftswachstumsraten unwiderruflich zurückgehen.

Bruttostaatsverschuldung als Prozentsatz des BIP von 2008 bis 2014 für die Eurozone und ausgewählte Euroländer:

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Es gibt ein weiteres potentielles Problem: Die Europäischen Geschäftsbanken sind wohlmöglich zu schwach und zu anfällig, um die ihnen zugewiesene Rolle zu erfüllen. Der EZB-Präsident Mario Draghi hat eine weitere Runde von Bankenstresstests eingeleitet, bei denen die Widerstandsfähigkeit der Bilanzen der europäischen Banken gegenüber externen Schocks untersucht wird, was ein Zeichen dafür ist, dass die EZB bezüglich der Systemstabilität des Bankensektors selbst Zweifel hegt. Aber dieses Tests haben noch nicht einmal richtig angefangen. Im Folgenden finden Sie vier Risikofaktoren, die eine Rolle spielen:

1. Es hat eine groß angelegte Flucht von Bankeinlagen der PIIGS-Länder in Richtung der Banken anderer Eurozonenländer sowie in Länder gegeben, die nicht in der Eurozone liegen. Dieses Phänomen geht auf ein gestiegenes Beschlagnahmungsrisiko zurück, das jetzt nach den Verlusten, die den Gläubigern griechischer Banken aufgezwungen wurden, und dem jüngsten „Bail-in“ bei den Einlegern zypriotischer Banken besteht.

2. Viele PIIGS-Banken haben immer noch faule Kredite aus den Boom-Jahren (2000 – 2007) in ihren Büchern stehen. Ihr Versagen beim Fremdkapitalabbau und bei der Liquidation der Verluste verlängert den Anpassungsprozess der Banken.

3. Diese Banken halten aufgrund vorangegangener Ankaufsrunden bereits riesige Mengen an Staatsschulden (Staatsanleihen) der Euroländer. Die Banken mussten ihre Risikogewichtung derartiger Schuldenbestände erhöhen, da die Ratingagenturen diese Investments gemäß den Basel-II-Kriterien abgewertet haben. Diese Einschränkungen beschneiden die Fähigkeit der Banken, diesen Staaten in Zukunft Kredite zu geben.

4. Es besteht die Sorge, dass die Zinssätze steigen. Seit der berühmten Aktion von Draghi im Juli 2012 – wo er erklärt hatte, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu retten –, notieren die Zinssätze und Renditen der Staatsanleihen der PIIGS-Länder auf niedrigen Niveaus und haben sich denen deutscher Staatsanleihen wieder angenähert. Die Zinsen für langlaufende US-Staatsanleihen sind diesen Sommer aufgrund der Andeutungen der Fed, die Geldpolitik zu straffen, aber wieder gestiegen. Negative Überraschungen schaden dem Vertrauen in internationale Anleihemärkte. Das Risiko massiver Verluste, sollten die Preise für Anleihen fallen, ist eines, das sich die europäischen Banken angesichts ihrer immer noch niedrigen Eigenkapitalreserven und des Vermächtnisses der Überschuldung aus der Boomphase eigentlich nicht leisten können.

Wenn wir hier einmal von den Hindernissen bei der Implementierung absehen, scheint es so, dass eine neue aggressive Politik des lockeren Geldes seitens der EZB wahrscheinlich ist und unmittelbar bevorsteht.

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