Für eine in Schulden versinkende Welt kommt die durch das Erdbeben, den Tsunami und den Atomunfall angerichtete Zerstörung in Japan zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt
John Browne, Euro Pacific Capital, 23.03.2011
Während sich die weltweite Aufmerksamkeit aktuell auf die physische Zerstörung, die das Erdbeben und der Tsunami in Japan angerichtet haben, die hoffnungslosen Versuche, die negativen Auswirkungen des schwer angeschlagenen Kernkraftwerks in Fukushima einzudämmen, und die beängstigenden Probleme, denen Japan nun angesichts des Wiederaufbaus seiner Infrastruktur gegenübersteht, konzentriert, haben nur Wenige die lang-anhaltenden und weitreichenden Folgen im Blick, die mit der radioaktiven Strahlung in Zusammenhang stehen.
Kaum Erwähnung fand auch, welche Folgen diese Ereignisse für die Wirtschaft außerhalb der unmittelbaren Gefahrenzone haben. Die Wahrheit ist, dass diese Katastrophe auf die Investoren in New York, London oder Sao Paolo ebenso viel Einfluss haben könnte, wie auf einen Investor in Tokio.
Der letzte bedeutende Atomunfall geschah vor 25 Jahren im ukrainischen Tschernobyl. Obwohl die Folgen dieser Atomkatastrophe mittlerweile bestens dokumentiert sind, haben viele vergessen, in welchem Ausmaß die Schäden zu jener Zeit vertuscht wurden. Um eine Panik zu vermeiden, hatten die Sowjets die Risiken für die in der Nähe der Anlage lebenden Menschen – aber auch für jene, die hunderte, ja sogar tausende Kilometer entfernt lebten – massiv heruntergespielt. In den nachfolgenden Monaten wurden dann sogar in weit entfernten Gebieten wie Schottland hohe Strahlenwerte gemessen!
Während wir nur hoffen können, dass das heutige Japan aufrichtiger ist, als es die Sowjets in der Ära des Kalten Krieges waren, gibt es eine ganze Reihe stümperhafter und widersprüchlicher Meldungen von Tokyo Electric Power, dem Betreiber der Anlage, sowie der japanischen Regierung, die Anlass zur Sorge sind.
Da in Fisch und Gemüse aus Japan bereits eine höhere Strahlungsbelastung entdeckt worden ist, gibt es nun zunehmend Misstrauen. Die Menschen fragen sich, ob die Menge ausgetretener Radioaktivität gegenüber der Öffentlichkeit nicht vielleicht heruntergespielt wurde. Es ist mittlerweile praktisch unmöglich geworden zu verhindern, dass diese Sorgen nun auch außerhalb Japans weiter zunehmen. Fischereifirmen, die im Pazifik aktiv sind, und asiatische Landwirtschaftsbetriebe stehen aktuell unter massiver Beobachtung.
Der Atomumfall wird mit Sicherheit Auswirkungen auf die langfristige Energieplanung auf dem gesamten Planeten haben. Das wachsende politische Momentum, das die Atombranche innerhalb des letzten Jahrzehnts aufgrund der Preisanstiege bei den fossilen Energieträgern verzeichnet hatte, könnte unwiederbringlich beschädigt sein. Da die sogenannte „grüne“ Energie nicht in der Lage ist, den Ausfall der Stromleistung auszugleichen, der durch den Verlust eines dahinscheidenden Nuklearsektors entstünde, würden die fossilen Brennstoffe diese Lücke wohl auffüllen müssen.
Doch die Auswirkungen des japanischen Atomunfalls gehen über Fragen der Gesundheit und der Energiepolitik hinaus.
Nach der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und China verfügen die Japaner über die viertgrößte Wirtschaft der Welt. Die japanische Industrie produziert zahlreiche der hochtechnologischen Systeme, die für die Fertigung von technologisch weniger anspruchsvollen Produkten wie Autos unabdingbar sind. Die US-Computerbranche ist von dem Versorgungsausfall von wichtigen in Japan gefertigten Komponenten bereits betroffen.
Und die finanziellen Folgen der Krise scheinen sogar noch größer zu sein, als die Probleme, welche die Fragen der Gesundheit, Energie oder Industrieproduktion berühren. Das japanische Volk ist stoisch, diszipliniert und arbeitet außerordentlich hart. Die Erholung Japans dürfte schneller vonstatten gehen, als viele meinen.
Um die Schäden des Erdbebens, der Flut und des Atomunfalls zu beseitigen, wird Japan aber aller Voraussicht nach Billionen an US-Dollar (hunderte Billionen Yen) ausgeben müssen. Das ist die Krise, welche die Industrieländer zu Fall bringen könnte.
Seit Jahrzehnten hat sich Japan mithilfe von in Amerika und Europa ausgeklügelten Strategien des Zentralbankwesens massiv verschuldet. Während sich die Rezession immer weiter verschärfte, sorgte man so dafür, dass eine industrielle Umstrukturierung nicht stattfand und stattdessen industrielle Fehlprojekte finanziert wurden.
Dadurch, dass die japanische Zentralbank den Leitzins nahe null senkte und die japanischen Regierungsausgaben angefacht wurden, übertrug man die untragbare Schuldenlast der Privatwirtschaft des Landes in die Bilanzen der Regierung. Das Ergebnis ist nun, dass die japanischen Staatsschulden – die sich aktuell auf über 200% des Bruttoinlandsprodukts belaufen – bis 2020 die Marke von 300% des BIP erreicht haben dürften, was dem 20-fachen jährlichen Steuereinnahmen Japans entspricht.
Angesichts derartiger Statistiken haben die Kreditratingagenturen Japan bereits unter Sonderbeobachtung gestellt. Somit bleiben dem Land nur noch sehr wenige Möglichkeiten, wie es sich zum Aufbau der Industrie und Infrastruktur Geld beschaffen könnte.
Sollten die Japaner damit beginnen, ihre nationalen Ersparnisse anzurühren und einen Teil ihrer Bestände an US-Staatsanleihen im Wert von USD 882 Milliarden zu verkaufen, dann besteht die Gefahr, dass sie einen Dollar-Abverkauf und einen vernichtenden Zinssprung beim US-Leitzins auszulösen.
Es ist außerordentlich wahrscheinlich, dass Japan sich dem Druck der Amerikaner beugen wird und seine US-Staatsanleihen nicht abverkauft. Wahrscheinlich wurde Japan seitens der US-Notenbank und weitere G7-Zentralbanken im Geheimen bereits versichert, dass es riesige Währungsswapgeschäfte geben wird. Diese Technik würde eine geordnetere Repatriierung der Gelder ermöglichen, hätte aber verwirrende Signale an den Finanzmärkten zu Folge – und würde unweigerlich zu gefährlichen Spekulationsgeschäften führen.
Für eine in Schulden versinkende Welt, kommt die Zerstörung in Japan zu einem ungelegenen Zeitpunkt. Bedauerlicherweise sind die Behörden auf beiden Seiten des Pazifiks, was ihre Schuldenprobleme anbelangt, genauso unehrlich, wie es Tokyo Electric Power bezüglich des Ausmaßes der Krise im Daiichi Kernkraftwerk in Fukushima gewesen ist.