Die Glaubwürdigkeit der europäischen Pleitebanken gerät zusehends ins Wanken: Viele europäische Banken bewerten die Staatspapiere der PIIGS-Pleiteländer immer noch so, als handele es sich dabei um Goldreserven. Die griechische Regierung behauptet, der Wert ihrer Schuldenpapiere sei um gerade einmal 21% gefallen, was seitens einer Vielzahl von Banken unhinterfragt übernommen wird
Bruce Walker, The New American, 31.08.2011
Im Bankwesen gibt es nur wenig, was wichtiger ist als Kontinuität und Integrität. Durch die europäische Staatsschuldenkrise scheinen diese Werte bei einigen Banken jedoch massiv ausgehöhlt zu werden. Das Gremium International Accounting Standards Board (IASB) hat nun erklärt, dass einige der europäischen Banken bei der Wertermittlung der von ihnen gehaltenen griechischen Staatschulden direkt auf die von der griechischen Regierung bereitgestellten Zahlen zurückgegriffen haben, wonach griechische Staatsanleihen mittlerweile 21% weniger wert seien, als ursprünglich ausgewiesen.
Diese Anleihen sind laut Aussagen des IASB-Vorsitzenden Hans Hoogervorst jedoch bedeutend weniger wert, als der von der griechischen Regierung vorgegebene Wert. Hoogervorst erklärte in einem am 29.08.2011 veröffentlichten Brief an die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, ESMA (der Behörde, die für die Regeln zur Bewertung von Wertpapieren verantwortlich ist):
„Das ist ein Thema das uns sehr beschäftigt. Man kann sich nur schwer vorstellen, dass es Käufer gibt, die bereit sind, diese Anleihen zu Preisen zu kaufen, wie sie durch die verwendeten Bewertungsmodelle ermittelt wurden.“
Die IASB erarbeitet die International Financial Reporting Standards, Grundsätze nach denen Abschlüsse für Zwecke der internationalen Kapitalmärkte erstellt werden und die von den meisten europäischen Konzernen genutzt werden.
Hoogervorst erklärte, dass das ungewöhnliche Vorgehen, mit dem Brief vom 04.08.2011 an die Öffentlichkeit zu gehen, aufgrund der „sichtbar widersprüchlichen Anwendung“ der Rechnungslegungsstandards bei der Bewertung dieser Bankvermögenswerte seine Berechtigung hätte. Obwohl die Banken, die diese fragwürdige Praxis betreiben, von der IASB namentlich nicht genannt wurden, dürften die negativen Auswirkungen auf das Vertrauen in die Finanzwelt dennoch beträchtlich sein.
Ein Rechnungsprüfer, der anonym bleiben wollte, erklärte bezüglich der Rechnungslegungsstandards: „Unter den Regulierungsbehörden gibt es keinerlei Konsens.“ Die Financial Times war weniger freundlich und erklärte, dass die europäischen Finanzinstitutionen beim Abschreiben griechischer Schulden „weit auseinandergehende“ Ansätze verfolgten.
Es scheint sicher, dass die aktuell einbrechenden Kurse bei den Bankaktien auf die griechische Staatsschuldenkrise und die Probleme der anderen PIIGS-Länder zurückzuführen sind. Obwohl diese Aktien noch vor wenigen Monaten als unterbewertet erachtet wurde, rauschten sie im August in den Keller.
Die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, erklärte, dass einige europäische Banken über eine zu geringe Kapitaldecke verfügen würden, was bedeutet, dass die Banken angesichts der aktuellen finanziellen Verwerfungen an den Märkten über unzureichende Geldreserven verfügen könnten.
Louise Cooper, eine Marktanalystin von BCG Partners, beschrieb das Dilemma, in dem sich die Investoren, nun wiederfinden, jüngst mit den Worten:
„Also was nun? Eins kann ich mit Sicherheit sagen, und das ist, dass diese Branche preislich nicht richtig bewertet wird, doch ob die europäischen Banken nun viel zu billig oder viel zu teuer sind, weiß ich nicht. Kein Wunder, dass die Preise der Bankaktien völlig durcheinander sind.“
Die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde führte in einer Pressemitteilung aus, dass man nun die Praxis der europäischen Banken untersuchen wolle, um herauszufinden, ob die Banken beim Umgang mit griechischen Staatsschulden allgemein akzeptierte Buchhaltungsstandards einhalten würden oder ob es bei den Abschreibungen zu Abweichungen kommt.
Die Behörde erklärte aber, dass es aus ihrer Sicht im Verantwortungsbereich der nationalen Regulierungsbehörden liegt, sicherzustellen, dass die Buchhaltungsstandards eingehalten werden, was die Tatsache unterstreicht, dass diese Behörde nur über wenig Macht verfügt, um ihre Regeln durchzusetzen.
Viele der europäischen Banken und Versicherungsfirmen, die einen bedeutenden Anteil an griechischen Staatsschulden in ihren Büchern haben, realisierten die Verluste im zweiten Quartal dieses Jahres. Seit diesem Zeitpunkt hat die griechische Regierung den Banken die Möglichkeit eingeräumt, die Schulden einfach zu verlängern oder gegen neue einzutauschen. Entschied man sich für das Letztere, ging damit ein Verlust in Höhe von 21% einher.
Obgleich die IFRS-Regeln für Anleihen, die bis zur Endfälligkeit gehalten werden, andere sind, als für Anleihen, bei denen ein vorzeitiger Weiterverkauf geplant ist, sollte man sie dennoch zu aktuellen Marktpreisen bewerten, und dieser Marktwert liegt weiter unter den von zahlreichen europäischen Banken veranschlagten 21%.
Die europäischen Bankenaufseher suchen gegenwärtig nach Möglichkeiten, die europäischen Banken mittel- und langfristig zu refinanzieren. Eine Idee, die im Rahmen dieser Diskussion seitens der Europäischen Bankenaufsicht, EBA, in Umlauf gebracht wurde, ist es, die Banken direkt mit Geldern aus dem Euro-Rettungsschirm zu versorgen, wofür die EBA jedoch mit neuen Befugnissen ausgestattet werden müsste.
Innerhalb der Europäischen Union gibt es jedoch jede Menge Streit bezüglich dieser Vorschläge. Die deutsche Bankenaufsicht BaFin ließ sich sogar zu dem ungewöhnlichen Schritt hin, ihre Meinung publik zu machen: „Die EBA verfügt unter gegenwärtigem europäischem Recht nicht über die Befugnisse, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.“
Andere EU-Mitgliedsländer sind ebenfalls zurückhaltend, wenn es darum geht, Systemen weitere Befugnisse oder Gelder zu geben, die dem nicht gewachsen zu sein scheinen oder nicht über die notwendigen Mittel verfügen, die Integrität zu gewährleisten. Was einst ein rein verwaltungstechnisches Problem innerhalb der Europäischen Union zu sein schieß, verwandelt sich nun zunehmend in ein spannungsgeladenes politisches Thema.
Die Nachrichten aus der Europäischen Union erwecken in jüngster Zeit den Eindruck, als bestünden sie nur noch aus Untertreibungen, mit denen das Ausmaß der Probleme heruntergespielt wird, und als würde das Ganze mit einem erheblichen Unwillen einhergehen, entscheidende Informationen wie die Abschreibungsmethoden bei Bankvermögenswerten offenzulegen, während niemand für dieses unverantwortliche Handeln irgendwelche Konsequenzen zu fürchten bräuchte.
Im Januar kam beispielsweise ans Licht, dass die irische Zentralbank einfach damit angefangen hatte, eigenständig Euros zu drucken – eine Praxis, die technisch gesehen zwar erlaubt ist (weil sie es zuvor bei der EZB anzeigte) in ethischen Finanzsystemen jedoch einen hässlichen Gestank aufwirft. Die 21%ige Abschreibung der von den Banken gehaltenen griechischen Staatsanleihen besteht den Geruchstest ebenfalls nicht. Es stellt sich die Frage, wie massiv der Zusammenbruch ausfallen könnte, sollten die Europäer plötzlich damit aufhören, ihren Banken zu trauen.