Die kommende Derivate-Krise könnte das gesamte weltweite Finanzsystem in Schutt und Asche legen

Michael Snyder, The Economic Collapse, 19.10.2011

Die meisten Menschen haben keine Ahnung davon, dass sich die Welt mittlerweile in ein gigantisches Finanzcasino verwandelt hat. Die großen Wall-Street-Banken fahren im Finanzderivatemarkt jedes Jahr zig Milliarden Dollars an Gewinnen ein und keiner aus der Finanzbranche will, dass diese Party jemals aufhört.

Das Wort „Derivate“ mag vielleicht kompliziert und technisch klingen, doch zu verstehen, was dahinter steckt, ist eigentlich recht einfach. Ein Finanzderivat ist im Grunde genommen die nette Art zu sagen, dass eine Wette abgeschlossen wurde. Ursprünglich dienten diese Wetten dazu, Risiken abzusichern, mittlerweile haben sie sich jedoch in einen gigantischen Spekulationskoloss beispiellosen Ausmaßes verwandelt.

Die Schätzungen zum Nominalwert des weltweiten Derivatemarkts reichen von USD 600 Billionen bis zu USD 1,5 Billiarden. Zur Erinnerung: Das jährliche weltweite Bruttosozialprodukt liegt irgendwo im Bereich von USD 65 Billionen.

Die von den Derivaten für das weltweite Finanzsystem ausgehende Gefahr ist so groß, dass Warren Buffet diese Papiere einst als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnete.

Bisher ist es der Finanzwelt gelungen, dieses Casino weiter am Laufen zu halten, doch es scheint unabwendbar, dass das gesamte Derivate-Chaos irgendwann krachend zum Einsturz kommt. Und wenn das passiert, sieht sich die Welt einer Derivate-Krise gegenüber, die ohne Weiteres das gesamte weltweite Finanzsystem auslöschen könnte.

Die meisten Menschen sprechen aber nicht über Derivate, was einfach damit zusammenhängt, dass sie deren Funktionsweise nicht verstehen. Vielleicht sind die nachfolgenden Definitionen hilfreich.

Bloomberg definierte Finanzderivate in einem kürzlich veröffentlichten Artikel mit den Worten:

„Derivate sind Finanzinstrumente, die zur Absicherung von Risiken oder zum Zwecke der Spekulation eingesetzt werden. Sie werden an Aktien, Anleihen, Kredite, Währungen und Rohstoffe oder an spezielle Ereignissen wie Veränderungen des Wetters oder der Zinssätze gekoppelt.“

Das entscheidende Wort ist „Spekulation“. An Wall Street wird heutzutage auf alles spekuliert, was man sich nur vorstellen kann. Investopedia definiert Finanzderivate so:

„Ein Finanzderivat, dessen Preis von einem oder mehreren zu Grunde liegenden Vermögenswerten abhängig ist oder herrührt. Die Derivate selbst sind lediglich ein Vertrag zwischen zwei oder mehr Parteien. Ihr Wert wird durch Schwankungen des ihnen zu Grunde liegenden Vermögenswerts bestimmt. Die ihnen am häufigsten zu Grunde liegenden Anlagewerte sind Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Währungen, Zinssätze und Marktindizes. Die meisten Derivate fallen in die Klasse stark gehebelter Papiere.“

Ein Derivat selbst verfügt also über keinen eigenen Wert. Eigentlich ist es nichts weiter als eine (gewöhnlich stark gehebelte) Nebenwette.

Und diese Nebenwetten der Finanzwelt sind mittlerweile völlig außer Kontrolle geraten. Es wird auf praktisch alles gewettet, was man sich nur vorstellen kann, was den großen Wall-Street-Banken gigantische Gewinne beschert. Dieses System ist praktisch völlig unreguliert und wird von den internationalen Großbanken beherrscht.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Größe des Derivatemarkts vervielfacht, und solange das System ausgeglichen ist, ist auch alles in bester Ordnung. Sollte es jedoch ins Ungleichgewicht geraten, könnten wir Zeugen einer Kette von Finanzzusammenbrüchen werden, denen keine Regierung auf dem Planeten etwas entgegensetzen kann.

Die Geldmenge, von der wir hier sprechen, verschlägt einem den Atem. Graham Summers von Phoenix Capital Research veranschlagt den Nominalwert des weltweiten Derivatemarkts auf USD 1,4 Billiarden. In einem Artikel für Seeking Alpha versuchte Summers diese Zahl zu veranschaulichen:

„Wenn man jede Aktie auf dem Planeten nimmt und dann die gesamte weltweite Marktkapitalisierung aufsummiert, kommt man auf rund USD 36 Billionen. Wenn man dasselbe mit Anleihen macht, kommt man ungefähr auf eine Marktkapitalisierung von USD 72 Billionen.

Der Nominalwert des Derivatemarkts beläuft sich auf rund USD 1,4 Billiarden. Ja ich weiß, dass sich diese Zahl ein wenig verrückt anhört, daher werde ich nun versuchen, sie einmal ins Verhältnis zu setzen. USD 1,4 Billiarden sind ungefähr

das 40-fache des weltweiten Aktienmarkts,
das 10-fache des Werts aller Aktien und aller Anleihen auf dem Planeten,
das 23-fache des Welt-Bruttosozialprodukts.“

Man kann sich also praktisch kaum vorstellen, wie groß 1 Billiarde ist. Wenn man heute damit anfangen würde, Geld mit einer Rate von USD 1 Dollar pro Sekunde zu zählen, würde es 32 Millionen Jahre dauern, bis man auf USD 1 Billiarde kommt.

Fakt ist, die Jungs und Mädels an Wall Street sind mittlerweile völlig außer Kontrolle!

Webster Tarpley schrieb im Hinblick auf die zentrale Rolle, die Derivate heutzutage im globalen Finanzsystem spielen:

„Es handelt sich hierbei ganz und garnicht um irgendwelche geheimnisvollen oder marginalen Aktivitäten – vielmehr haben sich Finanzderivate in das Hauptgeschäftsfeld der Finanzoligarchie an Wall Street, der City of London, in Frankfurt und anderen Geldzentren verwandelt. Seitens der Politiker und der Medien wurden konzertierte Anstrengungen unternommen, die zentrale Rolle, die die Derivate-Spekulation bei der Wirtschaftskatastrophe der letzten Jahre gespielt hat, zu verschleiern und zu verheimlichen.

Die Journalisten und PR-Typen haben alles in ihrer Macht stehenden getan, um allein schon das Wort ´Derivate` nicht erwähnen zu müssen. Stattdessen haben sie Begriffe wie ´Giftmüllpapiere`, ´exotische Finanzinstrumente` und – am bekanntesten – ´Problempapiere` geprägt, so wie beim Troubled Assets Relief Programm oder auch TARP, dem monströsen USD 800 Milliarden Rettungspaket für Wall-Street-Spekulanten, das im Oktober 2008 mit Unterstützung von Bush, Henry Paulson, John McCain, Sarah Palin und den Obama-Demokraten verabschiedet wurde.“

Was die Mehrheit der Bevölkerung bis heute noch nicht verstanden hat, ist die Tatsache, dass die Derivate im Zentrum der Finanzkrise des Jahres 2008 standen. Und sie werden aller Vorausschau nach auch im Zentrum der nächsten Finanzkrise stehen.

Bei vielen läuteten nun wieder die Alarmglocken, als diese Woche bekannt wurde, dass Bank of America einen riesigen Teil seiner Derivate von seinem Merrill-Lynch-Investmentarm in seinen Einlagenarm verlagerte. Doch was hat das zu bedeuten?

In einem hierzu von The Daily Bail veröffentlichten Artikel wird erklärt, dass der Steuerzahler am Ende wohlmöglich für all die mit diesen Geschäften einhergehenden Risiken aufkommen muss:

„Das bedeutet, dass die europäischen Risiken der Investmentbank nun durch den US-Steuerzahler abgesichert werden. Obwohl Bank of America von den Regulierungsbehörden keine Erlaubnis erhalten hatte, dies zu tun, taten sie es einfach auf Bitte besorgter Vertragsparteien. Jetzt streiten sich die FED und der US-Einlagensicherungsfonds, FDIC, darüber, ob das überhaupt in Ordnung ist. Die FED will der Bank, die aktuell unter massiven Druck steht, ´Unterstützung geben`. Die Bank hat das Risiko direkt auf den Steuerzahler abgewälzt, ohne dass dies seitens der Regulierungsbehörden erlaubt oder in irgendeiner Form staatlich sanktioniert worden wäre.“

Und, haben Sie davon in den Nachrichten gehört? Wahrscheinlich nicht.

Aktuell beläuft sich der Nominalwert aller von Bank of America gehaltenen Derivate auf rund USD 75 Billionen. JPMorgan Chase hält zurzeit Derivate mit einem Nominalwert von rund USD 79 Billionen. Das sind alles Zahlen, die man sich nur schwer vorstellen kann.

JPMorgan Chase, Bank of America, Goldman Sachs, Citigroup, Wells Fargo und HSBC Bank USA sind die Banken, die zurzeit die größten Derivatebestände halten. Und auch Morgan Stanley verfügt über eine atemberaubende Menge an Derivaten. Genau diese Banken sind dann zufällig auch jene Institute, die als „systemrelevant“ bezeichnet werden und nicht Pleite gehen dürfen.

Unterdessen setzten die größten US-Banken ihr Wachstum einfach weiter fort und gewinnen zusehends an Macht. Im Jahre 2002 kontrollierten die 10 größten US-Banken 55% aller von US-amerikanischen Finanzinstituten gehaltenen Vermögenswerte. Heute liegt diese Zahl bei 77%. Diese Banken sind so groß und mächtig geworden, dass ihr Zusammenbruch das ganze Finanzsystem implodieren ließe.

Man sollte eigentlich meinen, dass aus den Ereignissen des Jahres 2008 irgendwelche Lehren gezogen wurden. Man sollte eigentlich meinen, dass bezüglich dieser Problematik irgendetwas unternommen wurde – nein, vielmehr wurde es diesen „systemrelevanten“ Banken sogar noch erlaubt, größer zu werden als je zuvor.

Fakt ist, dass diese Banken mittlerweile schalten und walten können, wie es ihnen beliebt.

Die New York Times veröffentlichte Ende 2010 einen Artikel mit dem Titel „Eine geheime Bankenelite herrscht über den Derivatehandel“. In diesem schockierenden Artikel enthüllte die bedeutendste Zeitung in den Vereinigten Staaten, wie die großen Wall Street Banken mit eiserner Hand über den Derivatehandel herrschen:

„Am dritten Mittwoch eines jeden Monats treffen sich neun Mitglieder einer elitären Wall Street Gesellschaft im Zentrum Manhattans. Die Männer eint ein gemeinsames Ziel; die Interessen der großen Banken im riesigen Derivatemarkt zu schützen, einer der profitabelsten – und kontroversesten – Bereiche der Finanzwirtschaft. Sie eint auch ein gemeinsames Geheimnis; die Details ihrer Treffen, ja sogar ihre Identitäten sind einer strengen Geheimhaltung unterworfen.“

Welche Institutionen sind auf diesen Treffen denn anwesend? Nun ja, laut der New York Times sind die folgenden Banken dabei: JPMorgan Chase, Goldman Sachs, Morgan Stanley, Bank of America und Citigroup.

Warum tauchen ein ums andere Mal immer wieder dieselben fünf Namen auf?

Traurig aber wahr: Diese fünf Banken, sind die Banken, die den Wahlkampf der Politiker finanziell unterstützen, die sich im Jahre 2008 für das Bankenrettungspaket aussprachen und von denen sie sich sicher sein können, dass sie auch das nächste Mal wieder einer Rettung zustimmen werden, wenn die Krise erneut zuschlägt.

Diejenigen, die den heutzutage grassierenden wilden Derivatehandel verteidigen, behaupten, Wall Street würde für die Risiken selbst einstehen, und erklären, die Derivate ausgebende Bank sei immer in der Lage, die von ihr geschriebenen Kontrakte abzusichern.

Diese Auffassung ist jedoch falsch. Dafür brauchen wir nur auf AIG im Jahre 2008 zurückzublicken. Als der Immobilienmarkt zusammenbrach, stand AIG auf der falschen Seite des Handels und hielt eine riesige Menge an Derivatekontrakten, die ohne die gigantischen Rettungsmaßnahmen der US-Regierung allesamt „geplatzt“ wären. Wäre die AIG-Rettung nicht erfolgt, hätten Goldman Sachs und eine ganze Reihe weiterer Leute mit einem Haufen wertloser Papiere dagestanden.

Es ist unvermeidlich, dass genau dasselbe wieder passieren wird, doch dürften die Ereignisse beim nächsten Mal ein bedeutend größeres Ausmaß erreichen.

In dem Moment, wo die „Bank gesprengt wird“, verlieren alle. Die Regierungen dieser Welt könnten dann zwar versuchen, einzuschreiten und alle zu retten, die Realität ist aber, dass, sollte der Derivatemarkt vollständig in sich zusammenbrechen, keine Regierung der Welt über genug Geld verfügt, um den Schaden wieder zu beheben.

Hier kommt eine entsetzliche Derivate-Krise auf uns zu. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Wenn Sie in den Medien Wörter wie „Derivate“ oder „Derivate-Krise“ hören, sollten Sie besser aufhorchen und diese Entwicklungen aufmerksam verfolgen. Wenn die Derivate-Krise aufschlägt, wird dem ziemlich schnell eine Reihe von Zusammenbrüchen folgen.

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