Die weltweiten Märkte feiern den jüngsten „Schulden-Deal“ der EU-Führer, als wäre die Eurokrise vorbei. In Wirklichkeit hat man durch den Maßnahmenkatalog lediglich Zeit gewonnen und keines der zu Grunde liegenden Probleme gelöst. Die Meldung, dass es bei den privaten Haltern von griechischen Staatsanleihen einen 50%igen Haircut geben wird, ohne dass dies zur Einlösung der Kreditausfallversicherungen führt, dürfte bei den anderen PIIGS-Ländern schon recht bald zu bedeutenden Renditeanstiegen führen

Michael Snyder, The Economic Collapse, 28.10.2011

Haben Sie auch schon von der guten Nachricht gehört? Das Finanz-Armageddon wurde abgewendet. Der Wirtschaftszusammenbruch Europas konnte verhindert werden. Alles ist wieder in Ordnung.

Nun ja, nichts von alledem ist wahr – und trotzdem sorgten die Meldungen über einen europäischen „Schulden-Deal“ in der Finanzwelt für eine Welle völlig unbegründeter Euphorie. Die Zeitungen verkünden, dass die europäische Finanzkrise vorbei ist, und auch die weltweiten Aktienmärkte konnten bereits starke Zuwächse verzeichnen.

Der Dow Jones legte gestern um fast 3% zu, während der jüngste Anstieg dem S&P 500 dabei half, den besten Monat seit 1974 hinzulegen. An den weltweiten Finanzmärkten lässt sich gegenwärtig buchstäblich eine Explosion des Optimismus beobachten.

Ja, die Führer Europas sind wieder einmal in der Lage gewesen, die Probleme um ein paar Monate zu verschleppen, und auch Griechenland wird nun erst einmal keinen totalen Staatsbankrott verkünden. Im Folgenden werden wir jedoch sehen, dass eine Finanzkatastrophe in Europa durch die entscheidenden Beschlüsse dieses „Schulden-Deals“ in Wirklichkeit lediglich noch wahrscheinlicher geworden ist.

Die zwei wichtigsten Aspekte des Plans sind ein 50%iger „Haircut“ bei von Privatinvestoren gehaltenen griechischen Staatsschulden und die Hebelung des Euro-Rettungsfonds EFSF, um ihn so mit der entsprechenden „Feuerkraft“ auszustatten.

Beide Regelungen werden aber aller Vorausschau nach bedeutende Probleme mit sich bringen, und es scheint, als wären sich die meisten Investoren dessen noch garnicht bewusst. Vielmehr macht es den Eindruck, als hätten die meisten Investoren die Propaganda, die europäischen Schuldenprobleme seien nun gelöst worden, tatsächlich geschluckt.

Zumindest lässt sich festhalten, dass in der Finanzgemeinde kritisches Denken aktuell nicht allzu stark verbreitet ist. Nur weil die europäischen Politiker erklären, die Krise sei nun gelöst worden, heißt das noch lange nicht, dass sie auch wirklich gelöst wurde. Und trotzdem wird nun überall auf der Welt verkündet, dass ein großer „Durchbruch“ erzielt worden sei. Ein Artikel von USA Today verdeutlicht diese irrationale Euphorie sehr anschaulich:

„Investoren müssen sich – zumindest bis auf weiteres – über einen Finanzzusammenbruch wie den des Jahres 2008 keine Sorgen mehr machen, wo die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers eine weltweite Finanzkrise zur Folge hatte. ´Das Finanz-Armageddon scheint nun vom Tisch zu sein,` so Mark Luschini, Chefinvestmentstratege bei Janney Montgomery Scott.“

Na, das hört sich doch gut an, oder nicht? Wir werden uns im Folgenden jedoch mit den Tatsachen beschäftigen.

Ein Schuldenproblem lässt sich nicht dadurch lösen, indem man es mit noch mehr Schulden bewirft. Aber genau das ist es, was durch diese neue Schuldenregelung getan wird. Die europäischen Politiker wollen den EFSF nicht auf „die harte Tour“ mit neuen Geldern ausstatten, da sich die deutschen Wähler und die Wähler anderer europäischer Länder mit überwältigender Mehrheit gegen weitere Hilfsmaßnahmen aussprechen. Die Menschen sind der Meinung, dass man dadurch lediglich Geld in schwarzen Löchern versenkt.

Tja, und was macht man, wenn man Geld braucht, aber keiner zahlen möchte? Nun ja, man leiht es sich einfach. Im Grunde haben die EU-Führer jetzt beschlossen, die Größe des Euro-Rettungsfonds EFSF mithilfe eines „Hebels“ zu verfünffachen.

Aber ist das nicht riskant? Natürlich ist es das! Und einige der Führer in Europa sind sich darüber auch völlig im Klaren. In einem Artikel der Zeitung Telegraph wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass der Chef der Bundesbank seine Zweifel an diesem Plan hat:

„Jens Weidmann, der Präsident der Bundesbank und Mitglied der Europäischen Zentralbank, schlug bezüglich des Plans Alarm, den Fonds um einen Faktor von vier bis fünf ´zu hebeln`, ohne ihn dabei mit neuen Geldern auszustatten. Er warnte, dass der Fonds von Marktturbulenzen erfasst werden könnte und die Steuerzahler dann die Kosten für riskante Investments in italienische und spanische Anleihen zu tragen hätten.“

Und wer soll all die neuen Schulden finanzieren? Nun ja, wie sich herausstellte, setzten die Europäer hier auf dieselben alten Akteure, die auch den Vereinigten Staaten fortwährend Geld leihen – die Chinesen. So hat der französische Präsident Nicolas Sarkozy bezüglich der Finanzierung neuer Rettungsanstrengungen bereits direkte Gespräche mit dem chinesischen Staatspräsidenten Hu Jintao aufgenommen.

Und, hat es irgendetwas mit solider Politik zu tun, wenn man sich von den Chinesen Geld leiht, um damit die Rettungsmaßnahmen für Griechenland und andere schwache Eurozonenländer zu finanzieren? Nein, natürlich nicht!

Und das wirklich Traurige ist, dass selbst der durch den Hebel erweiterte EFSF-Rettungsschirm immer noch nicht groß genug wäre, um die Finanzprobleme Europas zu lösen. Laut einem Artikel des Telegraph kam man im Rahmen einer Umfrage unter Ökonomen zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit von ihnen nicht glaubt, dass durch die neuen Beschlüsse genügend Geld bereitgestellt würde:

„Der Plan, die europäische Finanzstabilisierungsfazilität auf dem Papier auf EUR 1 Billion zu erhöhen, wurde von Ökonomen als unzureichend attackiert, um die sich verschlimmernden Schuldenprobleme in Italien und Spanien ´abzuwenden`. In einer Umfrage erklärten 26 von 48 Ökonomen, dass die Schlagkraft nicht ausreichend sei.“

Aber über das Schlimmste an den neuen Vereinbarungen haben wir ja noch garnicht gesprochen, nämlich den Plan, den Privatinvestoren einen 50%igen Haircut aufzuzwingen.

Im Grunde handelt es sich dabei um einen teilweisen Zahlungsausfall Griechenlands, und es gibt Viele, die aufgrund eines solchen Zahlungsausfalls ziemlich bittere Verluste realisieren würden. Und anstatt dass diese Maßnahme die europäischen Finanzinstitutionen stärkt, dürfte sie bei einer ganzen Reihe von Banken vielmehr zur Folge, dass sie noch schwächer werden, als sie es ohnehin bereits sind.

Normalerweise würden bei einer Zahlungsunfähigkeit die Kreditausfallversicherungen zum Tragen kommen, doch offensichtlich soll dies hier nicht der Fall sein, da der Haircut als „freiwillig“ angesehen wird. In einem Bloomberg-Artikel, der sich dieser Thematik recht ausführlich annimmt, heißt es dazu:

„Die EU-Vereinbarung mit Investoren bezüglich einer 50%igen Abschreibung auf ihre griechischen Anleihebestände bedeutet laut den Regularien der International Swaps & Derivatives Association, dass die Schuldenversicherungskontrakte in Höhe von USD 3,7 Milliarden nicht zum Tragen kämen.“

Die weltweiten Investoren und Finanzinstitutionen müssten die Verluste also einfach so hinnehmen.

Unterdessen wurde seitens des griechischen Premierministers George Papandreou bereits eingeräumt, dass eine Reihe griechischer Banken aufgrund der Schwere des „Haircuts“ verstaatlicht werden müssten. CNBC meldete dazu am 27.10.2011:

„Man geht davon aus, dass der Haircut für die Banken des Landes und die staatlichen Rentenfonds – die bis zum Hals (in Gesamthöhe von rund EUR 100 Milliarden) in giftigen griechischen Staatsanleihen stecken – enorme Verluste mit sich bringt. Die Regierung wird die Rentenfonds wieder refinanzieren, aber die Banken sehen sich einer vorübergehenden Verstaatlichung gegenüber, so Papandreou.

´Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein bedeutender Teil der Bankaktien in den Staatsbesitz übergehen wird,` so Papandreou. Er versprach jedoch, dass diese Anteile nach einer Umstrukturierung der Banken wieder an die Privatinvestoren zurückverkauft würden.“

Und wo soll die griechische Regierung die Gelder für die Rekapitalisierung der Banken hernehmen? Gute Frage.

Die nachteiligste Wirkung der neuen Schuldenvereinbarung, speziell des 50%igen Haircuts auf griechische Staatsanleihen, haben wir jedoch noch garnicht besprochen: Durch die Vereinbarungen der EU-Führer wird den Märkten nämlich eine sehr beängstigende Botschaft gesendet …

Die weltweiten Investoren müssen nun logischerweise zu dem Schluss kommen, dass, sollten sie portugiesische, italienische oder spanische Staatsanleihen halten, eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie irgendwann in der Zukunft ebenfalls dazu gezwungen werden, massive Abschläge hinzunehmen.

Vor genau einem Jahr rentierte die zweijährige italienische Staatsanleihe mit rund 2,5%. Heute liegt die Rendite bei rund 4,5%. Und da die Investoren nun damit anfangen werden, die Wahrscheinlichkeit eines künftigen „Haircuts“ bei italienischen Staatsanleihen mit einzupreisen, werden die Renditen für diese Papiere jetzt wesentlich stärker steigen. Das bedeutet, dass es für die italienische Regierung bedeutend teuer werden wird, sich Geld zu leihen, und es bedeutet, dass es für die italienische Regierung erheblich schwieriger werden wird, ihre Finanzangelegenheiten wieder in Ordnung zu bringen.

Im Grunde wird den Investoren durch den griechischen Schuldenschnitt signalisiert, dass sie bei den Staatsanleihen der PIIGS-Länder von jetzt an eine wesentlich höhere Rendite einfordern müssen, was den Finanzzusammenbruch der schwachen Eurozonenländer nur noch wahrscheinlicher macht.

Wir sollten in diesem Zusammenhang nicht vergessen, dass die Rendite für zweijährige griechische Staatsanleihen vor 12 Monaten noch bei 10% lag. Heute liegt sie bei über 70%.

Wie ich in einem vorangegangenen Artikel schrieb, ist die westliche Welt heute bereits völlig überschuldet, und alle aktuellen Versuche zielen nur darauf ab, Zeit zu gewinnen, ohne dass dabei irgendein Problem gelöst würde. Unseren politischen Führern mag es vielleicht gelingen, die bevorstehenden Leiden noch eine Weile aufzuschieben, verhindern lassen werden sie sich jedoch nicht.

Griechenland, Portugal, Irland und Italien verfügen allesamt über Schulden/BSP-Verhältnisse von weit über 100%. Spanien hat ebenfalls mit jeder Menge Schwierigkeiten zu kämpfen. Rechnet man die Verbindlichkeiten von Griechenland, Portugal, Irland, Italien und Spanien zusammen, so Schulden diese Länder dem Rest der Welt insgesamt rund EUR 3 Billionen.

Sollte Spanien oder Italien fallen, wird Europa das nicht verhindern können. Es gibt schlicht nicht genügend Geld, um eines dieser beiden Länder zu retten.

Das ist auch der Grund, warum der „Schulden-Deal“ so besorgniserregend ist. Alle Investoren, die zurzeit in italienische und spanische Schulden investiert sind, werden die Wahrscheinlichkeit, dass man ihnen zu irgendeinem Zeitpunkt einen Haircut in Höhe von 50% abverlangt, mit einpreisen müssen.

Sollten sich die Märkte rational verhalten (und sollte die EZB die Anleihenmärkte nicht allzu stark manipulieren), dürfte es bei den europäischen Anleihen aller Vorausschau nach zu einem erheblichen Zinsanstieg kommen, was bei den europäischen Regierungen im Hinblick auf ihre Ausgaben für einen enormen Druck sorgen wird.

Im Grunde haben wir es hier mit einem gigantischen Schlammassel zu tun, und die jüngsten Vereinbarungen der EU-Führer machen alles nur noch schlimmer. Ja, der Finanzzusammenbruch Griechenlands ist fürs Erste verhindert worden, doch die Wahrheit ist, dass es keinerlei Grund dafür gibt, warum man sich über die neue Schuldenregelung freuen sollte.

In Europa braut sich ein riesiger Finanzsturm zusammen, und dieser „Schulden-Deal“ sorgt nun dafür, dass er mit noch größerer Sicherheit wüten wird. Die Politiker haben wieder Zeit gewonnen, aber ihre Bemühungen führen letztlich in die totale Finanzkatastrophe.

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