Der Wirtschaftsaublick für die USA ist düster. Das erste Mal seit über 100 Jahren droht der US-Aktienmarkt in einem Vorwahljahr im Minus zu schließen. Würden die weltweiten Investoren ihre Aufmerksamkeit zurzeit nicht auf die Verwerfungen in der Eurozone konzentrieren, wäre alles noch viel schlimmer
David Chapman, MGI Securities, 24.11.2011
Die US-Behörde für Wirtschaftsstatistik (BEA) hat am Dienstag ihre zweite Schätzung zum US-Wirtschaftswachstum des dritten Quartals veröffentlicht und die Zunahme des US-Bruttosozialprodukts von 2,5% auf 2% nach unten revidiert. Die Märkte hatten wenigstens mit einem Wachstum von 2,3% gerechnet.
Shadow Government Stats (SGS) wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die offiziellen Angaben jedoch keineswegs aussagekräftig seien und die Wachstumszahlen aufgrund eines sogenannten Konfidenzintervalls in Höhe von 95% genauso gut auch hätten negativ ausfallen können.
Shadowstats arbeitet eigene Berechnungen des US-BSP aus. In der nachfolgenden Grafik wird das inflationsbereinigte (reale) BSP-Wachstum im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ausgewiesen. Bei diesen Daten werden Verzerrungen der offiziellen US-Inflation, die im Laufe der Zeit durch Veränderungen bei der Berechnungsmethodik entstanden sind, herausgerechnet, da die offiziellen Wachstumszahlen dadurch geschönt werden.
Sieht man von den ersten drei Quartalen in 2004 einmal ab, schrumpft die US-Wirtschaft laut den SGS-Daten nunmehr bereits seit dem dritten Quartal des Jahres 2000. Das US-BSP ist also praktisch während des gesamten ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts zurückgegangen.
Dank der Tatsache, dass sich zurzeit alle Blicke auf Europa richten, wird den Ereignissen in den USA aktuell weniger Aufmerksamkeit gezollt, und das obwohl die Verwerfungen in den USA nicht minder gravierend sind als die in Europa. Im Hinblick auf die US-Staatsverschuldung in Höhe von USD 15 Billionen hat sich überhaupt nichts getan.
Die US-Schuldenobergrenze, die gerade erst im August dieses Jahres angehoben wurde, liegt zurzeit bei USD 15,194 Billionen. Und da die jetzige US-Verschuldung auf USD 15,040 Billionen geschätzt wird, dürften die USA schon bald gezwungen sein, die Obergrenze aufs Neue anzuheben.
Das Scheitern des sogenannten Super-Ausschusses des US-Kongresses, eine überparteiliche Vereinbarung über die Reduzierung der Neuverschuldung zu erzielen, verstärkt die Sorgen der inländischen und weltweiten Finanzmärkte, während sich der langfristige Ausblick auf die Bonität der USA zusehends eintrübt, so SGS.
Um einen Rückgang der Käufe von US-Schulden zu kompensieren, hatte die US-Notenbank Federal Reserve ihre direkten Staatsanleihekäufe und ihre Käufe im Rahmen des Programms „Operation Twist“ weiter ausgeweitet. Durch Operation Twist werden kurzlaufende US-Staatsschulden in langlaufende US-Staatsschulden umgewandelt.
Laut den jüngsten Daten der US-Notenbank hält sie mittlerweile fast USD 1,7 Billionen an US-Staatsanleihen. Damit hält sie mehr US-Schulden als China und nähert sich rasch dem Volumen an, das von China und Japan gemeinsam gehalten wird.
Darüber hinaus hält die Fed rund USD 0,9 Billionen an hypothekarisch besicherten Wertpapieren (MBSs) und weitere USD 100 Milliarden an Behördenanleihen [von Freddie Mac und Fannie Mae beispielsweise]. Viele sind der Auffassung, dass der überwiegende Teil der MBSs im Grunde wertlos ist.
Sollte der überwiegende Teil der MBSs tatsächlich nichts wert sein, könnte diese im Grunde zu einer Auslöschung des Grundkapitals der US-Notenbank führten, das zurzeit mit rund USD 52 Milliarden veranschlagt wird.
Die Ratingagentur S&P hatte die Kreditwürdigkeit der USA im Sommer dieses Jahres bereits heruntergestuft. S&P und Fitch haben nun davor gewarnt, dass es zu einer erneuten Herabstufung kommen könnte, sollte man im Hinblick auf die Haushaltsprobleme keine Lösung finden.
Die Chancen, dass es zu einer Lösung des Neuverschuldungsproblems kommt, stehen unterdessen bei null, da die Verhandlungen im Kongress festgefahren sind: Die Republikaner verlangen Haushaltseinsparungen, wollen aber keine Steuererhöhungen, während die Demokraten fordern, dass die Einsparungen mit Steuererhöhungen einhergehen. Und bezüglich der konkreten Einsparungen gibt es ebenfalls keine Einigung.
Und da im nächsten Jahr die US-Präsidentschaftswahl ansteht, ist jetzt jede Seite darauf aus, dem anderen die Schuld dafür zu geben, dass keine Einigung erzielt werden kann. Das ist Katastrophenpolitik in ihrer schlimmsten Form.
Vor dem Hintergrund des trägen US-Wirtschaftswachstums – das durchaus auch im negativen Bereich liegen könnte, wenn wir die SGS-Zahlen verwenden – des politischen Stillstands bei den Gesprächen über Haushaltseinsparungen, des Schulden/BSP-Verhältnisses von 100% (Italien liegt bei 120% und Griechenland bei 140%), der drohenden Herabstufung der Kreditwürdigkeit und des Kriegsgetöses (Iran, Syrien) würde der US-Dollar normalerweise im Wert fallen, gäbe es da nicht die Sorgen rund um den Euro.
Doch da sich die Aufmerksamkeit aktuell auf den Euro konzentriert, bleibt der US-Dollar bis auf Weiteres von einer beschleunigten Entwertung verschont.
Angesichts der Tatsache, dass die US-Verbraucher mit strukturellen Einkommens- und Schuldenproblemen zu kämpfen haben, beim US-Haushaltsdefizit keine Lösung in Sicht ist, die USA über ein riesiges Schulden/BSP-Verhältnis verfügen, die Politiker handlungsunfähig zu sein scheinen und sich nun auch noch eine weitere Krise bei der US-Schuldenobergrenze abzeichnet, besteht nur wenig Grund zur Hoffnung, dass die US-Wirtschaft in nächster Zeit wachsen wird.
Die US-Arbeitslosigkeit (U-3) bleibt mit 9% weiterhin hoch. Rechnet man hier noch die vom Arbeitsmarkt garnicht mehr erfassten Langzeitarbeitslosen und all jene, die nur Minijobs haben, obwohl sie eigentlich Vollzeit arbeiten möchten, hinzu, so kommt man laut SGS auf eine Arbeitslosenrate (SGS Alternate) von 22%.
Derzeit sind mehr als 50% aller US-Hypotheken unter Wasser, was heißt, dass die Hypothek mehr wert ist als das Haus. Das hält die Menschen davon ab, umzuziehen und ihre Häuser zu niedrigeren Zinsen zu refinanzieren.
Es wird davon ausgegangen, dass zurzeit bis zu 60 Millionen Amerikaner in Armut leben und 45 Millionen US-Bürger auf staatliche Lebensmittelmarken angewiesen sind. Über 50 Millionen US-Bürger haben keine Krankenversicherung. Das US-Haushaltsdefizit beläuft sich zurzeit auf 9%. Vor diesem Hintergrund liegt der Leitzins dann auch auf einem Allzeittief von fast 0%.
Mit einer Eurozone, die droht, erneut in die Rezession abzurutschen, und Hinweisen darauf, dass es auch in China zu einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums kommt, wird die Wahrscheinlichkeit, dass die USA – wenn wir die staatlichen BSP-Zahlen zu Grunde legen – in eine Rezession eintauchen, von vielen mit über 50% veranschlagt.
Es scheint, als würde die US-Notenbank jetzt nur noch über die Möglichkeit verfügen, die Probleme ein klein wenig weiter in die Zukunft zu verlagern. Die Situation wird sich aber lediglich weiter verschlimmern, besonders dann, wenn die USA erst einmal in die heiße Phase des Wahlkampfs eintreten, die der im November 2012 stattfindenden Präsidentschaftswahl vorangeht.
Der weit gefasste Aktienindex S&P 500 ist in 2011 bisher um 7% zurückgegangen. Normalerweise ist das Vorwahljahr in den USA immer das Jahr mit den stärksten Zuwächsen der gesamten Präsidentschaftsperiode. Sollte der Aktienmarkt in 2011 tatsächlich im Minus schließen, wäre dies das erste Minus vor einer US-Präsidentschaftswahl seit 1907.
Und was die Werkzeuge der US-Notenbank anbelangt, so drängt sich der Eindruck auf, dass ihr nur noch quantitative Lockerungsmaßnahmen (QE) zur Verfügung stehen. Ein neues QE-Programm dürfte die Inflation aber weiter anheizen, was droht, den US-Dollar weiter zu entwerten, so wie dies bereits bei QE1 und QE2 beobachtet werden konnte.
Die USA haben schon heute mit einer offiziellen Inflation in Höhe von 3,6% zu kämpfen, während die 10-jährigen US-Staatsanleihen gerade einmal mit knapp über 2% rentieren. Es scheint, dass die Kosten der Systemstützung nicht mehr allzu lange getragen werden können.