Aktuell wütet die Staatsschuldenkrise in Europa. Ist beim europäischen Drama der Vorhang aber erst einmal gefallen, wird sich die Krise bis in die USA durchfressen. Dann sitzen die Amerikaner in der ersten Reihe, doch es ist kaum wahrscheinlich, dass sie dieses Schauspiel genießen werden
Peter Schiff, Europac.net, 22.05.2012
Als 2008 und 2009 der US-Eigenheim- und der Kreditmarkt zusammenbrachen, wurde man erstmals auf mich aufmerksam. Ich wurde als der Typ bekannt, der von den anderen Markt-„Experten“ ausgelacht wurde, weil ich davor gewarnt hatte, dass sich in der anscheinend unzerstörbaren amerikanischen Wirtschaft Probleme zusammenbrauen würden.
Nachdem die Maschinerie dann Mitte 2008 zum Halten kamen, stellten die Leute auf einmal fest, dass sich mein Buch „Crash Proof“, das zu Beginn des Jahres 2007 veröffentlicht wurde, im Grunde wie eine detaillierte Vorausschau zahlreicher Ereignisse las, die dann später auch eintraten.
Heute, drei Jahre später, ernte ich von vielen immer noch Kritik. Es wird behauptet, meine Vorhersagen würden zu kurz greifen. Ich sei zwar in der Lage gewesen, den Crash vorherzusagen, hätte die Stärke und Widerstandskraft der amerikanischen Wirtschaft jedoch erheblich unterschätzt. Meine Kritiker räumen ein, dass die US-Wirtschaft „unerwartet“ getroffen wurde und deshalb auch zahlreiche Kratzer abbekam, doch sei es nie zu dem von mir vorhergesagten Gemetzel gekommen.
In Wirklichkeit sind sie bei ihrer Kritik aber fälschlicherweise davon ausgegangen, dass ich ausschließlich vor einer durch den Eigenheimmarkt befeuerten Kreditblase warnte. Und obwohl dies in der Tat mit zu meiner Prognose gehörte, bin ich nie davon ausgegangen, dass die Krise damit zu Ende sein würde.
Der Crash, der mir die meisten Sorgen bereitete, war jener, der aus den Reaktionen der Regierung auf die ursprüngliche Krise resultieren würde. Meine Sorge war nicht, dass die US-Wirtschaft an der von mir diagnostizierten Krankheit zu Grunde geht, sondern dass sie durch die von der Regierung verabreichten „Heilung“ zu Fall gebracht wird.
Wenn die Verschleppungstaktik der US-Regierung – zu der auch die fortwährende Kreditaufnahme und das Gelddrucken zählen – nicht mehr länger aufrecht erhalten werden kann, könnte es dazu kommen, dass der Dollar abstürzt, die Zinssätze und Verbraucherpreise explodieren und die US-Wirtschaft in sich zusammenbricht. Das ist der wirkliche Crash, vor dem ich gewarnt habe, und das ist der Crash, über den wir uns gegenwärtig Sorgen machen sollten.
Und das ist auch der Gegenstand meines neuen Buchs „The Real Crash: Amerikas bevorstehender Banktrott. Wie Sie sich selbst und ihr Land retten.“ Aktuell ist es nur eine Prophezeiung, doch genau wie bei meinem ersten Buch könnte diese Prophezeiung sehr schnell Realität werden.
Bedauerlicherweise hat die Politik der US-Administration unter Bush und Obama gemeinsam mit der Geldpolitik der von Ben Bernanke angeführten US-Notenbank Federal Reserve dafür gesorgt, dass die Wahrscheinlichkeit des von mir beschriebenen Katastrophen-Szenarios massiv gestiegen ist. Aber es geht ja nicht nur darum, Weltuntergangszenarien an die Wand zu malen, weshalb ein Großteil des Buches auch Lösungen gewidmet ist.
Der echte Crash mag vielleicht unvermeidlich sein, doch unsere Reaktionen darauf sind es nicht. Wir können uns dazu entschließen, den von mir empfohlenen Pfad zu beschreiten, um zur Prosperität zurückzukehren, oder wir behalten den gegenwärtigen Kurs bei, der nach meinem Dafürhalten in den wirtschaftlichen Ruin führen wird.
Wenn die Menschen später einmal auf die Jahre zurückblicken, die auf den Zusammenbruch des Kreditmarkts folgten, werden sie diese Zeit nach meinem Dafürhalten als eine Phase gefährlichen wirtschaftlichen Leichtsinns erachten.
Wir haben uns etwas Zeit erkauft, indem wir die gigantischen Probleme einfach unter den Teppich kehrten. Und gegenwärtig graben wir uns mit einer Mischung aus politischer Feigheit, wirtschaftlicher Ignoranz und falscher Zuversicht ein so tiefes Loch, dass es Generationen brauchen könnte, um dort wieder herauszukommen.
Jetzt, wo wir die erste Hälfte des Jahres 2012 hinter uns gelassen haben, sind die meisten Menschen der Auffassung, dass die US-Wirtschaft seit den düsteren Tagen in 2008, wo die USA am Rande einer Wirtschaftskatastrophe wankten, bereits wieder bedeutende Fortschritte gemacht hat. Und obschon niemand über die Tatsache jubelt, dass das aktuelle BSP-Wachstum in den USA unter der historischen Marke von 2% bis 3% liegt, wird uns doch fortwährend erklärt, dass die USA die Kurve gekriegt hätten und die Situation besser sei als in vielen anderen Regionen auf dem Planeten. Aber was hat sich wirklich geändert?
Kurz vor dem Crash litten die Vereinigten Staaten unter einem beispiellos hohen Verschuldungsniveau der Verbraucher, anhaltend hohen Außenhandelsdefiziten, einem historischen Haushaltsdefizit der Bundesregierung, hohen Energiepreisen und einem dem Tode geweihten Fertigungssektor.
Vier Jahre später sind die Probleme nur noch schlimmer geworden. Doch im Gegensatz zu 2008 haben die USA nun zusätzlich noch mit der höchsten Arbeitslosenrate seit Generationen und einem Staatsverschuldungsniveau zu kämpfen, das zum damaligen Zeitpunkt völlig unvorstellbar gewesen wäre.
Ich hatte behauptet, dass das US-Wirtschaftswachstum vor der Krise vornehmlich auf die Immobilienblase zurückging. Als die Blase dann platze, war mir klar, dass die Wirtschaft schrumpfen würde. Und genau das ist ja dann auch passiert. Von 2008 bis 2009 ist unser Bruttosozialprodukt, das bei rund USD 14 Billionen lag, um USD 212 Milliarden zurückgegangen.
Um weitere Einbrüche zu vermeiden, legte die US-Regierung aggressive Ausgabenprogramme auf, die mithilfe einer massiven Neuverschuldung finanziert wurden. Und zur Erleichterung fast aller, konnte der nominelle Rückgang der US-Wirtschaft durch diese Maßnahmen auch aufgehalten werden.
Von 2010 bis 2011 wuchs das US-BSP um USD 502 Milliarden, und von 2011 bis 2012 legte es dann noch einmal um USD 508 Milliarden zu. Seit Ende 2008 hat die US-Wirtschaft ihr BSP also um USD 798 Milliarden ausweiten können. Doch für diesen Zugewinn ist ein sehr hoher Preis zu entrichten.
Das Gesamtdefizit des Bundes beläuft sich während desselben Zeitraums auf atemberaubende USD 4,2 Billionen! Allein in 2009 verschuldete sich die US-Regierung mit der Rekordsumme von USD 1,4 Billionen! In 2007 lag das Haushaltsdefizit noch bei gerade einmal USD 161 Milliarden.
Mit anderen Worten: Die USA haben sich fünfmal mehr Geld geliehen, als die US-Wirtschaft zulegen konnte. Diese Art von Wachstums-„Strategie“ ist ungefähr so, als würde eine Privatperson die Hälfte ihres Einkommens verlieren und trotzdem Geld ausgeben wie bisher, indem sie ihre Kreditkarte strapaziert.
Kann man das überhaupt Wirtschaftswachstum nennen? Gegenwärtig wird das tatsächlich Wirtschaftswachstum genannt, und die meisten Wirtschaftsexperten, Politiker, Investoren und Akademiker pflichten dieser Auffassung bei.
Bevor ich „Crash Proof“ schrieb, war mir bereits klar, dass die Regierung es niemals zulassen würde, dass die Wirtschaft stark genug schrumpft, um Gleichgewicht und Nachhaltigkeit wiederherzustellen. Ich wusste, dass die Ausgaben und Defizite der Regierung alles bisher Dagewesene sprengen würden.
Ich ging davon aus, dass diese Realitäten den US-Dollar auf Talfahrt schicken und die ausländischen Kreditgeber aus den US-Staatsschulden treiben würden. Die Verschnaufpause, die uns durch die fälschliche Auffassung beschert wurde, dass Europa in noch schlechterer Verfassung sei als die USA, wurde von mir jedoch nicht mit einkalkuliert.
Wenn bei dem sich gegenwärtig zuspitzenden Drama in Europa der Vorhang gefallen ist, wird sich die Welt wieder den spektakuläreren Ereignissen in den USA zuwenden. Die sich zurzeit in Europa abspielende Staatsschuldenkrise wird dann den Atlantik überqueren – und wenn sie in den USA aufschlägt, dürfte der echte Crash einsetzen. Der Durchschnittsamerikaner wird dann in der ersten Reihe sitzen, doch wird er das Schauspiel mit Sicherheit nicht besonders gut finden.