Die Europäische Union steht am Rande eines systemischen Zusammenbruchs. Spanien, das nun angeblich ein EUR 100 Milliarden Rettungspaket erhalten wird, braucht nach Aussagen des spanischen Premierministers mindestens EUR 500 Milliarden – und Italien EUR 700 Milliarden. Es ist völlig offenkundig, dass die Politiker der Europäischen Union bis zur letzten Sekunde lügen werden
Graham Summers, Painsgainscapital.com, 13.06.2012
Die wichtige Meldung, die die Märkte diese Woche verarbeiten, ist, dass es nun ein EUR 100 Milliarden Rettungspaket für Spanien gibt. Diese Rettung und das bevorstehende Treffen des Offenmarktausschusses der US-Notenbank am 19. und 20.06.2012 werden die Ereignisse an den Märkten innerhalb der kommenden zwei Wochen und wohlmöglich gar für den Rest dieses Jahres bestimmen.
Beim spanischen Rettungspaket handelt es sich um ein extrem diffiziles Thema. Im Folgenden werden wir zunächst einmal, die Hauptpunkte aufführen, die dabei in Erwägung gezogen werden müssen:
1. Wie wird das spanische Rettungspaket durchgeführt: Wer ist daran beteiligt und wer nicht?
2. Die Details zu der Struktur des Rettungs-Mechanismus.
3. Die mit der Rettung einhergehenden finanziellen Auswirkungen.
4. Die mit der Rettung einhergehenden politischen Auswirkungen.
Spanien hat monatelang bestritten, das es ein Rettungspaket benötigt. Es ist gerade einmal zwei Wochen her, als der spanische Premierminister Mariano Rajoy erklärte, dass Spanien keine Hilfe von außen benötigen würde.
Als der französische Präsident François Hollande auf dem jüngsten EU-Gipfel im Mai erklärte, dass Spanien unter Umständen ausländische Hilfsgelder benötigen würde, widersprach Rajoy mit den Worten: „Hollande kennt den Zustand der spanischen Banken nicht.“
Das kuriose an Rajoy’s Aussage ist, dass die Verstaatlichung von Bankia zu diesem Zeitpunkt bereits voll im Gang war. Fakt ist, dass Bankia gerade einmal zwei Tage nach dieser Erklärung um Staatshilfen in Höhe von EUR 19 Milliarden bat.
Wir können uns daher sicher sein, dass die spanischen Politiker bis zum Punkt des System-Zusammenbruchs lügen werden. Überdies wissen wir, dass die spanischen Banken und die spanischen Politiker einen enormen Anreiz haben, das wahre Ausmaß der Risiken des spanischen Bankensystems zu verschleiern.
In diesem Zusammenhang sollte man auch daran denken, dass Bankia im April dieses Jahres noch über die Ausschüttung von Dividenden diskutierte– also einen Monat bevor das Rettungspaket angefordert und der Gewinn des Jahres 2011 von EUR 309 Millionen auf Verluste von EUR 3 Milliarden korrigiert wurde.
Bei der politischen und finanziellen Strategie der Europäischen Union handelt es sich also nicht nur um eine bloße Hinhalte- und Verhinderungstaktik. In Wirklichkeit dürfte es eher so sein: „Lügen, bis man ins Gras beißt.“
Diese Auffassung wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass der spanische Premierminister Rajoy am 28.05.2012 noch erklärte, dass „es keine Rettung des spanischen Bankensektors“ geben wird. Eine Woche zuvor beharrte er darauf, dass keine Hilfe von außen nötig sei.
Zu diesem Zeitpunkt hatte Bankia aber bereits Rettungshilfen angefordert, während sich andere spanische Bankaktien dem Sturzflug von Bankia anschlossen. Wenige Tage später bat Spanien bei der Europäischen Union um Rettungsgelder.
Die Chronologie der Ereignisse spricht für sich selbst:
- 09.05.2012: Bankia fordert einen Hilfskredit von EUR 4,5 Milliarden an. Die spanische Regierung beteuert, dass die Bank „solvent“ sei.
- 21.05.2012: Spanien bewilligt die Hilfskredite für Bankia und übernimmt 45% aller Anteile der Bank. Das Institut wird also teilverstaatlicht.
- 23.05.2012: Bankia braucht nun bereits EUR 11 Milliarden. Rajoy widerspricht Frankreichs Präsidenten mit den Worten:„Hollande kennt den Zustand der spanischen Banken nicht.“
- 24.05.2012: Der Finanzierungsbedarf von Bankia steigt auf EUR 15 Milliarden.
- 25.05.2012: Die für Bankia notwendigen Rettungsgelder werden mit EUR 19 Milliarden beziffert. Die Gewinne des Jahres 2011 werden auf einen Verlust von EUR 3 Milliarden revidiert. Der spanische Rettungsfonds verfügt lediglich über EUR 5 Milliarden.
- 28.05.2012: Rajoy erklärt: „Es wird keine Rettung des spanischen Bankensektors geben.“
- 08.06.2012 – 10.06.2012: Rajoy schreibt seinem Finanzminister: „ … wir sind die viertstärkste Kraft in Europa. Spanien ist nicht Uganda … Wenn sie die Rettung Spaniens erzwingen wollen, müssen sie EUR 500 Milliarden bereitmachen und weitere EUR 750 Milliarden für Italien, das im Anschluss gerettet werden muss.“ Spanien bittet informell um ein Rettungspaket in Höhe von EUR 100 Milliarden. Die EU-Finanzminister stimmen dem Rettungspaket zu.
- 10.06.2012: Rajoy erklärt, dass das Rettungspaket ein „Sieg“ sei und führt aus: „Dieses Jahr wir ein schlechtes Jahr werden: Das Wachstum wird bei -1,7% liegen und die Arbeitslosigkeit wird ebenfalls steigen.“
Und all die oben aufgeführten Ereignisse fanden innerhalb von 30 Tagen statt!
Spanien führt die größte Bankenverstaatlichung seiner Geschichte durch und fordert EUR 100 Milliarden bei der EU an, um die Banken zu rekapitalisieren. Und trotzdem beharren die spanischen Politiker nach wie vor darauf, dass ihr Bankensystem „solvent“ bzw. in großartiger Verfassung sei. Und nachdem das EUR 100 Milliarden Rettungspaket abgenickt wurde, kommt dann die Wahrheit heraus: „Dieses Jahr wir ein schlechtes Jahr werden“
Wie schon gesagt: „Lügen, bis man ins Gras beißt.“
Angesichts dessen bin ich voll davon überzeugt, dass sich die Europäische Union am Rande eines systemischen Zusammenbruchs befindet. Wie soll ein EUR 100 Milliarden Rettungspaket (einer gegenwärtig noch garnicht existierenden Einrichtung, dem ESM) Spanien retten, wenn selbst der Premierminister des Landes einräumt, dass die notwendigen Finanzhilfen bei rund EUR 500 Milliarden liegen.
Durch das spanische Rettungspaket (wenn wir hier einmal annehmen, dass es überhaupt dazu kommt) werden die zu Grunde liegenden Probleme des EU-Bankensystems überhaupt nicht angegangen. Deswegen schießen die Rendite für die 10-jährige spanische Staatsanleihen und die Kreditausfallversicherungen des Landes auch weiter in die Höhe.
Wer sich bisher noch nicht auf den Zusammenbruch des Banksystems der Europäischen Union vorbereitet hat, sollte jetzt besser damit anfangen.