Das Einzige, wodurch jetzt noch verhindert werden könnte, dass Spanien und Italien unter der Last ihrer Schuldenberge zusammenbrechen, ist die Finanzatombombe. Die entscheidende Frage ist, ob Deutschland dabei mitspielen wird
Michael Snyder, The Economic Collapse, 02.08.2012
In Europa sind die finanziellen Schach- und Winkelzüge gegenwärtig voll im Gang, doch letztlich kann alles auf einen einzigen Nenner, auf eine grundlegende Entscheidung, heruntergebrochen werden: Wird Deutschland der Europäischen Zentralbank (EZB) erlauben, Billionen an Euros zu drucken, um mit diesen Geldern dann die Staatsschulden der in Schwierigkeiten befindlichen Euroländer wie Spanien oder Italien zu kaufen?
Alles andere wird die Probleme in Europa nicht lösen. Vergessen Sie den ESM- und EFSF-Rettungsfonds! Jeder, der glaubt, dass mit diesen Rettungsfonds die Probleme Europas gelöst werden können, würde auch eine Wasserpistole nehmen, um einen Waldbrand zu bekämpfen.
Nein, das Einzige, wodurch verhindert werden könnte, dass Spanien und Italien unter der Last ihrer Schuldenberge zusammenbrechen, ist die Finanzatombombe. Die EZB braucht dafür die Befugnis, Billionen an Euros zu drucken und die gigantischen Staatsschulden aufzukaufen, um sicherzustellen, dass Spanien und Italien in der Lage sind, sich zu niedrigen Zinssätzen Unmengen an neuem Geld zu leihen.
Dies könnte sogar genau das sein, was dem EZB-Präsidenten Mario Draghi vorschwebte, als er erklärte, dass er „alles Erforderliche tun werde, um den Euro zu bewahren.“ Leider gibt es hier ein gigantisches Problem: Die EZB ist dazu überhaupt nicht in der Lage, außer die Deutschen erlauben es ihr. Und da Deutschland den Horror der Hyperinflation in der Weimarer Republik durchmachen musste, ist das Land nicht sonderlich erpicht darauf, Billionen an frisch gedruckten Euros in die europäische Wirtschaft zu pumpen.
Sollten die Deutschen der EZB erlauben, diesen Weg einzuschlagen, wird es in Deutschland zu einer enormen Inflation kommen, während der einzige Vorteil, den Deutschland dann daraus ziehen würde, darin bestünde, dass die Eurozone zusammengehalten wird. Das hört sich nicht gerade nach einem sonderlich guten Geschäft für Deutschland an.
Aktuell liegt die Rendite für 10-jährige spanische Staatsanleihen bei über 7% und die Rendite für 10-jährige italienische Staatsanleihen bei über 6%. Diese Zinsniveaus sind auf Dauer nicht durchzuhalten. Das Einzige, was diese Renditen wieder permanent nach unten bringen könnte, wäre eine unbegrenzte EZB-Intervention. Doch ohne die Zustimmung Deutschlands wird es mit Sicherheit nicht dazu kommen.
Unterdessen verschlimmert sich die Lage in Spanien zusehends. In Spanien findet ein anhaltender stiller Bank-Run statt, der das Bankensystem des Landes systematisch in Rauch auflöst. Laut den Daten der spanischen Zentralbank sind die Kapitalabflüsse im Mai dieses Jahres auf EUR 41,3 Milliarden gestiegen und haben sich im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht. Allein die ersten fünf Monate dieses Jahres wurden über EUR 163 Milliarden aus dem Land transferiert, während im Vorjahreszeitraum sogar noch Kapitalzuflüsse zu verzeichnen waren.
Und wenn Sie der Meinung sind, dass sich diese Zahlen richtig schlecht anhören, hängt das damit zusammen, dass sie tatsächlich richtig schlecht sind.
Die spanischen Behörden beginnen bereits damit, in Panik zu verfallen. Laut Graham Summers hat Spanien vergangenen Monat [Spanien plant,] neue Kapitalbeschränkungen erlassen:
- Ein Strafzahlung von mindestens EUR 10.000 für jeden Steuerzahler, der sein Auslandskonto nicht gemeldet hat,
- zusätzliche Strafzahlungen in Höhe von EUR 5.000 für jedes weitere Konto,
- das Verbot von Bargeldzahlungen, wenn der Geldbetrag EUR 2.500 übersteigt, wobei diese Bargeld-Restriktionen für Unternehmen wie auch Privatpersonen gelten.
[Anmerkung Propagandafront: Die Aussage, dass diese Kapitalbeschränkungen bereits eingeführt worden seien, ist offenkundig nicht richtig. Rechtsanwalt Frank Müller meldete am 23.07.2012, dass diese Regelungen immer noch nicht in Kraft getreten sind: ´Mit Datum vom 13.04.2012 wurde vom spanischen Ministerrat ein Gesetzesentwurf zum Kampf gegen den Steuerbetrug … eingebracht. Die entsprechenden Maßnahmen sind noch nicht in Kraft und es bleibt daher abzuwarten, wie diese letztlich konkret geregelt und umgesetzt werden.`]
Na, wie würde sich das anfühlen, wenn die US-Regierung plötzlich alle Bargeldtransaktionen von über USD 2.500 verbietet? Ja, genau – so verrückt ist die Lage in Spanien mittlerweile.
Spanien dürfte schon recht bald formell um ein Rettungspaket bitten. Italien dürfte kurze Zeit später folgen. Das Problem ist nur, dass es aktuell überhaupt nicht genug Geld gibt, um auch nur eines dieser beiden Länder zu retten.
Letztlich ist es so, dass die Rettung entweder über die EZB erfolgt oder garnicht. Europa nähert sich jetzt mit Riesenschritten seinem Moment der Wahrheit, und niemand kann mit Sicherheit sagen, was als nächstes passieren wird. Laut dem Wall Street Journal befinden sich die weltweiten Zentralbanken bereits in „höchster Alarmbereitschaft“:
„Ben Bernanke und Mario Draghi zeigten diese Woche – mit Worten und noch nicht mit Taten –, dass sie bezüglich der Weltwirtschaft in höchster Alarmbereitschaft sind. Die Erwartungen sind jetzt sehr hoch, dass Bernanke’s Federal Reserve und Draghi’s Europäische Zentralbank diese Sorgen schon bald angehen werden. Beide sind mit immensen taktischen und politischen Herausforderungen konfrontiert, und es gibt kein Lehrbuch, dem sie folgen können.“
Also, was wird passieren, sollte Deutschland es der EZB nicht erlauben, Billionen neuer Euros zu drucken?
Der Finanzjournalist Ambrose Evans-Pritchard beschrieb jüngst, was eigentlich alles auf dem Spiel steht:
„Ein Scheitern, die vollumfängliche Schuldenkatastrophe in Spanien und Italien zum jetzigen entscheidenden Zeitpunkt aufzuhalten – wo sich China, Indien und Brasilien bereits im Griff eines zerstörten Kreditzyklus befinden und die USA am Rande einer neuen Rezession stehen, noch bevor sie das ´finanzpolitische Kliff` überhaupt erreicht haben –, würde das gesamte globale System in eine Abwärtsspirale stoßen und die Art von Rückkopplungsschleife schaffen, die bereits Ende 2008 so ein Chaos angerichtet hatte.“
Ich habe immer wieder darauf hingewiesen, dass dem weltweiten Finanzsystem die Zeit davonläuft.
Selbst Deutschland bekommt jetzt die Belastungen zu spüren. Diese Woche wurde gemeldet, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland bereits den vierten Monat in Folge gestiegen ist.
Was kommt als nächstes?
Im September steht ein sehr wichtiges Ereignis an. Das deutsche Bundesverfassungsgericht wird am 12.09.2012 über die Rechtmäßigkeit der Teilnahme Deutschlands am Europäischen Stabilitätsmechanismus entscheiden.
Sollte das Gericht entscheiden, dass Deutschland am ESM nicht teilnehmen kann, würde das ein enormes Chaos nach sich ziehen. Das wäre dann der Punkt, wo auf einmal alle europäischen Rettungsmaßnahmen in Frage gestellt und zahlreiche Beobachter damit beginnen würden, die noch verbleibenden Tage bis zum Auseinanderbrechen der Eurozone zu zählen …
Die kommenden Monate dürften mit Sicherheit sehr interessant werden, so viel steht fest. Europa hat ein Rendezvous mit seinem Schicksal, und der Ausgang dieser Entwicklung wird in der ganzen Welt zu spüren sein.
Bedauerlicherweise interessiert sich der Großteil der Amerikaner immer noch nicht für die Ereignisse in Europa. Doch wer glaubt, dass die Probleme in Europa die Vereinigten Staaten nicht nachteilig beeinflussen werden, sollte sich einfach mal die Meldung der britischen Zeitung Guardian durchlesen:
„Die Gewinne von General Motors sanken im zweiten Quartal um 41%, da die Schwierigkeiten in Europa die starken Verkaufszahlen in Nordamerika untergraben. Amerikas größter Autobauer machte im zweiten Quartal 2012 USD 1,5 Milliarden Gewinn – im selben Vorjahreszeitraum waren es USD 2,5 Milliarden. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2011 fielen die Umsätze von USD 39,4 Milliarden auf USD 37,6 Milliarden. Die Ergebnisse lagen unter den Erwartungen der Analysten, aber unterstreichen aufs Neue, dass Europa die US-Wirtschaft mit nach unten zieht.“
Die Gewinne von General Motors gehen um 41% zurück, und Europa wird die Schuld dafür angelastet.
Die Weltwirtschaft ist heute so eng vernetzt wie noch nie, und es ist überhaupt nicht möglich, dass Europas Finanzsystem kollabiert, ohne dabei nicht auch die Vereinigten Staaten mit hinterher zu ziehen.
Und wenn man jetzt noch bedenkt, dass sich die US-Wirtschaft in Wirklichkeit bereits in einer anhaltenden Zusammenbruchsphase befindet, ist das Letzte, was die Amerikaner brauchen, ein Europa, das vorbeischlendert und ihnen den Boden unter den Füßen weghaut.