Das globale Finanzsystem wankt nun bereits seit Jahren am Rande des Abgrunds, konnte sich aber Entgegen der Erwartungen vieler bisher überraschend gut halten. Die Frage ist daher, welches Ereignis das Finanzkartenhaus zum Einsturz bringen wird. Das Nahtoderlebnis der Trading-Firma Knight Capital von vergangener Woche könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Finanz-Armageddon unter Umständen durch Computeralgorithmen ausgelöst wird
Rich Ackerman, Rick´s Picks, 08.08.2012
Jeder, der glaubt, dass sich das weltweite Finanzsystem auch in Zukunft weiter durchwurschteln wird, wird das bekommen, was er verdient. Dem Rest von uns ist klar, dass das internationale Bankensystem heutzutage nur noch durch politische Lügen, Dummheit, Korruption, Gier und vor allem völlig fehlplatziertes Vertrauen am Leben gehalten wird.
Es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bevor die verrotteten Pfeiler dieses Glaubenssystems zu Boden krachen. Aber was wird der Auslöser sein? Die Möglichkeit oder gar die Wahrscheinlichkeit, dass das Finanzsystem von einem sogenannten schwarzen Schwan – also irgendeinem unvorhergesehenen Ereignis – überwältigt werden wird, ist ja bereits 2004 das implizite Thema von Nassim Taleb’s Beststeller „Die Narren des Zufalls“ gewesen.
In der New York Times strich Taleb bezüglich eines schwarzen Schwans heraus:
„Was wir hier als schwarzen Schwan bezeichnen, ist ein Ereignis, das drei Eigenschaften aufweist. Erstens ist es ein Außenseiter, da es sich außerhalb des Bereichs der gewöhnlichen Erwartungen befindet, da in der Vergangenheit nichts überzeugend auf seine Möglichkeit hingedeutet hat. Zweitens zeitigt es extreme Folgen. Drittens sorgt die Natur des Menschen dafür, dass, ist es dann erst einmal eingetreten, wir trotz seines Außenseiterstatus versuchen, uns Erklärungen auszuhecken, um es erklär- und vorhersagbar zu machen.“
Seit Taleb’s Buch vor sieben Jahren an die Spitze der Bestsellerliste stieg, gab es eine ganze Reihe an Ereignissen, die allesamt einen vollständigen Zusammenbruch des Bankensystems hätten auslösen können, was aber letztlich nicht geschah.
Während all dieser Jahre ist seine These aber nur noch stichhaltiger geworden, auch wenn sich die weitläufigen Erwartungen, dass der Zusammenbruch „jeden Tag“ kommen könnte, bisher nicht bewahrheitet haben. Es scheint zunehmend unwahrscheinlicher, dass irgendeiner der populären Gründe, die uns aufgetischt worden sind – auch die Weltuntergangs-Prophezeiung des Maya-Kalenders –, das Ende des Wirtschaftslebens, wie wir es kennen, zur Folge haben wird.
Fakt ist, dass das Finanzsystem bisher überlebt hat – und was nicht alles: Den faktischen Bankrott der Eurozone; ein US-Haushaltsdefizit, das sich bereits auf über USD 1 Billion pro Jahr beläuft; den Zusammenbruch der Eigenheimpreise in den USA und anderen Teilen der Welt; eine hartnäckig hohe Arbeitslosigkeit in weiten Teilen der Welt; und „Austerität“, die ausreichend ist, um Europa an den Rand einer Depression zu treiben.
Und trotz all dieser Dinge befindet sich der US-Aktienmarkt abermals in einer Rally und ignoriert einfach alle schlechten Meldungen, um sich stattdessen auf das jüngste Geschwafel des EZB-Präsidenten Draghi zu konzentrieren. In einer normalen Welt würden die Ausführungen von Draghi nicht einmal zur Kenntnis genommen – und all jene, die glauben, dass die Zentralbanken den Kollaps der USD 1 Billiarde schweren Derivateblase verhindern könnten, würden als Verrückte erachtet.
Also, was wird das Kartenhaus letztlich zum Einsturz bringen? Die Nahtoderfahrung von Knight Capital von vergangener Woche gibt uns vielleicht eine Antwort darauf. Knight Capital ist einer der größten Finanzhändler der Welt. Letzte Woche spielte der Computer des Unternehmens komplett verrückt und verursachte angeblich innerhalb von gerade einmal 30 Minuten USD 440 Millionen Verlust.
Zwei erschreckende Tatsachen sollten diesbezüglich nicht einfach so übergangen werden, auch wenn Knight Capital dann übers Wochenende von seinen einstigen Mitbewerbern gerettet wurde:
- Das gesamte globale Bankwesen ist auf exakt dieselbe Art und Weise mit den Märkten verbunden wie Knight Capital. Der Handel wird durch Algorithmen gesteuert, die viel zu schnell sind, als dass Menschen entgegensteuern könnten.
- Das katastrophale Versagen dieses fragilen Netzwerks scheint unvermeidlich. Fakt ist, dass es bereits unzählige Male zu kleineren Katastrophen kam. Die erste war der Flash-Crash an Wall Street im Mai 2010. Dem folgten dann verschiedene andere bedeutende Computerversagen. Ein Programmierfehler hatte sogar den Börsengang von BATS Global Markets vermasselt – einer Firma, deren ganze Reputation auf ihrer Erfahrung mit Finanzsystemen beruht.
Die Schuld wird dann gewöhnlich „Schurken-Algorithmen“ gegeben – aber selbst diejenigen, die diese Algorithmen programmiert haben, haben keine Ahnung, was man dagegen tun könnte. Will man die Märkte verlangsamen? Ja, darüber wird gesprochen, aber das wäre so, als würde man versuchen, einen tollwütigen Hund mit Beruhigungsmitteln unter Kontrolle zu bekommen.
Die Geschwindigkeit ist heutzutage fest in der DNA der weltweiten Märkte verankert. Da gibt es kein Zurück mehr. Sollte solch ein Schurken-Algorithmus eines Tages einen Markt zu Fall bringen, der, sagen wir, vielleicht hunderte Male so groß ist wie der, in dem Knight Capital handelte, wird der Verheerung nicht mehr aufzuhalten sein.
Das ist dann der Zeitpunkt, wo die Monster vom Zaum gelassen wurden – wie im Science-Fiction-Film „Der verbotene Planet“. Dort hatten die Krell einen unglaublich mächtigen Reaktor geschaffen, der alles, was sie sich wünschten, herstellen konnte. Was sie jedoch nicht bemerkten, war, dass die Maschine, während sie schliefen, auch mörderische Dämonen erschuf, die von ihrem primitiven Unterbewusstsein herrührten.
Werden die enorm mächtigen Computer, die den Hochfrequenzhandel an den weltweiten Börsen heutzutage überhaupt erst möglich machen, auf ähnliche Art Amok laufen und ihre Schöpfer vernichten?