Die ersten Konzerne beginnen nun damit, für die europäischen Märkte Strategien zu übernehmen, mit denen sie bisher nur in Entwicklungsländern und Schwellenmärkten gearbeitet haben. Es ist offenkundig, dass die Unternehmen die Schuldenkrise Europas nicht als temporäres Phänomen erachten, sondern darin einen neuen langanhaltenden Trend sehen, dem man bei der Verkaufsstrategie Rechnung tragen muss

Wolf Richter, Testosteronepit.com, 29.08.2012

Am Montag ging es los. „Die Armut kehrt nach Europa zurück“, so Jan Zijderveld, der Chef von Unilever Europa, in einem Interview. Der britisch-niederländische Verbrauchsgüterhersteller, der drittgrößte der Welt, passt seine Handelsstrategie dieser neuen Realität an, so Zijderveld. Dafür implementiert Unilever in Europa Verkaufsstrategien, die auch in den armen Regionen der Welt, den Entwicklungsländern und Schwellenmärkten, funktionieren.

Mittlerweile wird das auch von den Lichtgestalten der Branche bestätigt. Der Geschäftsführer von L’Oréal, Jean-Paul Agon, nannte es am Mittwoch „die Logik der Verarmung“.

„Wenn ein Spanier nur noch durchschnittlich 17 Euro pro Einkauf ausgibt, dann kann ich ihm kein Waschmittel für die Hälfte seines Budgets verkaufen … In Indonesien verkaufen wir Einzelpackungen Shampoo für 2 bis 3 Cent und verdienen trotzdem ordentliches Geld“,

so Zijderveld gegenüber der Financial Times.

Dass diese Strategie in Asien weit verbreitet ist, fand ich 1996 in Vietnam heraus. In einem Cafe in Hué hatte ich mich beim Aufstehen vom Tisch am Finger geschnitten. Als ich die dreckige Straße entlanglief, zutschte ich an meinem Finger, damit das Blut nicht auf meine Kleidung tropfte. Das Mädchen, das mich begleitete, war schockiert über mein barbarisches Verhalten und zog mich in ein Geschäft, wo sie mir ein einzeln abgepacktes Pflaster kaufte, was praktisch nichts kostete.

Unilever hat im Hinblick auf Europas Märkte, speziell die Südeuropas, wohl festgestellt, dass sie die Eigenschaften von Schwellenmärkten aufweisen; der Konzern erachtet die Schuldenkrise Europas nicht mehr als vorübergehendes Phänomen, sondern als einen Trend, an den man seine Verkaufsstrategien anpassen muss.

Das ist auch der Grund, warum Unilever in Spanien mittlerweile Waschmittel verkauft, das nur noch für fünf Waschgänge reicht, und in Griechenland bietet der Konzern Produkte wie Mayonnaise bereits in Kleinpackungen an. Diese Strategie hat man nun sogar schon auf Großbritannien übertragen! Ganz einfach weil den Leuten das Geld ausgeht. Und die Strategie ist erfolgreich. Seit der Konzern in 2011 mit seiner neuen Verkaufsstrategie begonnen hat, sind die Verkaufszahlen nicht mehr gefallen. In der ersten Jahreshälfte konnte sogar ein Umsatzplus von 1,1% erzielt werden.

„Ja ich stimme zu, es gibt in Südeuropa eine Bewegung in Richtung einer sehr drastischen Verarmung“, so Michel-Edouard Leclerc am Mittwoch. Jetzt gehen auf einmal alle an die Öffentlichkeit. Leclerc ist Geschäftsführer von E.Leclerc, der größten Einzelhandelskette Frankreichs mit einem Marktanteil von 18% und 556 assoziierten Verbrauchermärkten, Supermärkten und Fachgeschäften.

Auch in Italien, Spanien, Portugal und anderen Ländern hat das Unternehmen zahlreiche Geschäfte. Und die Firma passt sich gegenwärtig ebenfalls der neuen Realität an. In den italienischen Läden, wo Joghurt bisher in der Regel nur in Mehrstückpackungen verkauft wurde, hat man nun beispielsweise damit begonnen, ihn in Einzelpackungen zu vertreiben.

Jean-Paul Agon, der Geschäftsführer des weltgrößten Kosmetikherstellers L’Oréal, konterte mit einer eher ambivalenten Botschaft. Nein, die Firma würde ihre Produkte nicht anpassen, um der wachsenden Armut Europas gerecht zu werden, so Agon.

Der Wettlauf um den niedrigsten Preis sei „nicht unsere Strategie.“ Im Gegensatz zu den anderen Unternehmen würde seine Firma nicht der „Logik der Verarmung“ folgen, sondern stattdessen auf „Innovation und Mehrwert“ setzen, was es L’Oréal im Laufe der Zeit erlauben würde, Preissteigerungen durchzusetzen – „aber auf vernünftige Weise“ wohlgemerkt.

Angesichts der Umsatzahlen, die L’Oréal am Mittwochmorgen bekanntgab, macht das durchaus Sinn – die waren nämlich eine einzige Katastrophe und sorgten dafür, dass die Aktie des Unternehmens um 4,4% einbrach. Dank der enttäuschenden Gewinnzahlen legte die Aktie die zweitschlechteste Performance des französischen Leitindexes CAC40 hin!

Statt kleinerer Packungsgrößen hat es der Konzern mit massiven Rabatten versucht. Agon räumte ein, dass „wir unsere Strategie an das Umfeld anpassen“ – namentlich die Verarmung Europas. Ja selbst L’Oréal …

Doug Casey, der Vorsitzende von Casey Research, erklärte im Hinblick auf Europa, dass die Regierungen und Banken wie

„eine Gruppe Betrunkener an der Straßenecke [sind], die sich gegenseitig stützen … Europa ist stark reguliert, hoch besteuert und sozial viel instabiler [als die USA]. Europa wird das Epizentrum des kommenden Sturms sein.“

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