Haarsträubende Zustände bei der EU-Agrarförderung für Osteuropa hat ein Sonderbericht des EU-Rechnungshofs aufgedeckt. Statt bei den Landwirten landen die Hilfen immer öfter in den Staatshaushalten der EU-Neumitglieder
Norman Hanert, Preußische Allgemeine Zeitung, 13.12.12
Es war schon ein erstaunlicher „Kompromissvorschlag“, mit dem EU-Ratspräsident Herman van Rompuy das Scheitern der EU-Budgetverhandlungen noch in letzter Minute verhindern wollte. Während vor allem Großbritanniens Premier David Cameron forderte, den EU-Haushalt drastisch zusammenzustreichen, präsentierte der Belgier ein wahres Geschenkpaket an die Nehmerländer im Süden und Osten der EU. Zur Freude Polens und Frankreichs hatte van Rompuy etwa das Versprechen im Angebot, die EU-Agrarpolitik von vornherein von Kürzungen zu verschonen. Griechenland, Spanien, Portugal, Malta und Zypern wurden nicht nur höhere Zahlungen aus den Strukturfonds allgemein in Aussicht gestellt, sondern auch noch „spezielle Zuweisungen“.
Nur kurz, nachdem van Rompuy mit seinem kostspieligen Versuch abgeblitzt war, sich eine Mehrheit für den EU-Haushalt zu Lasten der wenigen Zahlerländer regelrecht zusammenzukaufen, sorgte der EU-Rechnungshof für eine andere Überraschung. Er präsentierte einen aufschlussreichen Sonderbericht über einen Teilbereich der Brüsseler Agrarförderung, der in der Öffentlichkeit wenig beachtet wird, das sogenannte System für einheitliche Flächenprämien (SAPS). Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich der Versuch, den Landwirten der jüngsten EU-Beitrittsländer den Übergang in das etablierte Brüsseler System der Agrarförderung zu erleichtern. Unabhängig von dem, was sie anbauen, sollen Landwirte für eine befristete Zeit durch direkte Zahlungen auf ihre Agrarflächen ein Zusatzeinkommen erhalten – so zumindest die Vorstellung.
Der Versuch kann gleich in mehrfacher Hinsicht als gescheitert angesehen werden. Das Provisorium, gedacht vor allem für die osteuropäischen EU-Länder, scheint sich mittlerweile als Dauereinrichtung etabliert zu haben. Sollte die Übergangslösung eigentlich Ende 2009 auslaufen, ist sie inzwischen bis 2014 verlängert. Falsch liegt man ebenso mit der Annahme, dass diese Subventionen allmählich heruntergefahren würden, weil die osteuropäischen Landwirte auf dem gemeinsamen Agrarmarkt inzwischen besser zurechtkommen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kosten steigen. Betrugen die Zahlungen im Jahr 2011 rund fünf Milliarden Euro, so werden 2014 schon 7,5 Milliarden Euro für die „Übergangslösung“ fällig. Insgesamt haben Polen, die Slowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien seit ihrem EU-Beitritt im Jahr 2004 beziehungsweise 2007 insgesamt 21 Milliarden Euro von Brüssel an Flächenprämien überwiesen bekommen. Eine Ahnung, warum das System immer kostspieliger wird, liefert ein Blick auf die Empfänger. Neben Landwirten halten Akteure die Hand auf, die nicht das Geringste mit der Agrarwirtschaft zu tun haben, wie beispielsweise polnische Baulöwen mit gepachtetem Ödland. Wie der EU-Rechnungshof festgestellt hat, kassieren in Polen sowohl Flughäfen und Immobiliengesellschaften als auch 1345 Jagdvereinigungen großzügige Agrarhilfen. Ski-und Anglervereine können sich gleich in mehreren Länder über die Direkthilfen für Landwirte freuen.
Noch absurder erscheint das System der direkten Flächenzahlungen, wenn man sieht, wer noch auf der Empfängerliste steht: in Ungarn niemand anders als der Staat selbst als der größte Profiteur. Im Jahr 2010 flossen 14 Millionen Euro aus dem EU-Agrarhaushalt für 82000 Hektar in Staatsbesitz direkt in die ungarische Staatskasse. Sogar 25000 Hektar Manövergelände der ungarischen Armee wurden mit den Brüsseler Hilfen für Landwirte bedacht. In Bulgarien deckten die Rechnungsprüfer die weitverbreitete Praxis auf, dass extra juristische Personen gegründet wurden, um für Gemeindeland die EU-Zahlungen zu kassieren. Nicht viel anders sieht es in Polen aus. Für diejenigen Flächen aus den zwei Millionen Hektar in Staatsbesitz, für die sich keine privaten Pächter gefunden haben, kassieren polnische Kreisämter mittlerweile jährlich eine Milliarde Euro an EU-Flächenhilfen. Im Klartext: Aus dem EU-Agrarbudget werden mittlerweile wie selbstverständlich Leistungen finanziert, für die eigentlich der Staatshaushalt der jeweiligen Länder aufkommen müsste. Unter dem Vorwand der Hilfen für Landwirte ist so die Transferunion längst zur Realität geworden.
Wenig ermutigend ist auch ein anderer Befund. Selbst wenn die Gelder wirklich an Landwirtschaftsbetriebe gezahlt werden, häufig kassieren Empfänger, die eigentlich keine Hilfe nötig hätten. In Bulgarien vereinnahmten zwei Prozent der Empfänger rund 50 Prozent der gesamten Flächenprämien – mit anderen Worten, Großbetriebe werden mit Brüsseler Subventionen noch weiter gemästet. Bei der Interessenslage bleibt wenig Hoffnung, dass Reformempfehlungen des EU-Rechnungshofs, wie etwa die Beschränkung der Zahlungen auf wirklich aktive Landwirte, jemals Realität werden.