Neues Wirtschaftsmodell: Während in Frankreich zigtausende von Autos in Brand gesteckt werden und die gesamte Autobranche in Flammen aufgeht, sprudeln die Umsätze der staatlichen Lottogesellschaft

Wolf Richter, Testosteronepit.com, 03.01.2013

Silvester fand die Hauptveranstaltung statt. Und es war keine Enttäuschung. Innerhalb weniger Stunden wurden in Frankreich 1.193 Fahrzeuge in Brand gesteckt, so der französische Innenminister Manuel Valls. Das ist ein Anstieg von 4% gegenüber 2009, als 1.147 Fahrzeuge in Flammen aufgingen. Und keiner hat den Nerv, diese Tradition zu erklären.

In den Tagen, die diesem alljährlichen Ritual vorangingen, versprach Valls „vollständige Transparenz“, ganz im Gegensatz zu der Sarkozy-Regierung, die die Zahlen seit 2009 unter den Teppich gekehrt hatte. Aber es ist eine ganzjährige Veranstaltung: In 2011 wurden 40.244 Fahrzeuge angezündet, in 2010 waren es 43.568. Selbst Valls war „schockiert“ angesichts dieser Zahlen.

Aber diese massive Zerstörung funktionierender Autos – der überwiegende Teil der Schäden wurde von den Versicherern bezahlt – war nicht einmal ansatzweise ausreichend, um die Autobauer zu retten. Die Verkäufe von Neuwagen gingen in 2012 um 13,9% zurück, und zwar von ohnehin bereits miserablen Niveaus des Jahres 2011.

In 2012 wurden in Frankreich lediglich 1,89 Millionen Neuwagen verkauft, ein Tiefststand, der 1997 das letzte Mal gesehen wurde, und das obwohl die französische Bevölkerung wächst. Besonders alarmierend: Die Verkaufszahlen der französischen Autobauer brechen ein. Bei PSA Peugeot Citroen gingen sie um 17,5% und bei Renault um 22,1% zurück.

Alle Hoffnungen ruhten auf den neuen Modellen – dem Peugeot 208 und dem Renault Clio 4 –, die im Herbst auf den Markt kamen, doch seitdem haben sich die Hoffnungen bereits wieder in Luft aufgelöst.

Aber auch andere Autobauer gerieten in Frankreich ins Straucheln: Bei Ford lag der Rückgang bei 19,8%, bei Fiat, eine Marke, die kaum noch gekauft wird, lag der Rückgang bei 23,7%, ein Einbruch, der nur noch von General Motors angeschlagener Tochter Opel getoppt wurde, deren Verkäufe um 23,8% zurückgingen. Aber es gibt auch Gewinner: Die Verkaufszahlen von BMW legten um 2,3% zu, die von Mercedes um 5,3% und bei Hyundai-Kia lag die Verkaufssteigerung sogar bei 28,2%!

Die französischen Autobauer haben also – genauso wie die gesamte französische Wirtschaft – ein komplexes Problem: In einem miesmutigen Markt mit einer brutal steigenden Arbeitslosenrate und einem Steuer-Chaos beispiellosen Ausmaßes warten sie mit nicht wettbewerbsfähigen Produkten auf.

Es gibt aber eine Branche, die in einem solchen Wirtschaftsumfeld boomt: Die Branche der Hoffnung. „Française de Jeux“ (FDJ), die drittgrößte Lottogesellschaft der Welt, die sich zu 72% im Staatsbesitz befindet, hat nun ihre Umsätze für 2012 bekanntgeben, und die waren richtig heiß! EUR 12,1 Milliarden, das ist ein Anstieg von 6,1% gegenüber dem Vorjahr. Es ist ein neues Allzeithoch – und das trotz der Angriffe der Online-Anbieter auf das historische Glücksspielmonopol.

Die FDJ brüstet sich mit ihren 26,3 Millionen „Kunden“ – das sind 40% der 65 Millionen Franzosen! Ihre Produkte werden in über 34.300 Geschäften verkauft: Tabakläden, Bars, Zeitungsstände, französische Überseegebiete, Lebensmittelläden und Tankstellen. Auf 1.895 Bewohner kommt ein Lottoladen – das sind doppelt so viele, wie es an Post-Filialen gibt. Sie sind buchstäblich überall. Und sie alle locken mit der Hoffnung.

Jeden Tag, so die FDJ, würden zwischen acht und zehn Millionen Menschen zu diesen Händlern gehen, um ihr hart verdientes Geld, ihr Arbeitslosengeld, ihre Sozialhilfe freiwillig gegen einen klein wenig Hoffnung einzutauschen – die Hoffnung, plötzlich Millionär zu werden. Aber leider ist die Chance darauf winzig: Von den 26,3 Millionen Kunden, die in 2012 mehr oder weniger regelmäßig einen Silberstreif am Horizont kauften, wurden 41 tatsächlich Millionäre. Die Chancen stehen schlecht. Aber Hoffnung verkauft sich – im Gegensatz zu französischen Autos.

Die Rekordumsätze der FDJ wurden zusätzlich noch durch ein „außergewöhnliches Kalenderjahr“ begünstigt. Hierzu gehörten drei Mal Freitag der 13. (in 2011 gab es nur einen) und drei Glückstage – den 10.11.12, den 12.12.12 und den 21.12.12. Das heizte die Lust der Rubbellos-Begeisterten noch einmal richtig an, die für den Spaß insgesamt EUR 5,4 Milliarden ausgaben, was gegenüber 2011 einem Anstieg von 7,5% entspricht.

Nimmt man alle Glücksspiele zusammen, beliefen sich die Einnahmen auf EUR 10,7 Milliarden – ein Anstieg von 3,7%. Die Sportwetten-Spieler, die dank zwei internationaler Mega-Events, den Olympischen Spielen in London und der Fußball-Europameisterschaft, komplett durchdrehten, überreichten der FDJ EUR 1,4 Milliarden, ein Anstieg von 27% gegenüber dem Vorjahr. Wenn nur Renault dazu in der Lage wäre.

Von diesen sich aufblähenden Einnahmen hat die FDJ 95% oder EUR 11,5 Milliarden „umverteilt“. Mit EUR 7,9 Milliarden ging der größte Teil der Einnahmen an die glücklichen „Kunden“. Über EUR 3 Milliarden flossen in den Staatssäckel – der liebevoll als „Allgemeinwohl“ bezeichnet wird –, wobei das meiste davon über eine 23,5%ige Lottosteuer eingezogen wurde.

Weitere EUR 587 Millionen oder 4,9% der Einnahmen wurden als Provision an die 34.300 Einzelhändler der FDJ ausgezahlt. Das sind im Schnitt EUR 17.113 pro Laden – eine beträchtliche Einnahmequelle, wenn man bedenkt, dass diese Läden vornehmlich von Kleinselbständigen betrieben werden. Es war ein Anstieg von 6,1% gegenüber 2011 und von 15,4% gegenüber 2010. Zumindest bei der Branche der Hoffnung gibt es also keine Krise.

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