Wolf Richter, Testosteronepit.com, 14.01.2013

Normalerweise hätten die Medien der Geschichte Priorität eingeräumt: Der französische Präsident François Hollande und der Premierminister Jean-Marc Ayrault sind so unbeliebt wie noch nie. Aber die Umfrage wurde von Frankreichs Bombardierungskampagne in Mali – die zumindest in Frankreich für eine Welle an positiven Kommentaren und Unterstützung von allen Seiten sorgte – schnell in den Hintergrund gedrängt. Was für ein makelloses Timing!

In einer am Freitag und Samstag durchgeführten Umfrage, also direkt vor der Intervention in Mali, hatten nur noch 39% der Befragten eine positive Meinung von Hollande – das ist ein neues Rekordtief und ein Einbruch von 19% innerhalb von sieben Monaten. Die kurzzeitige Erholung von Hollandes Zustimmungswerten im November hatte sich als Illusion herausgestellt. Im Gegensatz dazu erfreute sich Sarkozy zum selben Zeitpunkt seiner Amtszeit (Januar 2008) immer noch einer Zustimmungsrate von 54%.

Und der arme Ayrault. Bei seinen Umfragewerten gab es überhaupt keine Erholung. Seine Zustimmungsrate schoss direkt in die Hölle. Nur die Geschwindigkeit dieses Absturzes variierte von Umfrage zu Umfrage. Nachdem die Franzosen seine Arbeit nun schon sieben Monate lang mitverfolgen durften, haben nur noch 35% ein positives Bild von ihm – das ist ein Einbruch von 21% seit Amtsantritt. Sein Vorgänger, François Fillon, war nie so tief gefallen.

France-Poll-January-2012-Hollande-Ayrault-Unpopularity

„Das wirft die Frage der Legitimität von Jean-Marc Ayrault auf“, so das Institut LH2, das die Umfrage durchgeführt hatte. Selbst für die Linke seien „die Maßnahmen des Präsidenten und der Regierung nicht überzeugend …“ Ayrault würde bald ausgetauscht werden müssen.

Doch plötzlich kam die Intervention in Mali. Ausgelöst wurde sie, als Dschihadisten, die Teile des nördlichen Malis in ihre Gewalt gebracht hatten, damit begannen, in den Süden in Richtung Mopti, die zweitgrößte Stadt des Landes, vorzustoßen. Mopti hat einen Flughafen und eine Autobahn nach Bamako, die rund 650 Kilometer entfernte Hauptstadt im Süden Moptis. Mopti wäre der Ausgangspunkt für die Eroberung von Bamako gewesen. Also begannen die Franzosen damit, dschihadistische Stellungen und Konvois zu bombardieren.

Die Intervention hat die französischen Medien völlig vereinnahmt. Alle Moderatoren und Kommentatoren aller Couleur sind jetzt damit beschäftigt. Es gibt eine Flut an Artikeln, in denen die Operationen überschwänglich unterstützt werden.

Am Montagabend, kurz vor 23 Uhr, kam Ayrault aus einem Treffen im Hôtel Matignon, seinem Amtssitz, wo er hochrangige Parlamentsmitglieder über die aktuellen Geschehnisse informiert hatte. Mit unbeugsamer Stimme erklärte er seinen Landsleuten: „Die Kampfhandlungen der Regierung gegen die terroristische Bedrohung werden nicht nachlassen. Ich freue mich über die Unterstützung, die uns von allen politischen Kräften entgegengebracht wurde.“

Auf einmal war jedes kleinste Detail von Bedeutung. Hollande flog nach Abu-Dhabi und Dubai, aber selbst während seiner Reise traf er noch Entscheidungen. Nigerianische Truppen befanden sich auf dem Weg nach Mali und würden dort nächste Woche eintreffen. Algerien, das nördlich an Mali grenzt, versprach, seine Grenzen zu schließen, genauso wie dies auch andere Nachbarländer Malis getan hatten. Laut Zeugen hätten 30 bewaffnete französische Fahrzeuge bei der ivorischen Grenzstadt Pôgô die Grenze nach Mali überquert.

Tuareg-Rebellen, die in 2012 das nördliche Gebiet von Azawad unter ihre Kontrolle brachten und die Unabhängigkeit ausriefen, nur um dann von Dschihadisten an die Seite gedrängt oder, besser gesagt, überrannt zu werden, gaben ihre eigene Erklärung ab: Sie boten den Franzosen Unterstützung an. „Wir sind bereit zu helfen. Wir sind ohnehin bereits in den Kampf gegen den Terrorismus involviert“, so ein Vertreter der Befreiungsbewegung von Azawad (MNLA).

Den ganzen Tag über gab es ähnlich aufregendes Zeug, über das berichtet werden musste – und der viel gescholtene Premierminister hat jetzt wohl endgültig Boden unter die Füße bekommen. Ja selbst Marine Le Pen, die Chefin der rechtsgerichteten Front National, die in der Vergangenheit unermüdlich auf die Regierung einschlug und die Regierungen von Hollande und Sarkozy bezichtigte, „den steigenden islamischen Fundamentalismus in Frankreich“ kleinzureden, räumte widerwillig ein, dass die Entscheidung Hollandes „legitim“ sei.

Es gab aber auch einige Verweigerer. Jean-Luc Mélenchon, ein Linker, der bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr den vierten Platz errang, murrte: „Das UN-Mandat besagt, dass dies ein afrikanisches Problem ist, das von den Afrikanern gelöst werden muss.“ Und Mélenchon, der nicht dafür bekannt ist, ein Blatt vor den Mund zu nehmen, fügte hinzu: „Das sind Erwachsene, sie haben echte Länder, und dennoch machen wir jetzt wieder mit unseren schlechten Angewohnheiten weiter, auf dem Kontinent mal hier und mal da zu intervenieren.“

Und er fragte: „Welcher der in den letzten 20 Jahren geführten Kriege wäre wirklich dringlich gewesen, hat ein Problem gelöst und ist tatsächlich erfolgreich gewesen?“

Auf der Rechten räumte Dominique de Villepin – Berufsdiplomat, Premierminister unter Jacques Chirac und der Erzfeind von Sarkozy – in einem Zeitungskommentar zwar ein, dass die Lage in Mali, wo die Dschihadisten nun in Richtung Süden marschieren, kritisch sei, forderte jedoch:

„Lasst uns nicht nur um des Kriegs willen dem Kriegsreflex erliegen … Die offenkundige Hast, die Déjà-vu-Argumente des ´Kriegs gegen den Terror` [bereiten mir Sorgen] … Lasst uns aus den Lektionen eines Jahrzehnts verlorener Kriege in Afghanistan, im Irak und in Libyen lernen.“

Kriege, so Villepin weiter, „fördern den Separatismus, gescheiterte Staaten und das eiserne Gesetz der Milizen.“ Er bezweifelt, dass dieser Krieg von Erfolg gekrönt sein wird; die Kriegsziele seien unklar und Frankreich kämpfe ohne zuverlässige malische Partner. Er wies auf die Putsche hin, mit denen der Präsident im März und der Premierminister im Dezember aus ihren Ämtern gejagt wurden, auf den Zusammenbruch der gespaltenen Armee und das allgemeine Versagen des Staats und fragte: „Wer wird uns unterstützen?“

Für den Augenblick sind all diese Bedenken aber erst einmal völlig bedeutungslos. Frankreich hat nun ein Thema gefunden, hinter dem es sich vereinen kann. Zum Teufel mit dem Arbeitslosen-Fiasko, dem Rückgang des Privatsektors, dem Zusammenbruch der Autobranche! Jetzt weht ein neuer Wind durch die Regierung. Ein ordentlicher Anstieg bei den Zustimmungswerten dürfte folgen. Ja selbst Ayrault könnte sich nun doch noch ein wenig länger im Amt halten.

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