Während die französische Wirtschaft ihre Talfahrt unerbittlich fortsetzt, bekommt es die französische Regierung mit der Angst zu tun und bereitet sich auf Arbeiterrevolten und soziale Unruhen vor

Wolf Richter, Testosteronepit.com, 05.02.2013

Der alltägliche Schwall an Meldungen über Entlassungen und Ankündigungen von Werksschließungen in Frankreich verärgert die hoffnungslosen Arbeiter, die bei all dem ihre Existenzgrundlage verlieren könnten, ohne dass viel Hoffnung darauf besteht, dass sie irgendwo eine neue Arbeit finden werden, da die Arbeitslosenrate bereits auf 10,5% gestiegen ist.

Und jetzt macht sich auch die französische Regierung bezüglicher einer „Radikalisierung“ dieser wütenden Arbeiter Sorgen. Es ist eine echte Zwickmühle: Einerseits hatten die Sozialisten während der Wahl versprochen, sich hinter die Arbeiter zu stellen, andererseits müssen sie aber irgendeinen Weg finden, ein Wirtschaftsumfeld zu schaffen, in dem der Privatsektor überleben kann.

Und der Privatsektor schnappt nach Luft. Der Einkaufsmanagerindex der Dienstleistungsbranche fiel von 45,2 Punkten im Dezember auf 43,6 Punkte im Januar, das ist der schnellste Rückgang seit März 2009 (alles unter 50 Punkten ist ein Rückgang). Besonders besorgniserregend ist auch der drastische Rückgang bei der Beschäftigung.

Und in der Fertigungsbranche sieht es sogar noch schlimmer aus. Der Einkaufsmanagerindex der Fertigungsbranche fiel im Januar auf 42,9 Punkte. Die Auftragseingänge brachen so schnell ein wie seit März 2009 nicht mehr, wobei die Inlandsnachfrage für diesen Rückgang verantwortlich gemacht wird. Die Beschäftigung ging weiter zurück, da die Firmen die Zahl ihrer Angestellten aufgrund überschüssiger Kapazitäten verkleinert haben.

Dass bei den aktuellen Wirtschaftsdaten ein ums andere Mal der Bezug zu März 2009 – den dunklen Tagen der Finanzkrise – auftaucht, ist besorgniserregend. Markit Economics, das die Einkaufsmanagerindizes ermittelt, spricht vor einer „sich vertiefenden Malaise“ und einer „weitflächigen Verschlechterung im Privatsektor“ mit „erheblichem Gegenwind“, einem „beschleunigtem Stellenabbau“ und „erhöhten Niveaus an Unsicherheit“. Präsident François Hollande und seine Regierung müssten sich eigentlich bereits im Panik-Modus befinden.

Der französische Privatsektor ist schwach. Legt man das Haushaltsbudget des Jahres 2013 zu Grunde, beläuft sich der Anteil der französischen Zentralregierung an der Wirtschaft auf 56,3% – die verbleibenden 43,7% verteilen sich auf die Lokal- und Gemeinderegierungen und den Privatsektor, der aufgrund der unerbittlichen Deindustrialisierung Frankreichs immer weiter zurückgeht.

Werksschließungen und Entlassungen, oder auch nur die Ankündigung solcher Ereignisse, sorgen in Frankreich oftmals Monate oder Jahre, bevor es soweit ist, für jede Menge Medienwirbel. Im Fernsehen sieht man Berichte über Demonstrationen, die mit diesen Schließungen und Entlassungen in Zusammenhang stehen und wo wütende Männer und Frauen die Fabriken blockieren. Es gibt Bilder von Bränden und Chaos. Manager werden als Geiseln genommen. Politiker mischen sich massiv ein und sprechen von „Dialog“. Entlassungen und Werkschließungen gehen in Frankreich also nicht reibungslos vonstatten.

Und viele namhafte Unternehmen – einige von ihnen befinden sich zum Teil im Staatsbesitz – sind bereits zu einem Teil dieses allabendlichen Entlassungs-Blues geworden: Air France, der Stahlhersteller ArcelorMittal, Texas Instruments, Goodyear, die Raffineriegesellschaft Petroplus oder die Autohersteller PSA PeugeotCitroën und Renault, deren Absatzzahlen in Frankreich in 2012 um 17% bzw. 20% einbrachen, gehören mit dazu. Und das ist noch nicht alles. Die Eigenheimverkäufe kamen ebenfalls abrupt zum Erliegen.

Und die Zahlen summieren sich: Laut Trendeo, ein Unternehmen, das die Schaffung und Vernichtung von Arbeitsplätzen in Frankreich erfasst, wurden in 2012 266 Industrieanlagen geschlossen, was gegenüber 2011 einem Anstieg von 42% entspricht! Seit 2009 wurden insgesamt 1.087 alte Fabriken geschlossen, während lediglich 703 neue hinzugekommen sind – ein Nettoverlust von 384 Fabriken. Und diese neuen Fabriken haben in der Regel 8,5% weniger Beschäftige als die Fertigungsanlagen, die geschlossen wurden.

Wie groß die Sorgen der französischen Regierung bezüglich wachsender Unruhen unter der Arbeiterschaft sind, erfuhr man am 04.02.2013 in einem Interview bei BFMTV. Und das eher beiläufig: Der französische Innenminister Manuel Valls sprach gerade über die Jagd auf islamistische Terroristen in Frankreich – Anstrengungen, die die Regierung seit ihrer Militärintervention in Mali verdoppelt hat –, als plötzlich das Thema gewechselt wurde und die Angst der Regierung vor „Exzessen und Gewalt“ bei den nächsten mit Arbeitsplatz-Demonstrationen zur Sprache kam.

„Die gesellschaftliche Wut“ – womit die Wut der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter gemeint ist – „als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise, der Arbeitsplatzunsicherheit, der Arbeitslosigkeit und der Entlassungen ist da und sie rumort bereits seit Jahren“, räumte Valls ein. „Aber was wir heute sehen, sind weniger gesellschaftliche Bewegungen, sondern gesellschaftliche Implosionen oder Explosionen.“

Und wie sich herausstellte, bereitet sich die französische Regierung aktuell schon darauf vor. Ein Memo vom 30.01.2013 sickerte durch, das den Regionaldirektoren der nachrichtendienstlichen Abteilungen der Polizei übermittelt wurde. Darin wird auf „die Risiken bei Vorfällen“ oder die möglichen „Gefahren für Produktionsanlagen im Falle einer Radikalisierung des Konflikts“ hingewiesen.

Um die Lage kontrollieren zu können, hat die Regierung ihren Polizei- und Geheimdienstapparat instruiert, Informationen über solche Bewegungen zu sammeln und Unternehmen, die am Rande des Bankrotts stehen, „sehr genau“ im Auge zu behalten, um eine mögliche „Radikalisierung“ bei Arbeiterunruhen zu antizipieren.

Valls bestätigte diese polizeilichen Überwachungsmaßnahmen: „Man muss es sorgfältig analysieren“, so Valls im Hinblick auf die gesellschaftliche Wut. Und genau das sei ja die Aufgabe der Geheimdienste und der Polizei, wie er hinzufügte. Und wie es die liebenswerten Sozialisten so an sich haben, fand er auch gleich die richtigen Worte: „Wir müssen versuchen, die Gründe zu verstehen, die Männer und Frauen in die Verzweiflung treiben, Männer und Frauen, die gerade dabei sind, ihre Arbeitsplätze zu verlieren.“

Und was ist mit dem Vandalismus und der Zerstörung von Produktionsanlagen, die oft mit diesen Bewegungen in Zusammenhang stehen? „Wir müssen versuchen, sie zu verstehen, aber erlauben können wir es nicht“, so Valls entschieden, während das Interview bereits zum nächsten Thema überschwenkte: Der Zunahme der Gewalt und der Eigentumsdelikte gegenüber Privatpersonen.

Die erhöhte Polizeipräsenz an diesen Anlagen in Zeiten von Arbeiterunruhen – sie erscheint dort oft in Zivilfahrzeugen – ist für die Gewerkschaften Grund zur Sorge. Bernard Thibault, Generalsekretär der CGT, warnte, dass dies als „Provokation“ verstanden würde. Die zweitgrößte Wirtschaft der Eurozone tritt jetzt also in eine Phase ein, wo über jeder wirtschaftlichen Entscheidung, die von der Regierung getroffen wird, die Angst vor einer Arbeiterrevolte thront.

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