Wolf Richter, Testosteronepit.com, 01.05.2013

Die französische Regierung hat bereits genug Probleme; theoretisch bräuchte sie gar keine neuen mehr in die Welt zu setzen. Aber jetzt hat sie ein neues, exzellentes Kapitel geschrieben, wie man sich bei den Unternehmen des Privatsektors einmischt, Unternehmer behindert und dafür sorgt, dass sie ihre Unternehmensgründung woanders durchführen, anstatt in Frankreich Arbeitsplätze zu schaffen.

Trotzdem verkündete der Präsident François Hollande am 1. Mai – nachdem die Arbeitsloszahl innerhalb von zwölf Monaten um 11,5% auf ein Allzeithoch von über 3,2 Millionen Menschen gestiegen ist –, dass die Politik der Regierung „nur ein Ziel hat: Die Schlacht um die Beschäftigung zu gewinnen.“

Starke Worte. Mehr aber auch nicht. Schaut man unter die Oberfläche, erkennt man, dass seine Regierung die Unternehmen nach wie vor schikaniert. Der jüngste Seitenhieb zielte auf zwei große Unternehmen ab, die versuchten einen Deal auszuhandeln – aber im Grunde sind dadurch alle Startups in Frankreich getroffen worden.

Yahoo wollte Dailymotion aufkaufen. Dailymotion ist ein französisches Internet-Videoportal, das zwölftgrößte der Welt, und eine der erfolgreichsten französischen Unternehmensgründungen, obwohl die Seite im Vergleich zu YouTube immer noch ein Zwerg ist.

Dailymotion wurde 2005 gegründet, und 2006 beschaffte man sich EUR 7 Millionen an Risikokapital. 2009 steckte der staatseigene Strategic Investment Fund (FSI) im Rahmen einer weiteren Kapitalbeschaffung von insgesamt EUR 17 Millionen EUR 7,5 Millionen in das Unternehmen. „Wir sind einer der wenigen französischen Akteure, die an der künftigen Konsolidierung partizipieren können,“ sagte damals der Geschäftsführer von Dailymotion, Cedric Tournay.

2011 erwarb France Télécom – das ehemals im Staatsbesitz befindliche Telekommunikations-Monopol, an dem die Regierung immer noch 27% hält – 49% von Dailymotion. Januar 2013 erwarb es dann die restlichen 51%. Und dann versuchte France Télécom für Dailymotion einen amerikanischen Partner zu finden, der die Plattform weiterentwickeln und die internationale Reichweite, speziell in den USA, erhöhen würde. Das machte Sinn. Die Firma würde vielleicht nicht das nächste YouTube werden, aber sie müsste größer werden, um Erfolg zu haben.

So wurden dann auch über Monate hinweg im stillen Kämmerlein Verhandlungen mit Yahoo geführt. Aber vor vier Wochen erklärten das französische Finanzministerium und das französische Kulturministerium, dass sie starke Zweifel an der Angemessenheit des Deals hätten, nachdem durchgesickert war, dass Yahoo 75% des Unternehmens erwerben wollte.

Und am 12.04.2013 platzte das Geschäft. Der Industrieminister Arnaud Montebourg traf sich mit dem leitenden Geschäftsführer von Yahoo, Henrique de Castro, und dem Finanzchef von France Télécom, Gervais Pelissier, in seinem Pariser Büro. „Ich werden Sie nicht eines der besten Neugründungen Frankreichs verkaufen lassen,“ so Montebourg zu Pelissier. „Sie wissen nicht, was Sie tun.“

Am 23.04.2013 erklärte eine anonyme Quelle, „die dem Finanzministerium nahesteht“, gegenüber der Tageszeitung „le Monde“, dass Dailymotion eine der wenigen erfolgreichen Content-Plattformen sei, die Frankreich in den letzten Jahren im Internet etablieren konnte. „Es ist ein wahrer Juwel,“ so die Quelle. „Und es macht noch nicht einmal Verluste. Es wäre eine Schande, es ziehen zu lassen.“

Das war der Urteilsspruch der Regierung. Der Geschäftsführer von France Télécom, Stéphane Richard, war unterdessen auf eine zweite Amtszeit aus. Er wollte nicht in einen Kampf mit dem größten und allmächtigen Anteilseigner, der Regierung, verstrickt werden. Also zog er eine Linie und entschloss sich, allen Diskussionen ein Ende zu bereiten.

Und der Verkauf von weniger als der Mehrheitsbeteiligung? Yahoo bat um „wenigsten 75%“, so eine anonyme Quelle bei France Télécom gegenüber „le Monde“; das Unternehmen wollte „in der Lage sein, die Plattform bei seinen Inhalten zu integrieren; es war nicht an einer Minderheitsbeteiligung interessiert.“

Am Mittwoch bestätigte Montebourg, dass er interveniert hatte, um den Kauf dieses „Juwels“ zu verhindern und seine Identität zu bewahren. „Wir wollen eine ausgewogene Entwicklung. Wir sind für eine 50-50-Lösung“, sagte er und bezog sich dabei auf die Allianz zwischen Renault und Nissan, bei der die Identität beider Firmen bewahrt worden war. „Es ist im Interesse Frankreichs und im Interesse von Dailymotion.“

„Montebourg sendet ein schlimmes und falsches Signal an die internationalen Investoren“, sagte Jean-David Chamboredon, der Präsident von ISAI, einem Internet-Startup-Fonds. Chamboredon gelangte letzten September zu Berühmtheit, nachdem er ein explosives Essay über die Startup-feindliche Politik der Regierung veröffentlicht hatte – die französischen Unternehmen „haben aufgehört zu atmen“, schrieb er. Und damit traf er den Nerv der Unternehmer, Risikokapitalanleger, Kunsthandwerker und Kleinunternehmer, deren Zorn sich über die sozialen Netzwerke ergoss.

Dieses „Juwel“ von ausländischen Händen fernzuhalten, war „im Interesse Frankreichs und im Interesse von Dailymotion,“ behauptete Montebourg. Ja wenn es eine Technologie gewesen wäre, auf die die französischen Geheimdienste für ihre Kommunikation angewiesen wären, ja okay – aber Daily Motion ist eine Internet-Videoplattform, die die richtigen Partner braucht, um zu überleben und Erfolg zu haben.

Und so haben Montebourg und seinesgleichen den Unternehmen des Privatsektors – von Giganten wie France Télécom bis hin zu Neugründungen, die zu kämpfen haben, überhaupt über die Runden zu kommen – wieder einmal bestätigt, dass sie von der Regierung mittels einer verschwurbelten Wirtschaftspolitik, die in der Wirtschaft bereits so viel Unheil angerichtet hat, zum Gehorsam gezwungen werden.

Diese Art von kurzsichtigem Denken, das darauf abzielt, ein paar TV-Jobs „zu retten“ oder zu politischen Zwecken eine patriotische Geste zu machen, ist für Unternehmensgründer, deren Traum es ist, Unternehmen aufzubauen, Arbeitsplätze zu schaffen und ihre Träume dann nach Jahren an Blut, Schweiß und Tränen zu verkaufen – ohne dabei von der Regierung schikaniert zu werden –, einfach nur alarmierend. Und so ist dieses Ereignis ein weiterer Grund für französische Unternehmer, ihre Zelte woanders aufzuschlagen – ein Trend, der weiter an Fahrt aufgenommen hat.

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