Wolf Richter, Testosteronepit.com, 10.06.2013

Ja theoretisch könnte das deutsche Bundesverfassungsgericht den Bemühungen, die Eurozone mit Klebeband zusammenzuhalten, ein Ende bereiten; es könnte gegen die Gelddruckmaßnahmen und den Anleiheaufkaufmechanismus, der liebevoll „Outright Monetary Transactions“ (OMT) genannt wird, urteilen. Das OMT-Programm wurde im September 2012 mit großem Tamtam aufgelegt. Nun, so viel Tamtam war es eigentlich gar nicht, vielmehr waren es wage Worte, die von EZB-Präsident Mario Draghi selbst kamen und zu denen auch das magische Wort „unbegrenzt“ gehörte.

Ein Wort, das so mächtig ist, dass es Spekulanten und Banken retten würde, die faulende spanische und italienische Schulden zu massiven Ausverkaufspreisen aufgekauft hatten. Die Anleihen und die Aktien schossen in die Höhe – genauso wie die Arbeitslosenrate und andere Probleme. Na und! Beim OMT ging es schließlich nicht darum, kranke Wirtschaften zu kurieren. Es war ein Versprechen der Zentralbank, die Spekulanten zu retten.

Am Dienstag und Mittwoch wird das Bundesverfassungsgericht im Rahmen mündlicher Anhörungen prüfen, ob das OMT-Programm gegen die Anforderungen des Grundgesetzes verstößt, die besagen, dass Haushaltsfragen durch den Bundestag kontrolliert werden müssen – aber die Urteilsverkündung findet erst nach der Bundestagswahl am 22. September statt.

Sollte das Gericht – das über die Europäische Zentralbank keine Gerichtsgewalt hat – zu dem Urteil gelangen, dass Aspekte des OMT verfassungswidrig sind, könnte es der Bundesbank verbieten, an der einen Maßnahme zu partizipieren, die die Eurozone bisher zusammengehalten hat. Die Eurozone, wie wir sie heute kennen, wäre dann Geschichte.

In der Praxis würde das Bundesverfassungsgericht das aber niemals tun. Wenn man bedenkt, wie das Gericht bisher in Fragen rund um den Euro geurteilt hat, dürfte es auch bei diesem Debakel einen Ausweg finden – ganz gleich, was das Grundgesetz sagt. Und wenn es die EZB wirklich abstrafen will, könnte es der Europäischen Zentralbank schelmisch und finster dreinblickend irgendwelche Auflagen machen und den Rest durchwinken.

Aber all das konnte nicht verhindern, dass das ganze Schlamassel in Deutschland auf herrlichste Art und Weise außer Kontrolle geraten ist, denn die Bemühungen der EZB, den Euro und sich selbst zu retten – ohne Euro gäbe es keine EZB –, werden dort mit immer weniger Enthusiasmus mitverfolgt: 48% der Deutschen stehen hinter den 37.000 Klägern und sind der Auffassung, dass das Bundesverfassungsgericht den Koste-es-was-es-wolle-Euro-Rettungs-Ansatz der EZB verhindern muss, während gerade einmal 31% der Meinung sind, dass die Kläger falsch liegen. Und trotz der massiven Berichterstattung in den Medien und allen Ecken des Internets haben 21% immer noch keine Meinung dazu.

Jens Weidmann, Bundesbankpräsident und Mitglied des EZB-Rats, der das OMT-Programm vom ersten Tag an als „Äquivalent, die Regierung über das Gelddrucken zu finanzieren,“ massiv kritisierte, warnte vor den Risiken dieser Maßnahmen und hinterfrage ihre Rechtmäßigkeit. Er behauptete, dass die EZB mit ihrem Versprechen, die Defizite der wankenden Euroländer zu finanzieren, ihr Mandat überschritten hat und die deutschen Steuerzahler dadurch letztlich den Risiken und Kosten der Rettung der Spekulanten von Auslandsschulden ausgesetzt würden.

Bei der Anhörung trifft Weidmann auf seinen früheren Kollegen und jetzigen Widersacher Jörg Asmussen, Direktoriumsmitglied der EZB, der das OMT-Programm letzte Woche als „die wahrscheinlich erfolgreichste geldpolitische Maßnahme jüngerer Zeit“ lobte. Und dann, kurz vor den Anhörungen, ging Asmussen im Boulevardblatt Bild zum Gegenangriff über:

„Als wir das Programm angekündigt haben, stand die Euro-Zone kurz vor dem unkontrollierten Zerfall. Ernst zu nehmende Unternehmen und Banken fingen an, sich darauf vorzubereiten. Zu diesem Zeitpunkt war die EZB die einzige voll handlungsfähige europäische Institution und musste jedem Spekulanten klar machen: Legt Euch nicht mit der EZB an. Der Euro wird verteidigt. Die Märkte haben diese Lektion gelernt.“

Draghi und seinesgleichen dürften jetzt kalte Füße bekommen. Vor wenigen Tagen wurde dem Bundesverfassungsgericht von der EZB ein 52 Seiten starkes Dokument übermittelt, mit dem ihre Geldpolitik verteidigt werden soll. In dem Dokument erklärt die EZB, dass die „unbegrenzten“ Schuldenaufkäufe nun auf einmal überhaupt nicht mehr „unbegrenzt“ seien, sondern tatsächlich auf EUR 524 Milliarden beschränkt sind!

Das habe mit internen Beschränkungen zu tun. Mit dem OMT-Programm könnten nur Schulden mit einer Fälligkeit von 1 bis 3 Jahren aufgekauft werden. Und mit Stand Dezember 2012 hatte Spanien EUR 143 Milliarden solcher Schulden ausstehend, was lediglich 26% seiner Gesamtverschuldung entspricht, und bei Italien waren es EUR 343 Milliarden oder 32% seiner Schulden. Die EZB versicherte dem Gericht sogar, dass sie nicht einmal so weit gehen würde.

Diese Botschaft hätte für den Markt eigentlich ein ohrenbetäubendes Alarmsignal sein müssen; sie hätte die Spekulanten normalerweise zu den Notausgängen treiben müssen. Nun ja, einige sind ja bereits weg. Aber das raffinierte Kalkül war ja gar nicht an sie adressiert. Es war für die Richter des Bundesverfassungsgerichts gedacht – vielleicht um sie an der Nase herumzuführen, vielleicht um ihnen ein Feigenblatt anzubieten. Die Marktteilnehmer wissen ja bereits, dass sich die EZB an diese internen Beschränkungen nicht zu halten braucht – oder an irgendwelche Beschränkungen; die Marktteilnehmer haben bereits begriffen, wie man Vertragsbeschränkungen gegen Staatanleiheaufkäufe umgeht.

Und am Montag erklärte Draghi dann in einem Interview im deutschen Fernsehen, dass die EZB das OMT-Programm ganz plötzlich doch nicht mehr nutzen würde, um bankrotte Euroländer zu retten – na gut, er kleidete es in freundlichere Worte: „… wir werden nicht intervenieren, um die Solvenz von Ländern sicherzustellen, wenn sie verschwenderisch sind.“ Also verschwenderische Länder dürfen pleitegehen. Aber – und hier kommt wieder seine gespaltene Zunge ins Spiel – „wenn es beim Euro eine Vertrauenskrise gibt, die die Solvenz der Länder bedroht, die nicht gegen ihre Grundsätze verstoßen, sind wir bereit zu intervenieren.“

Die Kläger, die die Bundesbank davon abhalten wollen, an diesen Interventionen zu partizipieren, waren nicht sonderlich beeindruckt. Der ewige Euro-Kritiker und Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler (CSU) versicherte seinen Mitbürgern, dass das OMT-Programm die EZB in eine „unkontrollierte Macht“ verwandeln wird. Für die Aufgabe der Kontrolle würden die Europäer im Gegenzug eine „schöne neue Huxley-Welt der unbegrenzten Kredite“ erhalten, eine Welt, in der „Geld nicht mehr länger erarbeitet, sondern gedruckt wird.“

Die Eurozonenkrise bleibt also weiterhin „gelöst“, und es gibt nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste – bis auf ein paar kleine kosmetische Details, beispielsweise dass die EZB, um die Währungsunion weiter zusammenzuhalten, basierend auf ihrer doppelzüngigen Politik dem Bundesverfassungsgericht das eine und den Märkten das andere erzählt.

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