Das bankrotte Italien würde dieses Jahr „ja liebend gerne“ seine überfälligen Rechnungen bezahlen, ist dazu aber leider nicht in der Lage. Mal sehen, wann es auch die Anleger merken

Wolf Richter, Testosteronepit.com, 06.07.2013

In den meisten Ländern wäre es ein Akt grandioser Chuzpe oder vielleicht auch eine Zurschaustellung politischen Wahnsinns, aber in Italien sorgt es kaum für Aufregung: Dass ein Regierungsvertreter – immerhin ein italienischer Minister – erklärt, dass das Land seine längst überfälligen Rechnungen nicht zahlen kann – und nicht etwa für einen oder zwei Monate, sondern für den Rest des Jahres! Aufgrund „technischer“ Probleme.

Der italienischen Regierung ist das Geld ausgegangen. Nicht dass die US-Regierung diesbezüglich in besserer Verfassung wäre, oder die japanische Regierung, aber die USA und Japan haben beide eigene Zentralbanken, die die fehlende Kohle einfach mit verschwenderischer Hemmungslosigkeit drucken. Italien hat das nicht. Italien hat die EZB, die zwar von einem Italiener geleitet wird, der letztes Jahr versprach, großzügig Geld zu drucken, um Länder wie Italien über Wasser zu halten – aber ein Versprechen ist nun einmal nicht dasselbe, wie wenn man über seine eigene Zentralbank verfügt.

Am 04.07.2013 trat Italiens Haushaltsfiasko abermals zutage. Obwohl in Italien Austerität geheuchelt wird, stiegen die Ausgaben der italienischen Regierung im ersten Quartal 2013 um 1,3%, während die Einnahmen weiter auf der Stelle traten. Das italienische Haushaltsdefizit kletterte daher im ersten Quartal auf 7,3% des BIP, wodurch die italienische Staatsverschuldung auf 130% des BIP stieg. Im Vorjahresquartal lag das Defizit noch bei 6,6%.

Sich aufblähende Schulden und Defizite in einer schrumpfenden Wirtschaft – Italien befindet sich nun bereits seit dem vierten Quartal 2011 in einer Rezession – sind ein toxisches Gemisch, wenn man zur Eurozone gehört.

Wie will Italien sein Defizit unter die 3%-Marke drücken, also die rote Linie, nach deren Überschreiten das ausufernde Defizit-Prozedere der Eurozone eingeleitet wird? Die Regierung versucht zumindest händeringend, das zu bewerkstelligen.

Der Wirtschaftsminister Fabrizio Saccomanni verkündete, dass er 1.600 „ungenutzte“ Immobilien identifiziert hätte, die auf den Markt geworfen werden könnten. Kurzfristig könnten so rund EUR 600 Millionen in die Kassen gespült werden, so Saccomanni – aber das hatte auch schon der ehemalige Premierminister Mario Monti versucht, nur war sein Plan an den Klippen eines fallenden Immobilienmarkts auf Grund gelaufen.

Ungeachtet aller gegenteiliger Eindrücke behauptet Saccomanni: „Der Trend bei den Staatsfinanzen des ersten Halbjahres steht in Einklang mit einem Nettodefizit von 2,9%.“ Aber die EUR 600 Millionen, sollten sie denn tatsächlich kommen, wären für Italien nichts weiter als ein Tropfen auf den heißen Stein. In Wirklichkeit wäre viel mehr Geld vonnöten.

Deshalb haben die Eurokraten nun auch etwas Neues aus dem Hut gezaubert: José Manuel Barroso, der Präsident der EU-Kommission, erklärte dem Europäischen Parlament am Mittwoch, dass die Haushaltsregeln für 2014 neu interpretiert würden, sodass einige Staatsausgaben für Infrastrukturprojekte aus den Defizitzahlen herausgerechnet werden könnten – eine Maßnahme, auf die Italien im Rahmen seiner unermüdlichen Anstrengungen, das Defizit unter 3% zu drücken, schon lange gedrängt hat. Wenn alles andere scheitert, fingert man halt einfach an den Regeln herum. Simsalabim!

„Für Länder mit hohen Staatsschuldenniveaus“, wie Italien, „wird dies kurzfristig aber nur von geringem Nutzen sein“, warnte ein EU-Vertreter, der damit offensichtlich die letzten deutschen Defizit-Hardliner beruhigen wollte.

Aber solche Details konnten den italienischen Premierminister Enrico Letta nicht davon abhalten, den Sieg zu verkünden: „Wir haben es geschafft!“ tweetete er triumphierend. Es würde „Ländern wie Italien mehr Flexibilität für kommende Haushalte“ geben – Länder, bei denen die „Konten in Ordnung“ seien.

Was er angesichts Italiens Defizite und der Schuldenspirale mit „Konten in Ordnung“ nun genau meinte, bleibt rätselhaft – speziell wenn man sich dann noch die Tatsache vor Augen hält, dass das Land nicht einmal in der Lage ist, seine längst überfälligen Rechnungen zu bezahlen.

Beppe Grillo, der Oppositionsführer der 5-Sterne-Bewegung, weist bereits seit langem auf diesen Punkt hin. Im April direkt nach den Wahlen, als noch eine Übergangsregierung im Amt war, tobte er, dass man die „rund EUR 120 Milliarden umgehend zahlen“ müsse, die die Regierung und die öffentlichen Einrichtungen dem Privatsektor schulden.

Die Weigerung der Regierung, die Rechnungen ihrer Auftragnehmer zu bezahlen, verstößt gegen EU-Regeln. Aber die EU ist diesbezüglich nachgiebig, und dafür gibt es zwei gewichtige Gründe: Die Zahlung der Rückstände würde Italien dazu zwingen, ganze Wagenladungen an neuen Anleihen aufzulegen, und das obwohl man gar nicht weiß, ob überhaupt eine Nachfrage dafür da ist; und das Defizit würde weit über die 3%-Marke hinausgetrieben werden. Denn Dank der Ist-Buchung fließen nur aktuelle Ausgaben in Italiens Defizitberechnungen ein.

Italien hat seine „Austeritätsziele“ also dadurch erreicht, dass es seine Auftragnehmer einfach nicht bezahlt. Wieder einmal: Simsalabim!

Aber dadurch wird den Unternehmen der Garaus gemacht. Deswegen machte jetzt der Vorschlag die Runde, dass man wenigstens einen Teil der überfälligen Rechnungen, namentlich EUR 40 Milliarden, zahlt. Und kürzlich verlangte Renato Brunetta, der Parlamentsführer von Silvio Berlusconis Partei PDL, während eines Koalitionstreffens, dass alle Rechnungen bis Ende des Jahres beglichen würden. In einer surrealistischen Aufführung noblen Regierungsgehabes stürmte Letta dann nach vorne und versprach, diese Schulden sogar noch schneller zu zahlen – nein, nicht im Juli oder August, aber irgendwann im Herbst. Tosender Applaus!

„Ich würde liebend gerne“ bis Ende 2013 die überfälligen Schulden der öffentlichen Verwaltung zahlen, „aber ich weiß nicht, ob das möglich ist“, konterte der Wirtschaftsminister Flavio Zanonato am nächsten Morgen. „Das hat nichts mit Böswilligkeit zu tun, aber es gibt hier ein technisches Problem“, so Zanonato. „Die Regierung hat das Hindernis aus dem Weg geräumt; jetzt müssen all die verschiedenen Ausgabequellen Maßnahmen ergreifen, um zu zahlen.“ Sie haben das Geld dafür anscheinend nicht. Die Behauptung, dass es für die öffentliche Verwaltung schwierig sei, die Schulden zu zahlen, ist „offenkundig und wahr“, räumte er ein.

Normalerweise ist das das Eingeständnis, dass man pleite ist. Aber nicht bei der italienischen Regierung – für sie ist es bloß die Zurschaustellung einer weiteren Haushalts-Absurdität: Mit aller Gewalt die 3%-Defizitmarke nicht sprengen zu wollen – selbst wenn man dadurch den Unternehmen und der Wirtschaft die Luft abschnürt –, macht die Schuldenspirale nur noch schlimmer.

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