Wolf Richter, Testosteronpit.com, 30.08.2013

Deutschlands robuste, weltweit agierende Konglomerate und der starke „Mittelstand“ – also die im Privatbesitz befindlichen Unternehmen, die in ihren Sparten zu Weltführern wurden … bis die Chinesen auftauchten – garniert mit seit den Hochzeiten nach der Wiedervereinigung zu beobachtenden Rückgängen bei den Realeinkommen und Zuwendungen, mussten immer wieder als Wirtschaftsmodell für die in Schwierigkeiten steckenden, lustlosen Euroländer herhalten.

Aber es gibt auch eine Schattenseite – denn irgendjemand muss den Preis dafür bezahlen. Und während die Realeinkommen und Zuwendungen immer weiter abgeschmolzen wurden, um die deutsche Wirtschaft so wettbewerbsfähig zu machen und ihre Besitzer und Top-Manager so vermögend, mussten die Arbeiter am anderen Ende dieses Deals ihre Gürtel enger schnallen – und das gilt für Arbeitnehmer ohne Mindestlohn wie Chirurgen gleichermaßen!

Und so liegen die saisonal- und inflationsbereinigten Einzelhandelsumsätze im Juli gegenüber dem Vormonat abermals mit 1,4% im Minus, so die deutsche Statistikbehörde Destatis. Gegenüber dem Vorjahresmonat sind die Einzelhandelsumsätze zwar um 2,3% gestiegen – aber nur, weil der Juli 2013 27 Verkaufstage hatte und nicht 26 wie in 2012. Ohne diesen zusätzlichen Verkaufstag hätte es im Jahresvergleich keinen Zuwachs gegeben.

In den ersten sieben Monaten dieses Jahres sind die Einzelhandelsverkäufe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 0,1% zurückgegangen. Lebensmittel, Getränke und Tabak konnten 0,6% zulegen, aber bei Nichtlebensmittel lag der Rückgang bei 0,8%. So gingen die Verkäufe von Möbeln, Gerätschaften und Baumaterialien beispielsweise um 2,7% zurück, während die Umsatzeinbußen bei Büchern, Schmuck und anderen Gütern bei 3,5% lagen. Und es kam auch zu Veränderungen im Hinblick darauf, wer die Verkäufe durchführt: Die Internetverkäufe schnellten auf Kosten des klassischen stationären Handels um 7% in die Höhe.

Auf Jahresbasis nehmen die inflationsbereinigten Einzelhandelsverkäufe in Deutschlands seit 1994 diese traurige schlaffe Form an:

German-retail-sales-1994_2012

Und obwohl die Verbraucher einen Teil des Loches schon gestopft haben, indem sie von ihren amerikanischen Kollegen lernten und auf Kosten der Zukunft konsumierten, sorgten die Rückgänge bei den Realeinkommen und Zuwendungen für ein ungewöhnliches Phänomen, das die deutsche Wirtschaft seit Anfang der 90er Jahre im Griff hat: In unserer Welt, wo der Konsumismus herrscht, litt Deutschland zwei Jahrzehnte und einer Einzelhandels-Misere.

Bitte berücksichtigen Sie, dass der oben aufgeführte Index im Jahr 2010 wieder auf 100 Punkte zurückgesetzt wurde. Damals lag er ausgehend von seinem Hoch von 1995 von 104,5 Punkten mit 4,5% im Minus. Gegenüber 2003 (99,5 Punkte) und 2009 (98,5 Punkte) – der Phase, wo Deutschland mit den zwei schlimmsten Quartalsrückgängen beim Wirtschaftswachstum seit Bestehen der Bundesrepublik zu kämpfen hatte – lag er jedoch leicht im Plus.

Der Chart weist annualisierte Zahlen aus – 2013 ist also noch nicht darin enthalten. Die Einzelhandelsverkäufe liegen bisher jedoch mit 0,1% im Minus. Und auch die Arbeitslosenrate steigt langsam. Für 2013 dürfte der seit langem herbeigesehnte Einzelhandels-Boom also ausbleiben.

Aber egal, es gibt absolut keine Misere, die Kanzlerin Merkel bei ihren derzeitigen Bemühungen, sich an der Macht zu halten, in die Quere kommen darf – und jedwedes Debakel wird umgehend unter den Teppich gekehrt, zumindest bis nach den am 22.09.2013 stattfindenden Wahlen. Jedes Mal, wenn die Opposition irgendwelche Kontroversen zur Sprache bringt, werden sie vom Tisch gewischt, geleugnet, lächerlich gemacht oder kleingeredet – und bisher hat das ganz großartig funktioniert …

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