Ein Zinssatzanstieg von drei Prozentpunkten wäre bereits ausreichend, um die gesamte japanische Bankenlandschaft in Schutt und Asche zu legen. Und die japanische Regierung wäre ebenfalls pleite, weil die Zinszahlungen auf ihre Staatsschulden in Höhe von JPY 1 Billiarde nicht mehr bedient werden könnten

Wolf Richter, Testosteronepit.com, 23.10.2013

Hideo Hayakawa, der ehemalige Chefökonom und geschäftsführende Direktor der Bank von Japan, steckte den Rahmen ab, als er am Mittwoch über das Programm der Bank von Japan sprach, mit dem sie monatlich JPY 7 Billionen druckt, um den Wert des Yens abzusenken und japanische Staatsanleihen aufzukaufen. Die japanische Zentralbank will auf diese Art etwas erreichen, das nun immer öfter als „2% Preisstabilität“ bezeichnet wird, ein Begriff, bei dem es sich um einen kranken Insiderwitz handeln muss, mit dem man sich über das japanische Volk lustig macht.

Hayakawa warnte, dass, sollten diese Staatsanleihekäufe „als Monetisierung [von Japans außer Kontrolle geratenen Defiziten] aufgefasst werden“, die Renditen für langlaufende japanische Staatsanleihen „auf 2% bis 3%“ steigen könnten. Derzeit liegt die Rendite für 10-jährige japanische Staatsanleihen bei 0,6%. „Doch sollten die Zinssätze zu steigen beginnen, würden sie sich vergaloppieren“, so Hayakawa. Also vielleicht 4%?

Er steckte den Rahmen für die Veröffentlichung des 81 Seiten starken halbjährlichen Finanzsystem-Berichts der Bank von Japan ab, der noch am selben Tag veröffentlicht wurde. Vergraben in Kapital V findet sich unter „Von Finanz-Dienstleistern getragene Risiken“ ein unglaubliche Schönfärberei: Sollten die Zinssätze um 1% steigen, würde das beim japanischen Bankensystem zu Verlusten von JPY 8 Billionen (USD 82 Milliarden) führen.

Das mit allen Vermögenswerten und Verbindlichkeiten – also Anleihebestände, Kredite und Einlagen usw. – in Zusammenhang stehende Zinsrisiko ist seit dem 01.04.2013, dem Beginn des Fiskaljahrs 2013, gesunken, so die Bank von Japan beschwichtigend. Dies sei der stärkste Rückgang der letzten 13 Jahre gewesen. Die Banken seien in der Lage, diesen Zinssatzanstieg um einen Prozentpunkt zu verkraften.

Ein Großteil dieses Zinsrisikos hängt mit den riesigen Beständen von japanischen Staatsanleihen zusammen. Die Bank von Japan hat die Banken angefleht, dieses Zeug mit den superniedrigen Zinsen, das ihre Bilanzen verheeren könnte, über Bord zu werfen. Die drei Megabanken – Mitsubishi UFJ Financial Group, Mizuho Financial Group und Sumitomo Mitsui Financial Group – haben das getan. Von Anfang April bis Ende August sind ihre Bestände an japanischen Staatsanleihen um 24% auf JPY 96 Billionen zurückgegangen. Und ein Großteil der von ihnen immer noch gehaltenen Staatsanleihen hat kurze bzw. mittelfristige Laufzeiten und ist daher weniger riskant.

Die Regionalbanken waren nicht in der Lage, das zu tun. Ihre Bestände an japanischen Staatsanleihen verharren weiterhin bei JPY 32 Billionen. Und die Menge an Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten, wie beispielsweise die Anleihen von Lokalregierungen, ist sogar noch gestiegen, was laut dem Bericht dazu geführt hat, dass ihr Zinsrisiko „leicht“ gestiegen ist.

Und dann gibt es noch 270 Genossenschaftsbanken, die sogenannten „Shinkin“-Banken. Sie sitzen richtig im Schlamassel und haben sich mit japanischen Staatsanleihen vollgestopft, da sie im Gegensatz zu den Megabanken und den Regionalbanken für die Platzierung ihrer sich aufblähenden Einlagen keine anderen Optionen haben. In ihren Bilanzen setzt das Zinsrisiko seinen langen und unerbittlichen Aufwärtstrend weiter fort.

Ein Zinssatzanstieg von einem Prozentpunkt würde den Megabanken einen Verlust von JPY 2,9 Billionen bescheren, die Regionalbanken würden JPY 3,2 Billionen verlieren und die Shinkin-Banken JPY 1,9 Billionen. Insgesamt würden sich die Kosten auf JPY 8 Billionen belaufen (USD 82 Milliarden). Würde die Renditekurve steil verlaufen, also die langlaufende Rendite auf 1% steigen, während die kurzlaufenden Zinssätze weiterhin niedrig bleiben, wären die Verluste kleiner. Alles in allem wäre es überlebbar. Das Bankensystem ist sicher.

Schönfärberei ist es deshalb, weil hier von einen 1%igen Zinssatzanstieg ausgegangen wird. Die Rendite für die 10-jährige japanische Staatsanleihe würde also von 0,6% auf 1,6% steigen. Und da die Inflation schon bald auf die Marke von 2% klettern wird, würden die Anleihehalter immer noch abgezockt werden.

Daher auch Hayakawas Warnung: Sollte die Inflation auf 2% steigen, würden sich die langlaufenden Zinssätze wahrscheinlich in Richtung 2% oder 3% aufmachen, und hat der Anstieg erst einmal begonnen, würden die Zinsen übers Ziel hinausschießen. Die Rendite für 10-jährige Staatsanleihen könnte also, wenn sie ein klein wenig übers Ziel hinausschießt, um drei Prozentpunkte auf 3,6% steigen. Das wäre nach historischen Standards immer noch ein sehr moderater Zinssatz. Was würde das für das Bankensystem bedeuten?

Im Bericht steht, was mit dem Bankensystem geschehen würde: Die Megabanken würden massiv in Mitleidenschaft gezogen werden; der Rest des Bankensystems würde ausgelöscht. Käme es parallel dazu noch zu einem Aktienmarkt-Crash, würden auch die Megabanken ausgelöscht werden.

Die Megabanken halten insgesamt JPY 28 Billionen an Tier-1-Kapital (Kernkapital). Dagegen stehen Kreditrisiken, Marktrisiken von ihren Aktienbeständen, Zinsrisiken oder operative Risiken. Bei dem Risikoszenario der Bank von Japan wird davon ausgegangen, dass ein Zinssatzanstieg von 1% bei den Megabanken zu Gesamtverlusten von JPY 17 Billionen führen würde, wobei ein großer Teil der Verluste vom Anleihe- und Kreditportfolio, ein noch größerer Teil der Verluste aber von ihren Aktienbeständen herrühren würde. Am Schluss blieben ihnen nur noch rund JPY 11 Billionen an Tier-1-Kapital.

Doch sollte sich das Szenario so abspielen, wie es von Hayakawa antizipiert wird, sollte es also zu einem Anstieg der Zinssätze von drei Prozentpunkten kommen, würden die Verluste der Megabanken laut dem Bericht um weitere JPY 4,6 Billionen steigen, womit am Schluss nur noch JPY 6,4 Billionen Tier-1-Kapital übrigblieben.

Und dann gibt es das Aktienmarktrisiko. Die japanischen Banken haben traditionell immer große Anteile an den Firmen gehalten, mit denen sie Geschäfte machen. Dadurch wurden die Kooperationsbeziehungen gefestigt und die Aktienpreise gestützt, wodurch die Kredite wiederum besser aussahen. Das funktionierte auch ganz großartige, bis die dadurch begünstigte Blase 1989 platzte. Die Banken verwandelten sich in Zombiebanken. Seit damals wurden 20 dieser Zombiebanken zu den heutigen drei Megabanken konsolidiert. Und sie hatten schrittweise ihre Aktienbestände zurückgefahren, um das Risiko zu verringern, das sie letztes Mal zu Fall brachte.

Doch dank des durch die Gelddruckerei verursachten Rauschs haben sie nun wieder Aktien gekauft, und sie halten immer noch enorme Aktienbestände. Sollte der Aktienmarkt die von der Bank von Japan angenommene Talfahrt einleiten, käme es zu Verlusten von JPY 7 Billionen. Und sollte sich dieser Abschwung am Aktienmarkt in einen echten Crash verwandeln – womit sich Japan ja bereits auskennt –, könnten die Verluste ohne Weiteres das noch verbliebene Tier-1-Kapital der Megabanken auslöschen. Dann sind wieder Bankenrettungen angesagt.

Die Regionalbanken würden durch einen Zinssatzanstieg von drei Prozentpunkten ausgelöscht. Sie brauchen keinen Aktienmarktcrash. Selbst die Bank von Japan zeigt sich besorgt. Laut ihrem Risikoszenario würden bereits durch einen 1%igen Zinsanstieg JPY 11 Billionen der JPY 15 Billionen an Tier-1-Kapital aufgezehrt. Dann blieben noch JPY 4 Billionen. Sollten die Zinssätze um drei Prozentpunkte steigen, kämen für die Regionalbanken weitere JPY 4,6 Billionen an Verlusten hinzu, das gesamte Tier-1-Kapital wäre weg. Sie wären erledigt.

Und was ist mit den Shinkin-Banken? Sie verfügen über JPY 6 Billionen an Tier 1 Kapital. Sie halten kaum Aktien, haben sich dafür aber mit japanischen Staatsanleihen und langlaufenden Anleihen von Lokalregierungen vollgesogen. In dem Szenario, wo die Zinsen um 1% steigen, würde die Hälfte ihres Tier-1-Kapitals ausgelöscht. Bei einem Zinssatzanstieg von drei Prozentpunkten kämen noch einmal Verluste in Höhe von JPY 2,7 Billionen hinzu, wodurch praktisch das gesamte Tier-1-Kapital ausgelöscht würde.

Aber ein Zinsanstieg von drei Prozentpunkten ist nur theoretisch. Denn sollte das passieren, wäre die japanische Regierung nicht mehr in der Lage, die Zinsen auf ihre JPY 1 Billiarde an Staatsschulden zu zahlen. Das ganze Kartenhaus bräche in sich zusammen.

Nein, man wird es niemals zulassen, dass die Zinssätze derart stark steigen. Selbst wenn die Inflation bei 6% liegt, wird die Bank von Japan darauf achten, dass die Zinssätze niedrig bleiben. Sie würde brutale Finanzrepressions-Maßnahmen einleiten. Dafür stehen ihr zahlreiche Werkzeuge zur Verfügung, beispielsweise eine Zinsbindung. Wenn sie müsste, könnte sie auch genug Geld drucken, um alle japanischen Staatsschulden aufzukaufen, selbst wenn das letztlich dazu führen würde, dass es „als Monetisierung aufgefasst wird“ – mit all den damit einhergehenden Folgen.

Japan ist immer noch die zweitreichste Nation der Welt, so Credit Suisse. Rund JPY 1 Billiarde steckt in japanischen Staatsanleihen. Aber Schulden, die praktisch keine Rendite haben und niemals wieder zurückgezahlt werden können, werden ihrem Schicksal letzten Endes nicht entrinnen können: Entweder passiert es langsam über die Inflation und Abwertung oder schnell über den Zahlungsausfall. Mit Abenomics hat man sich für den langsamen Weg entschieden.

Würde man den schnellen Zusammenbruch dieses Kartenhauses jedoch zulassen, würde eine junge Generation aus den Trümmern auferstehen, die plötzlich befreit in die Zukunft blicken könnte und endlich mal etwas anderes zu Gesicht bekäme, als dieses dunkle Schwarz des staatlichen Schulden-Wirbelsturms, der gerade auf sie zurast.

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