Die Ereignisse, die dazu führen werden, dass sich Europa von seinem Euro und seiner Fiskalunion verabschiedet, werden tiefgreifende weltweite Auswirkungen haben. Das weltweite Wirtschaftswachstum wird zweifelsohne zurückgehen und die europäischen Anleihemärkte werden den Anleihehaltern – also den Pensionsfonds, Versicherungen, Unternehmen und Banken – bedeutende Verluste bescheren

Keith Dicker, Icecapmanagement.com, 14.05.2014
(in Auszügen)

In Europa ist nichts einfach. Die politische Struktur der Europäischen Union ist so kompliziert, dass selbst Neurowissenschaftlern schwindlig würde. Im Juni 2012 veröffentlichten wir einen Bericht mit dem Titel „Coole Sachen aus Europa“, in welchem wir die Sinnlosigkeit der meisten Dinge beschrieben, die von der Europäischen Union zusammengezimmert werden.

Das beste Beispiel für die Absurdität dieser geldverschlingenden Brüsseler Maschine dürfte vielleicht das 26.911 Wörter zählende EU-Dokument sein, das den Verkauf von Kohlköpfen innerhalb der EU regelt. Nur mal zum Vergleich: Die gesamte US-Verfassung mit all ihren 27 Verfassungsnachträgen kommt gerade einmal auf 7.818 Wörter.

Die Europäische Union setzt sich gegenwärtig aus 28 verschiedenen Ländern zusammen, und jedes Land verfügt über seine eigene demokratisch gewählte Regierung. Und neben den Nationalregierungen hat jedes Land auch Vertreter im EU-Parlament. In diesem EU-Parlament werden dann unter anderem die Regeln für den Verkauf von Kohlköpfen festgelegt.

Bis vor kurzem scherten sich die Wenigstens um die Wahl des EU-Parlaments. Die Wahlbeteiligung lag regelmäßig unter 20%, und die Leute interessierte es herzlich wenig, wer ins EU-Parlament einziehen würde. Stattdessen kümmerten sie sich lieber um ihren eigenen Kram und beschwerten sich auch nur über die Politik vor Ort. Brüssel war irrelevant – bis jetzt.

Die anhaltende europäische Schuldenkrise hat für wilde politische Schwünge gesorgt, und bei einigen Ländern kam es zu atemberaubenden Kurswechseln vom Kapitalismus in Richtung Sozialismus und umgekehrt. Doch da mittlerweile 5 Jahre ohne wirtschaftliche Verbesserungen ins Land gestrichen sind – egal, wie das jeweilige Land auch ausgerichtet sein mag –, werden die Menschen nun ein klein wenig unruhiger und fangen damit an, abseits der politischen Mainstream-Parteien nach politischen Alternativen Ausschau zu halten. Und die bevorstehenden EU-Wahlen scheinen den unzufriedenen Wählern nun die perfekte Bühne zu bieten, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen.

Nehmen wir beispielsweise Großbritannien: Dort wurde die Britische Unabhängigkeitspartei (UKIP) in aktuellen Umfragen ganz nach oben gespült. Diese schillernde Gruppe vertritt einige polarisierende Auffassungen, die bei jedem für Stirnrunzeln sorgen. Aber bei einer Auffassung sind sie hartnäckig, nämlich dass es sich bei der Europäischen Union um reine Geldverschwendung handelt, die zu Hause für Arbeitsplatzverluste sorgt und eine kleine Elite des bürokratischen Paradieses namens Brüssel bereichert. Und genau diese Auffassung gewinnt immer mehr an Zustimmung.

Vor ein paar Jahren tauchte UKIP in den Umfragen praktisch überhaupt nicht auf, doch zum jetzigen Zeitpunkt sprechen sich bereits über 38% der britischen Wähler für UKIP aus, während die eher traditionellere Labour Party und die Konservativen gerade einmal auf 27% bzw. 18% kommen …

In der Wirtschaftsgeschichte war es bisher immer so gewesen, dass die politischen Mainstream-Parteien an den Rand gedrängt wurden, wenn aufgrund eines massiven wirtschaftlichen Abschwungs ein Neustart notwendig wurde. Das geschah in Rom, Griechenland und China, und auch in der heutigen Zeit dürfte es nicht viel anders sein.

Zunächst einmal müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass jemand, der eine Arbeit und einen vollen Bauch hat, seine Unzufriedenheit wahrscheinlich nicht auf nationaler Ebene kundtun wird. Schauen wir der Wahrheit ins Auge: Nach einem langen Tag im Büro, der nachmittäglichen Arbeit im Garten und der Beschäftigung mit den Kindern hat man mit Sicherheit keine Lust darauf, sich noch auf dem Marktplatz zu begeben, um zu protestieren.

Das gilt natürlich auch für uns hier in Kanada, wo die Wirtschaft weder boomt noch rückläufig ist und jeder mit seinem vollen Bauch einfach weitertrabt. Aber in anderen Teilen der Welt ist das nicht so, und auch in Europa ist das nicht der Fall. Und da das Geld und die Wirtschaften in der heutigen globalen Finanzwelt aufs Engste miteinander vernetzt sind, sollten alle, die ein Bankkonto haben, die Regionen im Auge behalten, wo der Unmut wächst, die Zuversicht abnimmt und die Bäuche nicht ganz so voll sind …

In Europa melden die Massenmedien und Regierungen, dass der Aktienmarkt boomt und jetzt sogar die Wirtschaft wieder boomen würde – genauso wie es die Regierungen gehofft hatten.

Aber wenn der europäische Aktienmarkt und die europäische Wirtschaft boomen, warum

  • denkt Großbritannien dann über einen Austritt aus der Europäischen Union nach?
  • stimmt Schottland über einen Austritt aus Großbritannien ab?
  • stimmt Katalonien über einen Austritt aus Spanien ab?
  • stimmt Venedig über einen Austritt aus Italien ab?
  • wurde es den Griechen dann nicht erlaubt, ein Referendum über den Austritt aus der Eurozone abzuhalten?

Unseres Erachtens sind die separatistischen Bewegungen das Einzige, was in Europa derzeit boomt. Niemand will in der Europäischen Union verbleiben, außer natürlich all jene, die massiv vom Status Quo profitieren.

Und wo wir gerade vom europäischen Status Quo sprechen – für den Status Quo gibt es keinen besseren Ort als Frankreich, von wo aus dieser Anlauf nimmt, um wieder die Kontrolle über die gesamte Welt zu erlangen. Ja Frankreich, die Bastion der sozialistischen Bewegung.

Wir hatten ja bereits vor Jahren darauf hingewiesen, dass sich Frankreich auf demselben Weg befindet wie Griechenland. Und das war, bevor der aktuelle Präsident François Holland gewählt wurde. Seitdem hat sich die wirtschaftliche Situation Frankreichs so stark verschlimmert, dass mittlerweile atemberaubende 88% der französischen Wähler nicht mehr daran glauben, dass ihr Präsident die Lage noch irgendwie retten könnte.

Fakt ist, dass sich die finanzielle Lage in Frankreich so stark eingetrübt hat, dass die Reichen wie auch die Armen einfach nur noch weg wollen – und zwar aus exakt denselben Gründen: Die Reichen wollen Frankreich aufgrund der entsetzlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verlassen, die vom französischen Staat geschaffen wurden, während die armen französischen Studenten das Land ebenfalls aufgrund der entsetzlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verlassen, die vom französischen Staat geschaffen wurden.

Auf gewisse Art kann es durchaus als politischer Erfolg gewertet werden, wenn sich zwei wirtschaftlich grundverschiedene Gruppen bei etwas einig sind.

Natürlich versuchen Präsident Hollande und seine erstklassigen Wirtschaftsberater gegenwärtig, ein neues Konjunkturprogramm auszuhecken, mit dem sich die Wirtschaft hoffentlich noch einmal ankurbeln lässt.

Man sollte sich diesbezüglich aber nicht allzu viele Hoffnungen machen.

Zu den strukturellen Veränderungen, die in Frankreich notwendig wären, gehören: Weniger Bürokratie für Unternehmen und weniger Angestellte beim öffentlichen Dienst. Aber leider besteht keinerlei Aussicht darauf, dass es zu derlei Veränderungen kommen wird. Stattdessen wird die Welt zurzeit mit bizarren unternehmensfeindlichen Erklärungen überzogen. Beispielsweise werden Unternehmen nun darin beschränkt, ihre Mitarbeiter über Handy oder E-Mails zu kontaktieren, nachdem der Arbeitstag vorbei ist …

Unterdessen fordert Brüssel, dass Frankreich seine Steuern noch stärker anhebt und die Ausgaben streicht. Natürlich bestünde der einzige Effekt dieser Austeritätsmaßnahmen darin, dass Frankreich noch weiter in Richtung Griechenland getrieben würde.

Um richtig zu verinnerlichen, wie massiv Frankreichs wirtschaftliche Talfahrt ist, muss man im Grunde nur wissen, dass die jungen und arbeitslosen Franzosen zurzeit Bücher schreiben, in denen detailliert dargestellt wird, wie schlimm es ist, im Land der Baguettes zu leben.

Und da die Wirtschaftspolitik in Frankreich katastrophal ist und die Wirtschaftspolitik im Rest Europas auch nicht besser ist, haben wir keinerlei Hoffnung, dass es zu irgendeiner Art von Wirtschaftserholung kommen wird.

Die bevorstehenden Vermögenssteuern und die höheren Grundsteuern werden das Kapital nur noch stärker in die Flucht schlagen. Und die Ironie des Ganzen ist, dass die europäischen Führer davon überzeugt sind, dass ihre Maßnahmen dazu beitragen werden, das Vertrauen der Investoren wieder herzustellen, obwohl in Wirklichkeit das genau Gegenteil der Fall ist …

Wir sind der Auffassung, dass die Anleger heute mit finanziellen Rahmenbedingungen konfrontiert sind, die die letzten 100 Jahre nicht da waren und wohl auch die kommenden 100 Jahr nicht mehr zu sehen sein werden. Und umso eher die Anleger begreifen, dass uns in Zukunft bedeutende finanzielle Trendwenden erwarten, desto besser ist es für ihr finanzielles Wohlergehen.

Die Ereignisse, die dazu führen werden, dass sich Europa von seinem Euro und seiner Fiskalunion verabschiedet, werden tiefgreifende weltweite Auswirkungen haben. Das weltweite Wirtschaftswachstum wird zweifelsohne zurückgehen und die europäischen Anleihemärkte werden den Anleihehaltern – also den Pensionsfonds, Versicherungen, Unternehmen und Banken – bedeutende Verluste bescheren.

Diese Verluste werden von Privatanlegern initiiert werden, die ihr Geld als erstes abziehen und es in sicherere Häfen bringen werden. Und diese sichereren Häfen werden die Möglichkeit bieten, das Vermögen zu schützen, und sie werden Wachstumsmöglichkeiten bieten.

Der Grund, warum Europa in einer tödlichen Schuldenspirale versinkt, ist natürlich, dass man noch mehr Schulden macht, um damit ein Schuldenproblem zu lösen, wie man beispielsweise an Portugal sehr schön sehen kann.

2007 war Portugal mit EUR 116 Milliarden verschuldet und stürzte in die offenen Arme der europäischen Rettungsmaschinerie, die auch den berüchtigten Namen Troika trägt.

Die Troika, die sich aus dem IWF, der EU und der EZB zusammensetzt, zwang Portugal dazu, einen niedrigverzinsten EUR 78 Milliarden schweren Kredit zu akzeptieren – ansonsten würden die portugiesischen Kinder auf Generationen hin keine Zukunft haben, so die Drohung.

Heute, 5 Jahre nach den von der Troika aufoktroyierten Steuererhöhungen, Arbeitsplatzverlusten und Kürzungen bei den Renten und dem Gesundheitssystem, ist Portugal mit EUR 214 Milliarden verschuldet – so gab man Millionen von künftigen portugiesischen Kindern Milliarden von Gründen, um der Troika dankbar zu sein.

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Heute erklären die Troika und die portugiesische Regierung, dass Portugal finanziell gerettet wurde. Ja, es scheint, dass es nur im mathematischen Märchenland namens Europa möglich ist, dass ein Land von einem Schuldenproblem erlöst werden kann, indem es noch mehr Schulden aufnimmt – aber nicht einfach nur mehr Schulden, sondern viel, viel mehr Schulden. Es ist eine Schuldenaufnahme im Stile Griechenlands, um genau zu sein …

Solange Portugal mehr Geld ausgibt, als es über Steuern einnimmt, werden seine Schulden nie zurückgehen. Fakt ist, dass die Staatsverschuldung solange weiter steigen wird, bis das portugiesische Volk die Nase voll davon hat und den Schuldendienst einfach aussetzt.

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Die aktuellen Wirtschaftsmeldungen, die aus Portugal zu vernehmen sind, besagen, dass das Land die europäischen Rettungsprogramme verlassen hat und nun wieder in der Lage ist, sich eigenständig Kredite am Kapitalmarkt zu beschaffen. Ja richtig, Sie können derzeit eine portugiesische Staatsanleihe kaufen, bei der Sie in den kommenden zehn Jahren jedes Jahr eine Rendite von 3,5% ausgezahlt bekommen.

Diese Rendite von 3,5% wird natürlich implizit von der Europäischen Zentralbank garantiert. Würde diese EZB-Garantie wegfallen, könnten sie vor die „3“ noch eine weitere Zahl setzen. Ja genau, das ist die Macht einer Gelddruckmaschine.

2012 hat die EZB ja bekanntermaßen verkündet, alles Notwendige zu tun, um den Euro zu verteidigen. Und so schräg sich das auch anhören mag – würde Portugal (oder Griechenland oder Italien oder irgendein anderes Euroland) die Eurozone verlassen, käme es wahrscheinlich zum Zusammenbruch des Euros. Und dieser Albtraum lässt die Troika keine Minute schlafen.

Und daher ist es natürlich auch so, dass die Anleger, die diese tollen neuen Staatsanleihen von Portugal kaufen, im Grunde darauf wetten, dass die Eurozone zusammengehalten werden kann. Es ist völlig klar, dass die „aktuellen“ an der Macht befindlichen Regierungen und die „aktuellen“ politischen Entscheidungsträger – und wir betonen „aktuell“ hier absichtlich – voll hinter diesem Kurs stehen.

Wir weisen Sie extra darauf hin, weil die „aktuellen“ Regierungen nun langsam an gesellschaftlichen Einfluss verlieren.

Wir sind uns ziemlich sicher, dass das Auseinanderbrechen der Eurozone nur noch eine Frage des Wann ist, nicht des Ob. Dieses Auseinanderbrechen wird entweder durch eine planmäßige Wahl oder eine den Wandel erzwingende Graswurzelbewegung herbeigeführt werden.

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Mögliche Auslöser, die ein Auseinanderbrechen der Eurzone herbeiführen können.

Es gibt zahlreiche Auslöser, die das europäische Fass zum Überlaufen bringen können, da können Sie sich gerne irgendeinen aussuchen. Das Entscheidende ist, dass die jetzigen europäischen Regierungen von den europäischen Wählern – trotz zahlreicher Rettungspakete, die auf zahlreiche Konjunkturprogramme folgten und zuvor mittels zahlreicher Wahlkampfversprechen verkauft wurden – immer weniger Unterstützung erfahren.

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