Graham Summers, Phoenix Capital Research, 30.01.2015

2012 versprach Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank, „alles Notwendige zu tun“, um den Euro zusammenzuhalten.

Viele Analysten nahmen diese Aussage Draghis wörtlich – damit liegen sie aber daneben.

Draghi ist bereit,

  • das Vermögen der Sparer zu konfiszieren, indem er die Zinsen in den negativen Bereich absenkt.
  • den Regulierungsbehörden zu erlauben, Bankkonten zu beschlagnahmen, um Banken mittels eines „Bail-ins“ zu retten.
  • verbal zu intervenieren, wenn dadurch die Zinssätze für die Staatsschulden der Euroländer fallen.
    EU-Staatsanleihen aufzukaufen – ungeachtet der Tatsache, dass dadurch eindeutig gegen den Vertrag von Maastricht (das für die Schaffung des Euros maßgebliche Vertragsdokument) verstoßen wird.

Draghi ist aber keineswegs bereit, die Schuldenrestrukturierung (Schuldenschnitt/Haircut) irgendeines Eurolandes hinzunehmen!

Warum? Wir wissen ja alle, dass das Problem der Eurozone im Grunde darin besteht, dass es viel zu viele Schulden gibt. Und da all seine bisherigen Anstrengungen, diese Schulden wegzuinflationieren, jämmerlich gescheitert sind, scheint die Schuldenrestrukturierung die einzige wirkliche Option zu sein, die ihm noch übrig geblieben ist.

Durch eine Schuldenrestrukturierung würde logischerweise die Verschuldung im System abgebaut, wodurch es der Eurozone möglich wäre, wieder auf einen Wachstumspfad zurückzukehren.

Draghi wird das aber nicht zulassen, denn genauso wie alle anderen weltweiten Zentralbanker treibt ihn aktuell nur eine Sorge um: Die Anleiheblase.

Die weltweite Anleiheblase hat aktuell einen Umfang von USD 100 Billionen. Und die Staatsanleihen – also die Titel, die die EU nicht restrukturieren will – werden von den europäischen Großbanken als wichtigste Kreditsicherheit für ihre Derivate-Portfolien verwendet.

Mit anderen Worten: Mit den EUR 12 Billionen an EU-Staatsschulden werden aktuell über EUR 100 Billionen an Finanzderivaten in den Bankbilanzen besichert.

Und das heißt, dass jedwede Schuldenrestrukturierung in der Europäischen Union praktisch unmittelbar zu einem Zusammenbruch der Eurozonenbanken führen würde, denn wir sprechen hier von Derivatekontrakten im Wert von zig Billionen Euros, bei denen Nachschusspflichten zum Tragen kämen bzw. neue Sicherheiten vereinbart werden müssten.

Und das gilt erst recht, wenn wir hier nicht bloß von der Schuldenrestrukturierung eines Landes sprechen. Alle PIIGS-Länder würden auf eine Schuldenrestrukturierung aus sein, und Frankreich würde sich am Ende auch in der Schlange einreihen.

Das ist der Punkt, wo das gesamte EU-Bankensystem implodiert und sich Draghi einen neuen Job suchen darf.

Dass es allein darum geht, die Großbanken in der EU vor dem Kollaps zu bewahren, wird deutlich, wenn man sich noch einmal das zweite EU-Rettungspaket für Griechenland anschaut. Wenn man zwischen den Zeilen liest, wird sofort klar, was wirklich geschah und was für die EZB im Rahmen der griechischen Rettungspakete tatsächlich von Bedeutung war.

Erinnern wir uns zurück:

  • Vor dem zweiten griechischen Rettungspaket tauschte die EZB all ihre alten griechischen Staatsanleihen gegen neue griechische Staatsanleihen, bei denen es nicht zu einem Schuldenschnitt kommen würde.
  • Rund 80% der Rettungsgelder flossen an EU-Banken, die griechische Staatsanleihen hielten, und nicht in die griechische Wirtschaft.

Indem die EZB ihre alten griechischen Staatsanleihen gegen neue Papiere – die während des zweiten Rettungspakets keinem Haircut unterzogen würden – eintauschte, stellte sie sicher, dass die griechischen Anleihen in ihrer Bilanz weiterhin unantastbar bleiben. Im Ergebnis konnten die Banken diese Papiere, die sie bei der EZB hinterlegt hatten, weiterhin als hochwertige Kreditsicherheiten verwenden.

Die EZB hat diesen Banken also im Grunde erlaubt, griechische Staatsanleihen in ihrer Bilanz abzuladen, um Verluste zu vermeiden … dadurch mussten die Banken in ihren Portfolien keine neuen Sicherheiten hinterlegen.

Womit wir auch schon bei dem anderen Thema des zweiten griechischen Rettungspakets wären, nämlich der Tatsache, dass 80% der Gelder an die EU-Banken gingen, die griechische Anleihen hielten, und nicht in die griechische Wirtschaft flossen.

Auch hier ging es einzig darum, den Banken, die griechische Staatanleihen als Sicherheiten nutzten, Geld zu geben, um sicherzustellen, dass sie über genügend Kapital verfügen.

Wenn wir alle Puzzlesteine zusammenlegen, wird deutlich, dass es bei der Griechenland-Rettung in Wahrheit gar nicht darum geht, Griechenland zu helfen. Vergessen Sie die griechischen Schuldenprobleme oder die Demonstrationen oder die politischen Entscheidungen – in Wahrheit ging es bei den Griechenland-Rettungen nur darum, die EU-Banken, die griechische Staatsanleihen als Sicherheit nutzten, abzusichern und sie mit allen Mittel vor dem Untergang zu bewahren.

Und das ist auch der Grund, warum die EZB nicht will, dass Griechenland seine Schulden restrukturiert. Würde dies geschehen, würde der Derivatemarkt zu implodieren beginnen, und das würde letztlich zum Zusammenbruch der EU-Großbanken führen – also zum Crash der Banken, die Draghi bisher auf Kosten der Griechen und der anderen Europäer gerettet hat.

Draghi wird „alles Notwendige tun“, um den Euro zu retten – solange die Großbanken nicht darunter leiden. Leider ist Draghi nun in eine missliche Lage geraten, denn es könnte sein, dass er jetzt keine andere Wahl mehr hat.

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