Dan Norcini, Traderdan.com, 09.05.2015
Der Rohölpreis (der Marke Crude Oil) hat nach der Ausbildung seines jüngsten Tiefs Mitte März eine sehr schöne Erholung hingelegt und ist kontinuierlich um USD 20 pro Barrel gestiegen. Das Durchbrechen des fallenden gleitenden 50-Tagesschnitts war der erste richtige Hinweis darauf, dass sich der Markt Ende März verändert hat, wobei hier noch der entscheidende Faktor hinzukam, dass der Ölpreis nach einem abermaligen Rückgang im April wieder nach oben kletterte. Dadurch wurde das Tief im Bereich von USD 43 pro Barrel zementiert und beim Ölmarkt vorerst ein solider Boden etabliert.
Seitdem ist der Markt weiter gestiegen, nicht in einem drastischen Aufwärtsschub, sondern auf kontinuierliche Art und Weise. Die bärische Stimmung der Spekulanten ist sukzessive zurückgegangen.
Es scheint jedoch so zu sein, dass der Markt im Bereich von USD 62 pro Unze auf bedeutsame Widerstände traf, nachdem er rund einen Monat lang nur eine Richtung kannte. Der gegenwärtige Aufwärtsschub war bisher noch nicht in der Lage, den abfallenden 200-Tagesschnitt zu durchbrechen, war aber ausreichend stark gewesen, um dafür zu sorgen, dass der gleitende 50-Tagesschnitt nun wieder nach oben weist.
Es gibt eine Reihe von Dingen, auf die ich hier hinweisen möchte. Zunächst einmal ist es so, dass die ADX-Linie nun erstmals seit dem 01.04.2015 wieder nach unten weist. Das deutet darauf hin, dass Crude Oil jetzt vorübergehend an einen Punkt angelangt ist, wo es eine Verschnaufpause einlegen möchte. Wir sollten hier im Hinterkopf behalten, dass eine steigende ADX-Linie auf einen Markttrend hinweist. Geht die ADX-Linie zurück, deutet es auf einen Rücksetzer oder eine Pause des Trends hin, es bedeutet aber nicht, dass wir es mit einer Trendumkehr zu tun haben.
Für eine echte Trendumkehr müssten sich die DMI-Linien kreuzen, während die ADX-Linie steigt und der Preis fällt. Basierend auf den aktuellen Daten sieht es so aus, als hätten wir es mit einer Pause innerhalb eines anhaltenden Bullenmarkts zu tun, obwohl es sich hierbei eher um einen schwachen, sich langsam bewegenden Bullenanstieg handelt.
Der Relative-Stärke-Indikator (RSI) hat seinen überverkauften Zustand korrigiert, was eine gesunde Entwicklung ist. Hierzu ist jedoch anzumerken, dass überverkaufte Bereiche des RSI auf zweierlei Art abgebaut werden könne – über den Preis oder über die Zeitschiene. Geht der RSI aufgrund des Preises zurück, kommt es tatsächlich zu Preisrückgängen, und geht der RSI aufgrund der Zeit zurück, kann der Preis auch mehr oder weniger stagnieren, während es dem RSI dann mittels der verstrichenen Zeit gelingt, sich Schritt für Schritt aus seinem überverkauften Zustand herauszuarbeiten.
Wir müssen jetzt einfach abwarten und schauen, welches Szenario sich am Markt tatsächlich manifestieren wird.
Bei dem ADX/DMI-Indikator ist auch noch interessant, dass die +DMI-Linie weiterhin über der –DMI-Linie liegt, was bedeutet, dass die Bullen auf dem obigen Chart immer noch das Heft in der Hand haben. Kurzfristig orientierte Trader sollten aber nach potenziellen Hinweisen Ausschau halten, die darauf hindeuten, dass in Stützungsbereichen tatsächlich auch solide Käufe einsetzen, bevor sie sich bereit machen, abermals auf steigende Kurse zu setzen.
Und auch im Hinblick auf den jüngsten Commitments of Traders Bericht für Crude Oil ist etwas Interessantes auszumachen. Im Folgenden sehen Sie den aktualisierten Chart, der die Gesamtpositionen aller Trader-Kategorien ausweist. Am meisten beeindruckt der drastische Anstieg der Netto-Long-Positionen der Hedge-Fonds. Hier haben wir es in der Tat mit einem ziemlich starken Anstieg zu tun. Zumindest könnte man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die Hedge-Fonds bezüglich der Ölpreisentwicklung extrem bullisch geworden sind. Dasselbe gilt für die Trader-Gruppe „Other Large Reportables“, da auch diese Trader ihre Netto-Long-Positionen ausgeweitet haben.
In Wahrheit sind diese beiden Gruppen der großen Spekulanten aber nicht extrem bullisch, sondern sie sind nun einfach nicht mehr so bärisch wie zuvor. Im nächsten Chart sehen Sie die tatsächlich gehaltenen Positionen der beiden Gruppen zusammengenommen.Seit dem Ölpreistief Mitte/Ende März haben diese großen Spekulanten atemberaubende 142.000 Short-Kontrakte glattgestellt. Während desselben Zeitraums haben sie aber gerade einmal mickrige 3.300 Long-Kontrakte aufgebaut. Wir kommen hier also auf ein atemberaubendes Verhältnis von 43:1! Wow – kein Wunder, dass der Ölpreis gestiegen ist.
Jetzt werden Sie sicherlich auch verstehen, warum ich sage, dass die großen Spekulanten nicht extrem bullisch geworden sind – so wie es der Fall wäre, wenn ihre Long-Positionen in die Höhe schießen würden –, sondern sie es nun einfach aufgegeben haben, den Rohölpreis weiter nach unten zu drücken, und aus ihren Shorts ausgestiegen sind.
Die Eindeckung von Shorts kann einen Markt sehr stark ansteigen lassen, wie wir im jetzigen Fall gesehen haben, aber man sollte trotzdem sehr vorsichtig sein, denn wenn diese Phase des Short-Covering zu Ende geht, neigt der Markt oftmals dazu, abermals zu fallen, sofern ein fortwährender Zustrom an neuen Longs ausbleibt. Das ist auch der Grund, warum ich es vorziehen würde, wenn der Ölpreis sinkt und eine solide charttechnische Stützung etabliert, von wo aus der Aufbau direkter Long-Positionen seitens dieser großen Spekulanten stattfindet. Das wäre ein Hinweis für mich, dass wir über die Rückendeckung verfügen, diesen Markt von der langen Seite her zu spielen. Allein nur deshalb in den Markt einzusteigen, weil gerade Shorts glattgestellt werden, halte ich für riskant.
Das ist der Grund, warum ich den Richtungswechsel bei der ADX-Linie mit großem Interesse verfolge und diesen Indikator bestimmt nicht ignorieren werde. Aber ich neige auch dazu, zu vorsichtig zu traden, da ich die Phase meiner Trading-Karriere, wo ich wilde Risiken einging, schon lange hinter mir gelassen habe.
Schauen wir also einfach, was Crude Oil in nächster Zeit vorhat. Eine Sache, die für steigende Preise spricht, ist, dass wir uns nun in der Phase des Jahres befinden, wo der Benzinverbrauch am stärksten ist, und das heißt, dass die Raffinerien ihre Produktionskapazitäten hochfahren, wodurch die Nachfrage hoch bleiben dürfte. Die wöchentlichen Daten vom US-Ölmarkt werden ebenfalls von Bedeutung sein, da es für zusätzliche Preisanstiege notwendig wäre, dass der Trend der rückläufigen US-Ölproduktion anhält und die Lagebestände weiter zurückgehen.