The Gold Report, 25.11.2011
Der Goldanalyst Clive Maund im Gespräch mit The Gold Report

The Gold Report: Clive, auf Ihrer Internetseite Clivemaund.com schrieben Sie: „Aus fundamentalen und technischen Gründen scheint der Aktienmarkt bald einzubrechen.“ Es sieht also ganz danach aus, als würden wir entweder Deflation oder Hyperinflation bekommen. Der Weg, den wir eingeschlagen haben, deutet eher auf Hyperinflation, aber wie schätzen Sie die Lage ein?

Clive Maund: Das Entscheidende ist zu begreifen, dass die Welt eines „Neustarts“ bedarf und diesen früher oder später auch bekommen wird. Was ich damit meine, ist, dass all der Schulden- und Derivate-Müll, der sich im Laufe vieler Jahre angehäuft hat und die Weltwirtschaft jetzt nach unten zieht, erst einmal weg muss, bevor wir wieder nach vorne schauen können.

Viele Leser werden diese Erfahrung bereits mit ihrem Computer gemacht haben. Wenn zu viele Anwendungen und Programme gleichzeitig offen sind, ist irgendwann der Punkt erreicht, wo gar nichts mehr geht. Das Einzige, was dann noch bleibt, ist den Reset-Knopf zu drücken und einen Neustart durchzuführen.

Und das ist genau der Punkt, an dem die Weltwirtschaft nun mit ihrer Schuldenkrise angelangt ist – und umso länger die Unternehmensführer und Politiker brauchen, um das zu begreifen und damit zu beginnen, all den Schulden- und Derivate-Dreck abzuschreiben, desto schlimmer wird es am Ende werden. Was soll schon sein, wenn Banken pleite gehen – im Anschluss daran kann man immer wieder neue gründen!

Die Schulden- und Derivate-Berge sind so gigantisch, dass es keine Möglichkeit gibt, wie sie jemals wieder zurückgezahlt werden könnten. Und das heißt, dass sie entweder abgeschrieben werden müssen – die drastischste und effektivste Lösung – oder man sich heraus-hyperinflationieren muss, wobei letzteres von den Politikern bevorzugt wird, da sie auf diese Art die meiste Zeit gewinnen können.

Die maßgebliche der aktuellen Entwicklung zu Grunde liegende Kraft ist die Deflation. Es bedarf also einer massiven Schrumpfungsphase, um das System zu bereinigen und die zur Last gewordenen Verzerrungen und Ineffizienzen wieder los zu werden.

Zur Deflation gehört aber auch, dass sie mit massivem wirtschaftlichem Elend, Gehaltskürzungen und einer enormen Arbeitslosigkeit einhergeht. Darüber hinaus kann die Deflation zu politischer Instabilität führen, wo die Massen auf die Straße gehen und es zu Aufständen kommt. Das ist auch der Grund dafür, warum die Politiker die Deflation so fürchten und sich stattdessen lieber für Inflation oder gar Hyperinflation entscheiden.

Die Politiker haben also mit aller Macht versucht, die Deflation im Zaum zu halten. Im Grunde erfolgte dies durch die Ausdehnung der Geldmenge und die Rettung von scheiternden Unternehmen.

Die Situation ist mittlerweile gefährlich instabil geworden, und aktuell befinden wir uns an einem Scheideweg, wo sich zeigen wird, ob wir in Richtung einer massiven hyperinflationären Phase gehen – bei der es am Ende in den meisten westlichen Wirtschaften eine Hyperinflation im Stile Zimbabwes geben würde –  oder ob wir in eine massive Deflation abtauchen.

Der Grund, warum die Situation zurzeit so gefährlich instabil ist, besteht darin, dass gegenwärtig alle weltweit bedeutenden Akteure ihren Teil dazu beitragen müssen, die Liquiditätskrise abzuwenden – also dass sie so viel Geld drucken, wie nötig ist, die Zinssätze unten halten und die Krisenherde dort bekämpfen, wo sie hochkochen und drohen, zu einer Kreditkrise zu werden oder zu einem Anstieg der Zinssätze zu führen.

So gesehen, kann man sagen, dass die Republikaner nicht mitspielen, da sie zurzeit versuchen, das US-Haushaltsdefizit in bedeutendem Umfang abzusenken. Dasselbe gilt auch für die zerstrittenen Vollidioten in Europa, die nicht in der Lage sind zu verhindern, dass die Zinsen explodieren. Sie lassen das Schiff also auf die Seite kippen und riskieren dadurch einen Zusammenbruch der Märkte, der sich in die von ihnen so stark gefürchtete Deflation verwandeln würde. Das kann jederzeit passieren, was die Situation für Investoren ja so schwierig macht.

Ich glaube, dass die Politiker solange in Richtung Hyperinflation arbeiten werden, wie ihnen dies möglich ist – aber an irgendeinem Punkt, und das könnte schon bald soweit sein, werden sie komplett die Kontrolle verlieren. Dann wird die Welt in eine deflationäre Depression stürzen, was ja in Wirklichkeit genau das ist, was die Welt aktuell braucht, um sich ein und für allemal dieses ganzen Mülls zu entledigen.

Europa könnte durchaus der Auslöser dafür sein, da die europäischen Schulden völlig unkontrollierbar geworden sind und es den Führern Europas an Zusammenhalt und Entscheidungsfähigkeit mangelt, den Markt mit der Liquidität zu fluten, die notwendig wäre, um die Situation weiter unter Kontrolle zu halten …

TGR: Ihre These des weltweiten wirtschaftlichen Niedergangs beinhaltet auch die amerikanische Politik. Auf Ihrer Internetseite heißt es dazu: „Die [amerikanischen]Politiker beugen sich dem öffentlichen Druck, ernsthaft etwas zur Absenkung der Defizite zu unternehmen, was einer Wirtschaftsimplosion den Weg bereitet.“ Wenn Sie in der Fed säßen oder zu Obamas Administration gehörten, welche Maßnahmen würden Sie ergreifen, um eine „Wirtschaftsimplosion“ zu vermeiden?

CM: Ich würde genau dieselben Maßnahmen ergreifen, die sie bisher ergriffen haben, was mehr oder weniger nichts weiter ist, als die Probleme in die Zukunft zu verlagern, in der Hoffnung, dass irgendein anderer Idiot das (am Ende noch größere) Chaos beseitigen muss. Das ist ihre bisherige Verfahrensweise gewesen, und der einzige Grund, warum sie nun über die „Nuklearoption“ nachdenken, tatsächlich etwas gegen die Haushaltsdefizite zu unternehmen, ist, weil sie durch ihre Wählerschaft gegenwärtig massiv unter Druck gesetzt werden, genau das zu tun.

Die beste Möglichkeit, eine Wirtschaftskernschmelze zu verhindern, bestünde natürlich darin, nicht zuzulassen, dass die Defizite überhaupt auf solch unkontrollierbare Niveaus anwachsen. Dies würde jedoch Zurückhaltung und Opfer bedeuten – etwas, das sie nicht bereit sind zu akzeptieren. Sie wollen „Party feiern“ und zwar jetzt, und zur Hölle mit künftigen Konsequenzen! Sie, oder besser gesagt wir, fallen jetzt in die Grube, die sie uns gegraben haben.

TGR: Könnte es sein, dass wir eine weitere Runde an quantitativen Lockerungsmaßnahmen, ein QE3 erleben werden?

CM: Ja, es könnte sein, dass wir das erleben werden, doch dürfte dies lediglich eine inflationäre Depression zur Folge haben, der dann später unausweichlich die deflationäre Depression folgt. Die deflationären Kräfte und den damit einhergehenden Säuberungsprozess wollen sie aber nicht zulassen, doch das wird so oder so kommen, ob sie es nun wollen oder nicht.

Es ist ein Kampf gegen Windmühlen: Die Wirtschaften haben aufgrund der Schuldenexzesse und der exzessive Nullzinspolitik mit derart vielen Marktverzerrungen zu kämpfen, dass sie so viel Geld drucken können, wie sie wollen, die Wirtschaft wird sich dadurch jedenfalls nicht retten lassen.

TGR: Das ist der Ausblick für die amerikanische Wirtschaft. Lassen Sie uns nach Europa schauen. Da haben wir die 10-jährigen italienischen Staatsanleihen, die jüngst mit über 7% rentierten, während Spanien aufgrund steigender Schuldenkosten weniger Anleihen am Markt platzieren konnte, als eigentlich geplant war.

Und auch für die 10-jährigen Staatsanleihen aus Frankreich, Belgien und Österreich verlangen die Investoren im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen zurzeit erhöhte Risikoaufschläge. Die Zinsniveaus befinden sich nun allesamt auf Rekordständen, zumindest seit Beginn der Eurozone. Das beflügelt doch nicht das Vertrauen der Investoren, wie ist Ihre Meinung dazu?

CM: Ich bezeichne die politischen Führer Europas bereits seit langem als egoistische Vollidioten, weil sie genau das sind. Über Jahre hinweg haben sie unter den Füßen Europas emsig einen riesigen Krater ausgehoben – und jetzt wo Europa nach unten durchbricht, können sie nichts dagegen unternehmen. Sie verfügen weder über das Geld noch über die Fähigkeit, Europa davor zu bewahren, ins Chaos und in die Auflösung abzurutschen.

Der Weg, wie man diese hartnäckige europäische Schuldenkrise angehen müsste, bestünde schlicht darin, alle Schulden auf null zu stellen und den Kreditoren zu erklären: „Pech gehabt, ihr seht keinen Cent.“ Natürlich bräche das Chaos aus, die Banken würden zusammenbrechen und so weiter – aber das ist tatsächlich die einzige Möglichkeit: Man streicht die Schulden und beginnt dann noch einmal von Neuem.

Natürlich werden sie das nicht tun. Wahrscheinlicher ist, dass sie, genauso wie in den USA, versuchen werden, Rettungen durchzuführen und die Verluste von großen Kreditoren wie Banken, Großkonzernen und anderen Institutionen zu sozialisieren, indem sie der Öffentlichkeit die Rechnung in Form von Austeritätsmaßnahmen und Steuererhöhungen präsentieren. Wirklich interessant wird es aber, wenn man sich mit der Frage beschäftigt, warum diese Strategie verfolgt wird.

Warum erachten die europäischen Führer die Interessen der Großunternehmen für wichtiger als die Interessen ihrer Wählerschaft? Der Grund ist, weil die Großunternehmen über bedeutend mehr Macht verfügen als die Wählerschaft. Die Großunternehmen entscheiden im Grunde darüber, ob jemand Aussichten auf ein politisches Amt hat oder nicht und wie sich die Karrieren der Politiker entwickeln, wenn sie erst einmal nicht mehr im Amt sind.

Wir sind uns beispielsweise alle über das Lobbysystem der USA im Klaren und wissen, welch überzeugende Kraft von den Wahlkampfspenden ausgeht – und ähnliche Anreize dürfte es auch in Europa geben. Das Einzige, was die Öffentlichkeit darf, ist abstimmen und demonstrieren, letzteres wird aber erst dann zu einer entscheidenden Einflussgröße, wenn die Massen damit anfangen, in ausreichender Zahl auf die Straße zu gehen.

Austeritätsmaßnahmen funktionieren natürlich nicht. Sie führen lediglich dazu, dass die Wirtschaftsaktivität abnimmt und die Steuereinnahmen einbrechen, was wiederum die Schulden weiter ansteigen lässt. Die teuflische Abwärtsspirale wird dadurch einfach nur weiter angeheizt.

Die europäischen Führer machen sich etwas vor, wenn sie ernstlich glauben, dass diese Schulden jemals wieder zurückgezahlt werden könnten. Das ist so, als würde ein Mann mit einem Gefrierschrank auf dem Rücken versuchen, sich über Wasser zu halten: Während es ihn immer weiter in die Tiefe zieht, besteht seine einzige Hoffnung noch darin, sich irgendwie vom Gefrierschrank loszureißen.

Und so ist es in Europa: Ihre einzige Hoffnung besteht darin, die Schulden komplett abzuschreiben und die Sache ihren Lauf nehmen zu lassen. Wenn sie zu zögerlich sein sollten, diesen Weg einzuschlagen, stehen Europa, die USA und der Rest der Welt zum Ausverkauf …

TGR: Wie ist Ihr kurzfristiger Preisausblick für Gold und Silber über den Jahreswechsel?

CM: Der kurzfristige Ausblick für Gold und Silber ist, dass eine Korrektur ansteht, bei der Silber jedoch nicht unter seine jüngsten Paniktiefststände vom September dieses Jahres absinken dürfte. Danach hängt alles davon ab, wie man mit der Schuldenkrise verfährt.

Sollte unbegrenzt Liquidität geschaffen werden, um zu versuchen, die Risse in Europa und den USA zu übertünchen, gibt es für die Edelmetallpreise nach oben hin kein Limit mehr. Sollte es jedoch so sein, dass die Deflation Fuß fasst, dürften Gold und Silber wahrscheinlich mit allen anderen Vermögenswerten im Kurs fallen, obwohl dies bei den Edelmetallen nicht so schnell vonstatten gehen dürfte als bei anderen Werten …

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