Der Blick auf die Euro-Krise offenbart auch die Schwächen des globalen Geldsystems. Wie lange dieses Spielchen zugunsten der Defizitländer und auf Kosten Deutschlands und Chinas aufrecht erhalten werden kann, wird sich zeigen

Peter Schiff, Europac.net, 07.05.2012

Am 25.04.2012 gab Dr. Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, während einer Rede in Berlin eine erstaunlich ehrliche Einschätzung bezüglich der aktuellen Probleme Europas ab. Und obwohl er sich mit seinen Kommentaren eigentlich auf die Spannungen und Ungleichgewichte zwischen dem Norden und Süden der 17 Länder zählenden Eurozone bezog, beleuchtete er damit unbeabsichtigt auch die Hintergründe der Weltwirtschaft.

Die Forderung ablehnend, Deutschland sollte den scheiternden Wirtschaften der südlichen Eurozone noch mehr Hilfe leisten, sagte Dr. Dombret:

„Die Wechselkursbewegungen sind gewöhnlich ein wichtiges Mittel, mit dem nicht nachhaltige aktuelle Bilanzen korrigiert werden … In einer Währungsunion ist das aber offenkundig nicht mehr länger möglich. Spanien hat keine Peseten mehr, um abzuwerten; Deutschland hat keine Deutsche Mark mehr, um eine Neubewertung vorzunehmen. Stattdessen müssen dafür andere Dinge herhalten: Preise, Gehälter, Beschäftigung und Produktionsausstoß.

Die Frage ist nun, welche Länder die Belastungen dieser Anpassungen zu Schultern haben. Und das ist natürlich genau der Punkt, wo die Meinungen beginnen auseinanderzugehen. Die deutsche Position könnte wie folgt beschrieben werden: Die Defizitländer müssen die Anpassung vornehmen. Sie müssen ihre strukturellen Probleme angehen, die inländische Nachfrage absenken, wettbewerbsfähiger werden und ihre Exporte erhöhen.“

In der Wirtschaftslehre gilt der Grundsatz, dass positive und negative Leistungsbilanzen am Ende immer durch Veränderungen bei den Währungs-Bewertungen ausgeglichen werden. Die Währungen von Überschussländern müssten dabei normalerweise steigen, während die Währungen von Defizitländern eigentlich fallen sollten. Die aktuelle weltweite politische Situation hat diesen Prozess jedoch außer Kraft gesetzt.

Genauso wie viele seiner deutschen und europäischen Kollegen will wahrscheinlich auch Dombret die europäische Währung mit allen Mitteln erhalten. Aber es ist in der Tat so, wie er in seiner Rede beschreibt: Wenn die Währungen dabei scheitern, die Anpassung vorzunehmen, müssen halt andere Opfer erbracht werden – und Dombret beharrt darauf, dass diese Opfer seitens der Nehmerländer zu erbringen sind.

Angesichts der Schwäche der Wirtschaften und der schwachen fiskalischen Situation der südlichen Euroländer müsste eigentlich offenkundig sein, dass die Bürger Griechenlands, Portugals, Spaniens und Italiens über ihre Verhältnisse gelebt haben. Ihre relative Prosperität der vergangenen zehn Jahre wurde vornehmlich durch die hohe Kaufkraft des Euros ermöglicht, dessen Stärke wiederum durch die starke deutsche Wirtschaft sichergestellt wurde.

Anstatt die Deutschen – deren Sparquote und Leistungsbilanzüberschüsse das Resultat jahrelanger fiskalischer Zurückhaltung sind – dazu zu zwingen, noch mehr Geld zu verleihen und unter einer höheren Inflation zu leiden, damit die südlichen Euroländer weitere monetäre Hilfen erhalten, argumentiert Dombret, dass die Bürger der Defizitländer ihre Ausgaben senken und gleichzeitig mehr arbeiten und mehr sparen müssen. Mit anderen Worten: Der Lebensstandard der südlichen Euroländer muss mit ihrer Produktivität in Einklang stehen.

Ökonomische Mechanismen verändern sich nicht durch ihren Umfang. Und wie es der Zufall so will, gibt es in der Tat noch einen bedeutend größeren und genauso fehlerhaften Währungsblock in der Welt wie den, den Dr. Dombret zu retten versucht. In diesem größeren Währungsblock spielen sich in einer unflexiblen monetären Zwangsjacke zwischen den Überschuss- und Defizitländern genau dieselben Prozesse ab.

Um die Exporte aufrecht zu erhalten und die wirtschaftlichen Erwartungen zu steuern, haben viele Länder (das bekannteste Beispiel ist China) zwischen ihren eigenen Währungen und dem US-Dollar feste Wechselkursraten implementiert. Obwohl dieses System nicht durch formelle Verträge geregelt wird wie jener, der die 17 –Euroländer zusammenschweißt, ist buchstäblich ein Währungsblock entstanden, der auf unnatürliche Art zusammengehalten wird – und das obwohl die in diesem Block vereinten Ökonomien immer weiter auseinanderdriften.

Und obwohl China bezüglich der Festsetzung seines Wechselkurses einen gewissen Grad an Flexibilität zeigte, besteht praktisch ein universeller Konsens darüber, dass die Wechselkursveränderungen bedeutend stärker ausgefallen wären, hätte es die substantiellen Manipulationen der chinesischen Zentralbank nicht gegeben.

Genauso wie die südlichen Euroländer konsumieren auch die Vereinigten Staaten wesentlich mehr, als sie selbst produzieren. Doch anstatt diese Lücke durch eine erhöhte Produktion und eine Absenkung des Konsums zu schließen, gingen Südeuropa und die USA einen bedeutend weniger schmerzlichen Weg. Sie haben sich stattdessen einfach Geld geliehen.

Ja und wer kann ihnen das zum Vorwurf machen? Schließlich macht es ja viel mehr Spaß zu konsumieren, als zu produzieren. Und wir haben ja auf zahlreichen finanzwirtschaftlichen Schauplätzen mitverfolgen dürfen, dass ein Kreditnehmer dazu neigt, sich solange Geld zu leihen, wie der Kreditgeber gewillt ist, Gelder bereitzustellen – was besonders dann gilt, wenn keine unmittelbaren nachteiligen Auswirkungen zu befürchten sind.

Deutschland und China produzieren beide mehr, als sie konsumieren. Und es sind diese Überschüsse, von denen sich die Defizitländer leihen. Aber diese beiden Geberländer zeigen zurzeit völlig verschiedene politische Ansätze, wie sie mit ihren hart verdienten Ersparnissen umzugehen gedenken.

In Europa zeigen sich die deutschen Politiker zunehmend zurückhaltender, wenn es darum geht, den Lebensstandard der Deutschen der Aufrechterhaltung eines unausgewogenen Wirtschaftssystems zu opfern, während die Chinesen eine solche Politik mit aller Kraft zu fördern scheinen. Dieser Unterschied ist auf ihre verschiedenen Politiksysteme zurückzuführen: In Deutschland zählt die öffentliche Meinung, während sie in China nicht so sehr interessiert.

Die Bindung des Yuan an den US-Dollar, die von China die letzten paar Jahrzehnte in unterschiedlich starkem Maße durchgesetzt wurde, sicherte der chinesischen Regierung einen größeren Einfluss auf das Wachstum und die Ausgestaltung der chinesischen Wirtschaft. Diese Politik geht für die chinesischen Bürger aber auch mit Härten einher (wie relativ geringe Konsumraten und hohe Inflationsraten).

Doch da der chinesischen Bevölkerung die Mittel fehlen, die staatliche Politik zu beeinflussen, haben die Chinesen kaum eine andere Wahl, als die Machenschaften ihrer Regierung hinzunehmen. Die deutschen Bürger hingegen verfügen über bedeutend mehr Freiheit, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Fakt ist, dass die Agenda Berlins maßgeblich durch die Angst vor einer heftigen Gegenreaktion der Wählerschaft bestimmt worden ist.

Die Frage für die Weltwirtschaft lautet daher, ob China eher wie Deutschland wird oder Deutschland eher wie China. Aus meiner Sicht ist die Antwort klar: Es ist unwahrscheinlich, dass die politischen Führer in Deutschland das Risiko eingehen werden, die kulturelle Aversion ihrer Wähler gegenüber einer allzu lockeren Geldpolitik einfach zu übergehen. Am Ende dürften sie aufgrund steigender Devisenreserven und steigender Inflation zum Handeln gezwungen werden. Wenn das passiert, werden die Vereinigten Staaten und Südeuropa in ein und demselben Boot sitzen.

Für viele ist die „Goldene Regel“ ein Konzept, das die Werte des Anstands und des fairen Umgangs untereinander unterstreicht. Es gibt aber noch eine andere weniger großherzige Definition: „Wer das Gold hat, stellt die Regeln auf.“ In der aktuellen Weltwirtschaft verfügen die Überschussländer über das Gold – und früher oder später werden wir nach ihren Regeln leben.

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