Wer in einer Demokratie wählen geht, hat bloß noch nicht begriffen, wie das System funktioniert
Joel Poindexter, Lewrockwell.com, 18.08.2012
Diejenigen, die bei der US-Präsidentschaftswahl wählen gehen, erklären, dass es Teil ihrer Bürgerpflicht sei; etwas, das ein guter Bürger tun muss. Andere erachten wählen zu gehen als ein Recht und glauben, dass Wahlen etwas sind, woran jeder Amerikaner teilnehmen sollte. Schließlich, so erinnern sie uns, gibt es andere Länder, wo nicht jeder über dieses Recht verfügt. Und dann gibt es noch diejenigen, die der Auffassung sind, dass die Wahlen Pflicht und Recht gleichermaßen sind, so als könnten sie beides gleichzeitig sein.
Daher waren viele auch außerordentlich traurig, als die Wahlbeteiligung bei den Präsidentschaftsvorwahlen in Kansas und Missouri diese Woche miserabel ausfiel. Radiomoderatoren, Experten im Internet und Medienvertreter kommentierten die geringe Wahlbeteiligung, und einige waren angesichts der niedrigen Zahlen zutiefst verstört.
In Kansas City im Bundesstaat Missouri gingen beispielsweise nur 15% aller Wahlberechtigten zur Wahl. Man weiß aber, dass es bei den Vorwahlen und Zwischenwahlen eine geringere Wahlbeteiligung gibt als bei den Präsidentschaftswahlen, weshalb es eigentlich niemanden hätte überraschen dürfen – dennoch besteht Grund zur Hoffnung, dass es dieses Jahr die geringste Wahlbeteiligung der letzten 50 Wahlen werden wird.
USA Today und die Suffolk University fragten die US-Bürger, warum sie diesen November nicht zur Wahl gehen würden, worauf die Befragten erklärten: „Sie haben zu viel zu tun. Sie können sich für keinen der beiden Kandidaten richtig begeistern. Ihre Stimme würde ja doch nichts bewirken. Und die kriegen ja ohnehin nichts auf die Reihe.“ All das sind ausgezeichnete Gründe, besonders die zwei Letztgenannten, da sie die große Lüge, dass Wahlen irgendetwas ändern würden, offen zur Schau stellen. Das Umfrageergebnis deutet darauf hin, dass 90 Millionen Amerikaner nicht beabsichtigen, an den diesjährigen Präsidentschaftswahlen teilzunehmen; wollen wir hoffen, dass die Zahl im Laufe der kommenden Monate noch weiter anschwillt.
Curtis Gans, der Direktor des Center for the Study of the American Electorate, sagte im Hinblick auf die erwartete sehr geringe Wahlbeteiligung:
„Es gibt einen starken Vertrauensmangel gegenüber unseren Führern, einen Mangel an positiven Gefühlen bezüglich unserer politischen Institutionen, einen Mangel an qualitativ hochwertiger Bildung für weite Teile der Öffentlichkeit, einen Mangel an politischer Bildung, die fragmentierenden Auswirkungen der Wellen an Kommunikationstechnologie, den Zynismus der politischen Berichterstattung – ich könnte hier mit einer langen Litanei fortfahren.“
Ja, das mit dem Mangel an politischer Bildung könnte stimmen, aber nicht weil es die staatlichen Schulsysteme nicht versuchen würden. Bei jedem Wahlzyklus stimmen die Schüler in den staatlichen Schulen über ihre landesweiten Kandidaten ab; da ich selbst zu Hause gelehrt wurde, habe ich an einem derartigen Konditionierungsprogramm nie teilgenommen, aber ich kann mich noch gut daran erinnern, dass meine Freunde in der Schule bei den Wahlen 1992 für Bill Clinton stimmten. Die Schüler halten sogar ihre eigenen Wahlen ab, um aus ihren eigenen Reihen Politiker auszuwählen, die bei der Schulverwaltung angeblich ihre Interessen vertreten, um längere Pausen, Süßigkeiten in der Cafeteria und wer weiß was noch zu bekommen. Es ist einer der beunruhigenderen Versuche, den Kindern die Staatsreligion der Demokratie einzuimpfen. Aber er ist nicht immer von Erfolg gekrönt.
Eine der Befragten, Jamie Palmer, 35, war nie wählen – schön für sie; wenn ich nur bei solch klarem Verstand gewesen wäre. Als sie gefragt wurde, warum sie nie wählen gegangen ist, erklärte sie, dass die Politiker „immer dasselbe sagen; sie machen Versprechungen; und sie halten sie nicht. Es ist lächerlich. Wenn ich wählen gehe, kommt nichts dabei rum. Es wird danach genauso sein, wie es jetzt ist.“ Glücklicherweise hat sie sich von ihren den Staat bewerbenden Lehrern nicht an der Nase herumführen lassen.
Wenn man mit den Leuten über Politik spricht, dann behaupten die meisten, dass diejenigen, die nicht zur Wahl gehen, faul, unpatriotisch oder Teil des Problems der Gesellschaft sind. Diesen Leuten wurde beigebracht, was sie denken sollen, aber nicht, wie man denkt.
Und der Vorwurf der Faulheit mag in vielen Fällen ja durchaus richtig sein, aber mit Sicherheit nicht in allen. Die Umfrage von USA Today deutet darauf hin, dass es zumindest einige Menschen gibt, die sich nicht die Zeit nehmen wollen, der Politik zu folgen oder wählen zu gehen, so dass nicht wählen zu gehen weniger eine absichtsvolle Entscheidung ist, sondern die Wahlen für sie wohl einfach nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Doch bei dem überwiegenden Teil der Nichtwähler, die ich kenne, handelt es sich um eine bewusste Entscheidung, die auf soliden Prinzipien basiert. Sie haben die Argumente gegen das Wählen klar und gut durchdacht, können aber keinesfalls als faul erachtet werden. Vielmehr sind sie damit beschäftigt, andere zu bilden, es sind Journalisten, Organisatoren, Aktivisten, und sie engagieren sich beim Aufbau von Parallelinstitutionen, die mit dem heute existierenden korporativistischen/etatistischen System in Wettbewerb treten sollen und es hoffentlich auch ablösen werden.
Ja sicher ist es wahr, dass viele Wähler Patrioten sind, aber bedauerlicherweise bringen sie einiges durcheinander. Sie verwechseln die Regierung mit der Gesellschaft und glauben, dass es Synonyme sind und der Angriff auf das eine gleichermaßen ein Angriff auf das andere wäre. In gewissem Sinne ist das auch korrekt, aber nur weil die Regierung sich bereits vollumfänglich der Autorität der Zivilgesellschaft bemächtigt hat und buchstäblich jede menschliche Handlung vorschreibt. Aber das ist nicht, wie die Dinge sein sollten, da der Staat in einer freien Gesellschaft über keinerlei legitime Funktionen verfügt. Wahlen verfestigten dieses Konzept nur noch, legitimieren die Regierung nur noch stärker als wohlmeinenden Kümmerer oder gerechten Schiedsrichter; nichts könnte falscher sein.
Da ich im Laufe der Zeit begriffen haben, um was für eine immoralische Institution es sich bei der Regierung handelt, ist für mich die Vorstellung, dass all jene, die sie nicht durch das wählen gehen unterstützen, Teil des Problems sein sollen, einfach nur lächerlich. Den Amerikanern wird beigebracht, dass sie „die Regierung sind“. Das geht zweifelsohne auf die Erklärung von Abraham Lincoln zurück, dass wir eine „Regierung des Volks, vom Volk und für das Volk“ haben würden. Angesichts dieses Missverständnisses im Hinblick auf den Staat in Verbindung mit der Tatsache, dass es keinen Bereich unseres Lebens gibt, der frei von staatlicher Einmischung ist, ist die logische Schlussfolgerung, dass die Wähler, also die „Regierung“, das Problem sind. Schließlich haben sie für all das ja gestimmt. Wenn sie nicht glücklich damit sind, wie die Wirtschaft gesteuert, die Umwelt missachtet oder die Justiz praktiziert wird – ja dann ist es in Wirklichkeit ihr Fehler, und den Nichtwählern ist daran überhaupt keine Schuld zu geben.
Natürlich sind „wir“ nicht die Regierung. Genau genommen ist die Bürokratie die wahre Regierung, da es sich bei ihr um den gigantischen Apparat handelt, der die Tagesoperationen des Leviathan ausführt, nicht irgendein unbekannter Kongressabgeordneter, der nur auf seine Diät aus ist und in einem Büro in Washington D.C. sitzt. Aber wie oben erwähnt, wird dem Staat durch die Wahl dieses unbekannten Kongressabgeordneten eine gewisse Glaubwürdigkeit verliehen. Ohne den Segen der Bevölkerung könnte sich die Regierung nicht auf einen Konsens berufen und ihre Autorität würde jeden Anschein der Legitimität verlieren. Das allein würde uns natürlich nicht von den Soziopathen in den Kapitolen dieser Welt befreien, aber es würde die Auffassung widerspiegeln, dass der Staat irrelevant ist.
Im Großen und Ganzen gehen die Menschen wählen, weil sie (fälschlich) der Annahme sind, dass es sich bei der Regierung um eine notwendige gesellschaftliche Einrichtung handelt. Sie sind nicht in der Lage, sich ein Land vorzustellen, das keiner Regierung bedarf, um für Gerichte oder Straßen zu sorgen, weshalb ihre einzige Option ihres Erachtens darin besteht, wählen zu gehen. Eine Bevölkerung, die den Staat ablehnt, wird aber auch die Vorstellung ablehnen, dass es sich bei der Wahl um eine Pflicht, ein Recht oder, so unglaublich das auch klingen mag, beides gleichzeitig handelt.
Es ist offenkundig, dass nicht jeder der Befragten ein Anarchist ist, der sich dafür entschieden hat, sich vom Staat loszusagen, aber die Studie enthüllt dennoch einige sehr ermutigende Daten. Beispielsweise sticht heraus, dass knapp die Hälfte aller Befragten nicht der Meinung sind, dass „es keinen großen Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern gibt.“ Wie viele nun genau der Auffassung sind, dass es überhaupt keinen echten Unterschied gibt, ist unklar, aber zu wissen, dass nur so wenige einen Unterschied sehen, ist für die Freiheit ein sehr positives Zeichen.
Einige andere Leckerbissen: 40% der Befragten erklärten, dass sie nicht wählen gehen, weil „meine Stimme sowieso keinen Unterschied macht.“ 60% der Befragten haben nur einfache High School Abschlüsse, was ein Hinweis darauf ist, dass eine geringe Verweildauer im Akademisch-Industriellen-Indoktrinations-Komplex mit einem geringeren Interesse, wählen zu gehen, in Zusammenhang stehen könnte. Weitere 60% sagten, die Wahlen würden sie nicht interessieren, da gewöhnlich „nichts dabei rumkomme“. Das stimmt aber nur zum Teil, da gewöhnlich nur nichts Gutes dabei rumkommt, von ein paar ganz seltenen Ausnahmen mal abgesehen.