Chriss Street, Testosteronepit.com, 02.08.2013
Völlig unbeschwert, fernab von der in der US-Verfassung festgeschriebenen Beschränkung eines Durchsuchungsbefehls haben diese netten Leute von der National Security Agency (NSA) mit Apple, Google und Microsoft gemeinsame Sache gemacht und sich während ihres anstrengenden Arbeitstags die Zeit genommen, all Ihre Party-Bilder von der Uni, Ihre intimen Briefe mit Ihrer Geliebten und die Finanzaktivitäten Ihres Unternehmens einzusammeln, um eine „permanente Akte“ zu erstellen, die irgendwann einmal gegen Sie verwendet werden kann.
Das ist lediglich die jüngste deprimierende Enthüllung über den Aufstieg des militärisch-industriellen Komplexes, die vom Informanten/Verräter Snowden zu vernehmen war, während er in Russland nun politisches Asyl erhielt.
Snowdens jüngste Enthüllungen legen offen, dass die NSA-Software „XKeyscore“ im Grunde „fast alles, was ein typischer Nutzer im Internet macht“, aufsaugt. Das streng geheime Programm erlaubt es zivilen Vertragsnehmern in den USA, riesige Datenbanken – die E-Mails, Online-Chats und die Browser-Historie von Millionen von Menschen auf der ganzen Welt enthalten – zu durchforsten. Die NSA prahlt in ihren eigenen Trainingsmaterialien damit, dass XKeyscore das „weitreichendste“ System zur Generierung geheimdienstlicher Daten im Internet ist.
Snowden war ja bereits die „meistgesuchteste Person auf dem Planeten“, doch nach den Enthüllungen vom Freitag dürfte er bei der Obama-Administration nun auch auf der geheimen Liste der meistgesuchtesten Personen im Universum stehen. Mit seinem neuen Rechtsstatus, Russland hat ihm Asyl gewährt, kann Snowden nun nicht mehr legal ausgeliefert oder von der CIA gekidnappt werden.
Snowden bleibt nach wie vor im Fadenkreuz und wird auch künftig weiter im medialen Scheinwerferlicht stehen müssen, um zu vermeiden, dass er aus Versehen in irgendeinem einsamen Versteck ermordet wird. Daher gehe ich auch davon aus, dass er weiterhin mit der internationalen Presse sprechen wird und noch wesentlich Schändlicheres bezüglich der Aushöhlung der Freiheitsrechte der Amerikaner zu sagen hat.
Snowdens jüngste Enthüllungen werden die heftige politische Abscheu von Obamas 18- bis 29-jährigem Wählerblock – der für seine (angesichts der schlimmsten Wirtschaftsperformance seit Präsident Herbert Hoover) doch recht wundersame Wiederwahl verantwortlich war – nur noch weiter anheizen. Diese Wählergruppe hat Obama bereits in den letzten sieben Wochen atemberaubende 17% der Zustimmung entzogen, da sie von Snowden darüber in Kenntnis gesetzt worden sind, dass sie von Big Brother angestarrt werden, wenn sie auf ihr Handy schauen.
Vom Timing her folgte Snowdens Enthüllung am Freitag auf die Anhörung leitender Geheimdienstbeamter vor dem Justizausschuss des US-Senats am Mittwoch sowie die formelle Veröffentlichung deklassifizierter Dokumente, mit denen auf frühere Snowden-Interviews der britischen Zeitung Guardian reagiert wurde.
Bei der Anhörung gestanden die leitenden Geheimdienstbeamten im Grunde ein, dass das berüchtigte FISA-Überwachungsgericht – das angeblich sicherstellen soll, dass der vierte US-Verfassungszusatz zum Schutz vor unbegründeten Überwachungen und Durchsuchungen ohne „hinreichenden Verdacht“ gewahrt wird – für Handys, Computer und Online-Aktivitäten gar nicht zuständig ist.
Die Obama-Administration, die Mitglieder des Geheimdienstausschusses des US-Kongresses und die NSA bestritten am Donnerstag weiterhin Snowdens kontroversestes Statement: „Ich sitze an meinem Schreibtisch und könnte jeden abhören, Sie, Ihren Buchhalter bis hin zu einem Bundesrichter oder selbst den Präsidenten, wenn ich eine persönliche E-Mail hätte.“
Aber Snowdens Enthüllung von Freitagmorgen scheint zu beweisen, dass er und tausende anderer NSA-Vertragsnehmer jeden Amerikaner abhören könnten.
In den Schulungsmaterialien für XKeyscore wird im Einzelnen dargelegt, wie Analysten das Programm nutzen könnten, um die riesigen NSA-Datenbanken zu durchforsten, wofür sie „am Rechner einfach bloß ein Kurzformular mit einer schwammigen Rechtfertigung für die Untersuchung ausfüllen müssten“ – ohne dass dafür ein Durchsuchungsbefehl eines Richters notwendig wäre.
XKeyscore stellt dann die technologischen Kapazitäten zur Verfügung, sofern die NSA die „Metadaten“ der E-Mail oder die IP hat, um eine „Digitale Netzwerküberwachung“ durchzuführen, die alle Arten der elektronischen Kommunikation abdeckt. In 2012 wurden während einer 30-tägigen Phase mittels XKeyscore mindestens 41 Milliarden Datensätze eingesammelt.
Wie sich nun herausgestellt hat, ist der komplexeste Aspekt von XKeyscore aber nicht die beeindruckende Technologie, die zum Einsatz kommt, sondern die geheime Zusammenarbeit von Konzernchefs bei Apple, Google, Microsoft und anderen in Amerika beheimateten Unternehmen mit der NSA. Diese Korporativisten haben einen Mega-Deal eingefädelt: Sie reichen die E-Mail- und IP-Adressen all ihrer Kunden an die NSA weiter und dürfen dafür im Gegenzug Arbeitnehmer und Steuerverbindlichkeiten ins Ausland verlagern.
In einem Versuch, das nicht zu rechtfertigende Ausspionieren der Amerikaner zu rechtfertigen, schrieb die NSA:
„Diese Arten von Programmen erlauben es uns, die Informationen zu sammeln, die es uns möglich machen, unsere Mission erfolgreich durchzuführen – die Nation zu verteidigen und die US-amerikanischen und alliierten Truppen im Ausland zu schützen.“
Ja, da ist vielleicht etwas Wahres dran, aber der Bombenanschlag in Boston fand trotzdem statt, und das obwohl es vom russischen Geheimdienst direkte Warnungen bezüglich militanter Aktivitäten des in Tschetschenien geborenen Tamerlan Tsarnaev gab, die ungehört verhallten.
Daniel Guérin warnte 1936 in seinem Buch „Fascisme et grand capital“, immer auf der Hut zu sein vor
„einer informellen und sich verändernden Koalition aus Gruppen, die bedeutende psychologische, moralische und materielle Interessen an der permanenten Weiterentwicklung und Aufrechterhaltung von hohen Bewaffnungsniveaus, dem Erhalt von Kolonialmärkten und militärisch-strategischer Konzeptionen bei internen Angelegenheiten haben.“
Präsident Eisenhower aktualisierte diese Botschaft dann noch einmal mit einer ähnlichen Warnung, wo er vor dem Aufstieg des „militärisch-industriellen Komplexes“ warnte. Und Edward Snowden hat die Botschaft nun abermals auf den neuesten Stand gebracht und warnt die Amerikaner davor, dass sie vor dem Aufstieg des „militärisch-geheimdienstlichen Komplexes“ auf der Hut sein sollten.