In ganz Europa breitet sich die politische Instabilität derzeit wie ein Flächenbrand aus, der von der mediterranen Peripherie bis zum teutonischen Kern reicht.

Don Quijones, Wolf Street, 11.12.2014

All die aufkeimenden Hoffnungen, dass bei der Euro-Krise Ruhe eingekehrt ist, wurden am Dienstag brutal zerschlagen. Der Athener Aktienmarkt brach aufgrund von Spekulationen innerhalb weniger Stunden um 13% ein – Spekulationen darüber, dass es in Griechenland zu vorgezogenen Präsidentschaftswahlen kommen wird, die abermals für politisches Chaos sorgen könnten. Es war der stärkste Tagesrückgang seit Dezember 1987; selbst 2010, als das Land um das erste Troika-Rettungspaket bat, mussten die griechischen Aktien keine derart massiven Tagesverluste wegstecken.

Am Mittwoch, als die Anleger immer noch blutend an der Seitenlinie lagen, gab die Athener Börse dann noch einmal einen Prozentpunkt nach, während die Rendite für 10-jährige griechische Staatsanleihen wieder über die Marke von 8% schoss.

Der Hauptgrund für die Panik: Die Anleger befürchten, dass das Scheitern des griechischen Parlaments, einen neuen griechischen Präsidenten zu bestätigen, zu Neuwahlen führen könnte – und das nachdem die Investoren nach der Rekord-Rettungsaktion ja gerade erst wieder in den Anleihemarkt zurückgekehrt sind. Sollte es tatsächlich zu Neuwahlen kommen, könnte die Anti-Austeritäts-Partei Syriza durchaus als deutlicher Sieger daraus hervorgehen, obwohl es dann wohl eine Mitte-Links-Koalition geben wird.

Und sollte Syriza gewinnen, würde Griechenland eine unabhängige Untersuchung und Restrukturierung seiner Schulden einleiten – das ist zumindest der Plan! Angesichts des Ausmaßes an Korruption im Land – Griechenland ist das EU-Land mit dem korruptesten staatlichen Sektor, so zumindest eine Studie der Europäischen Kommission –, ja wer kann da schon sagen, wie viele der Staatsschulden von den unabhängigen Prüfern als „verabscheuungswürdige Schulden“ deklariert werden!

[Die Rechtstheorie der verabscheuungswürdigen Schulden oder auch Dikatorenschulden besagt, dass Staatsschulden nichtig sind, wenn sie nicht zum Wohle des Volks eingesetzt wurden.]

Logisch, dass eine Nichtigerklärung der Staatsschulden in riesigem Umfang durch eine neue griechische Regierung ein Ereignis ist, das von den Investoren nicht gerade bejubelt wird – speziell vor dem Hintergrund, dass der Hauptinvestor Griechenlands die Troika ist. Daher auch das Finanzblutbad.

Noch beunruhigender ist die Tatsache, dass Griechenland – dessen Wirtschaft gerade einmal 1,5% des EU-BIP ausmacht – immer noch eine Bedrohung für die Wirtschaftsstabilität des weltgrößten Markts darstellt, und das obwohl das Land bereits das größte Rettungspaket aller Zeiten erhalten hat.

Und es geht ja hier nicht nur um die politischen Entwicklungen in Griechenland. In ganz Europa breitet sich die politische Instabilität derzeit wie ein Flächenbrand aus, der von der mediterranen Peripherie bis zum teutonischen Kern reicht.

In Spanien, der viertgrößten Wirtschaft der Eurozone, verlieren die beiden Regierungsparteien, die PSOE und die PP, immer mehr Unterstützer an „Podemos“, die Anti-Austeritäts-Partei von Pablo Iglesias. Genau wie bei Griechenland soll es sich bei Spanien ja auch um eine der seltenen europäischen Erfolgsgeschichten handeln, wo es in diesem Jahr angeblich zu einem BIP-Wachstum von 1% kommen soll.

Aber versuchen Sie das mal den Spaniern zu erzählen, von denen die meisten (und den meisten Griechen geht es da ähnlich) von der täglichen Dosis an Troika-Austerität, Arbeitslosigkeit auf Depressionsniveau sowie einer allesbeherrschenden politischen Kultur der Korruption und Straffreiheit die Nase voll haben, während ihnen zur selben Zeit erzählt wird, es würde aufwärts gehen.

Genau wie Syriza schlägt auch Podemos eine unabhängige Überprüfung der Staatsschulden vor. Darüber hinaus spricht sich die Partei für ein Grundeinkommen, eine Höchstgrenze für Manager-Gehälter, erhöhte Transparenz bei der Parteienfinanzierung, strengere Regulierungen bei der Lobbyarbeit, eine stärkere Unterstützung des Mittelstands und forschungsintensiver Branchen, die Schaffung einer nationalen Investitionsbank und die Wiederverstaatlichung strategischer Sektoren wie dem Telekommunikationssektor, den Energiebetrieben und den einst im Staatsbesitz befindlichen Sparkassen aus.

Angesichts des Ausmaßes des Betrugs der beiden großen spanischen Parteien verwundert es kaum, dass die Wähler nun anderswo Ausschau halten – auch wenn die Versprechungen von Podemos für ein Land, das in einer riesigen Währungsunion gefangen ist, völlig impraktikabel sind. Mit anderen Worten: Die Wähler haben genug vom Status Quo. Und das gilt nicht nur für Spanien und Griechenland, sondern für den gesamten europäischen Kontinent.

In Frankreich ist es die radikale Rechte, die gerade ihren Aufstieg erlebt – der Front National unter Marine Le Pen zieht immer mehr enttäuschte Wähler an und bietet ihnen einen verwirrenden Cocktail an politischer Versprechungen, die von der Abschaffung des Euros bis hin zu einer stärkeren staatlichen Kontrolle der Banken und dem Ende der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik reichen.

Laut aktueller Umfragen würde Le Pen den amtierenden Präsidenten Hollande in einem Kopf-an-Kopf-Rennen ausstechen. Brüssel fürchtet sich mittlerweile so sehr vor den Wahlchancen von Le Pen, dass es nun alle Sanktionsmaßnahmen gegenüber Frankreich, die aufgrund der Verstöße gegen die Haushaltsregeln der EU angezeigt wären, auf Eis gelegt hat.

Und an der nördlichen Peripherie Europas wankt die schwedische Mitte-Links-Regierung am Rande des Zusammenbruchs, und das gerade einmal zwei Monate nach Amtsantritt, nachdem eine Rechtspartei jetzt erklärte, dass sie gegen den Haushaltsentwurf für das nächste Jahr stimmen würde.

Und selbst in Deutschland – der Sugar-Daddy-Wirtschaft der Eurozone – ändert sich die politische Landschaft gegenwärtig, wie Ambrose Evans Pritchard meldete:

„Der Aufstieg der euroskeptischen Alternative für Deutschland (AfD) sorgt in der ganzen Eurozone für heftige Kopfschmerzen und zwingt die Kanzlerin Angela Merkel, bei der europäischen Politik eine härtere Linie zu fahren, wodurch das Risiko besteht, dass die Krise in eine völlig neue Phase eintreten könnte. ´Bis vor kurzem war in Deutschland keine offen euroskeptische Partei in der Lage, die Gegner europäischer Rettungsaktionen zu sammeln. Doch diese komfortable Position scheint nun vorbei zu sein´, heißt es dazu in einer Einschätzung von Standard & Poor´s.“

Der langsame Zerfall des politischen Konsenses in Europa hält also unvermindert an. Und hierbei geht es nicht bloß um den Aufstieg der sogenannten populistischen Parteien in Europa, sondern es geht um das Entstehen einer massiven Spaltung, wie die Menschen zweier unterschiedlicher europäischer Regionen die Zukunft des Kontinents wahrnehmen. Im Süden fängt eine neue Generation politischer Parteien unzufriedene Wähler mit dem unmöglichen Traum einer neuen austeritätsfreien Realität ein, während diejenigen, die dafür zahlen sollen – also die Europäer im Zentrum um im Norden –, immer schneller das Interesse daran verlieren, das europäische Projekt überhaupt zu finanzieren.

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