Die gesamte Welt steht zurzeit einer beispiellosen Schuldenkrise gegenüber und Europa befindet sich im Zentrum derselbigen. Die europäischen Politiker behaupten zwar, die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands würde keine Ansteckungseffekte mit sich bringen, doch zeigt sich bei genauerem Hinsehen, dass diese Beteuerungen reiner Schwachsinn sind. Die Ansteckung ist real und wird eine ganze Reihe weiterer europäischer Länder mit in den Abgrund reißen
John Mauldin, Millenium Wave Advisors, 09.03.2012
Die International Swaps and Derivatives Association (ISDA) hat am Freitag verkündet, dass Griechenland offiziell zahlungsunfähig ist. Die ISDA ist ein Ausschuss der Derivate-Branche, der sich aus 15 Mitgliedern zusammensetzt. Diese Mitglieder sind die größten Banken und Derivate-Käufer – die üblichen Verdächtigen also… Es gibt einige Dinge, die man bezüglich dieser Entscheidung wissen sollte.
1. Die Annahme, die ISDA sei die maßgebliche Instanz, welche letztlich darüber entscheidet, ob ein Land nun bankrott ist oder nicht, ist so nicht richtig. Das kann zwar so sein, muss aber nicht. Kreditausfallversicherungen (CDSs) sind Verträge zwischen zwei privaten Vertragsparteien. Dafür gibt es einen standardisierten Rahmenvertrag.
Und obwohl die meisten Kreditausfallversicherungen in der Tat die ISDA als entscheidende Instanz benennen, die über die Zahlungsunfähigkeit eines Landes zu befinden hat, gibt es viele CDS-Kontrakte, wo dies nicht der Fall ist. Einige Experten erklärten meinen Kunden, dass sie ein Problem damit haben, eine über Eigeninteressen verfügende Branchen-Gruppe als finalen Schiedsrichter auszuwählen, und in den Kontrakten daher besser genau definiert werden sollte, wie eine Zahlungsunfähigkeit aussieht …
Man muss nun kein Finanzexperte sein, um zu begreifen, dass, wenn man sein Geld nicht zurückbekommt, irgendeine Art der Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Hätte die ISDA die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands nicht anerkannt, wäre sie bei der Ausgestaltung künftiger Derivate-Kontrakte in der Bedeutungslosigkeit versunken. Es dürfte interessant sein zu beobachten, wie diese Derivate künftig strukturiert sein werden.
2. In der Presse taucht immer wieder die Behauptung auf, dass sich die Kreditausfallversicherungen für griechische Staatsschulden gerade einmal auf USD 3 Milliarden belaufen würden. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn in Wirklichkeit handelt es sich bei diesen USD 3,2 Milliarden an griechischen CDS-Papieren lediglich um die Nettosumme. Die Bruttosumme dieser Derivate wird auf USD 60 Milliarden bis USD 70 Milliarden geschätzt, so der Chef-Stratege von BTIG Dan Greenhaus. Zurzeit weiß man von 4.323 Kontrakten.
Und obwohl die Netto-Risiken wahrscheinlich unter den genannten USD 3,2 Milliarden liegen – außer die griechischen Schulden werden komplett auf null gesetzt – ist das nur die halbe Wahrheit. Nehmen wir beispielsweise die im österreichischen Staatsbesitz befindliche „Bad Bank“ KA Finanz, die aufgrund der ganzen Schuldenrestrukturierungsmaßnahmen der Griechen mit Verlusten von EUR 1 Milliarde rechnen muss. Dieser Verlust (der durch den österreichischen Steuerzahler getragen wird) ist der Gewinn von jemand anderem. Der Nettobetrag interessiert dabei überhaupt nicht – sie verlieren alles, über ein Drittel der erwarteten Gesamtverluste.
Jede Bank, jeder Hedge Fonds, jede Versicherungsfirma und jeder Pensionsfonds ist hier zunächst einmal auf sich alleine gestellt. Und wer traut sich hier schon auf den Ausgang des Ganzen zu wetten? Ich würde sagen, dass am Ende Verluste in Höhe von USD 30 Milliarden anfallen werden, während irgendjemand anders Gewinne in Höhe von USD 27 Milliarden einfährt.
Wird die Gegenpartei, die die Zahlungsverpflichtung des CDS-Kontrakts hält, in der Lage sein, zu zahlen? Wird der Steuerzahler so nett sein wie die Österreicher? Glaubt jemand, dass der Steuerzahler einen Hedge Fonds retten wird, der seine Schulden nicht begleichen kann, weil er Versicherungen verkauft hat, die im Rahmen einer Zahlungsunfähigkeit schlagend werden?
Wenn es tatsächlich nur um die USD 3 Milliarden an Verlusten ginge, die die größten Verlierer unter sich aufteilen müssten, wäre es angesichts der Zahlen, mit denen heutzutage hantiert wird, eine recht triviale Angelegenheit.
Also, wird Griechenland das System nun so unter Druck bringen wie in 2008? Nein, das ist unwahrscheinlich, da die europäischen Steuerzahler bereits EUR 100 Milliarden aufgebracht haben, um die griechischen Schulden zu decken, und die Europäische Zentralbank über EUR 1 Billion gedruckt hat, um alle auftauchenden Schuldenkrisen ein kleines Stück in die Zukunft zu verlagern.
Die entscheidende Frage ist: Wie viele andere Euroländer werden ebenfalls eine Schuldenrestrukturierung durchführen müssen?
Die politischen Entscheidungsträger in Europa beteuern mit aller Entschiedenheit, die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands sei in keinster Weise ein Hinweis darauf, dass eine solche Entwicklung nun auch in einem anderen Euroland denkbar wäre.
Schauen wir im Folgenden kurz auf Spanien. Kiron Sarkar schrieb zu Beginn dieses Monats:
„Spanien beschloss einseitig, dass sein Haushaltsdefizit in 2012 bei 5,8% des BSP liegen wird, also bedeutend höher ausfällt als die zuvor mit der EU vereinbarten 4,4%. In 2011 lag das Haushaltsdefizit bei 8,5%, und auch hier war es höher als die Zielvorgabe von 6%. Eine ´Diskussion` zwischen Spanien und der EU ist unvermeidlich, speziell weil Spanien darauf beharrt, seine Forderungen durchzusetzen.
Das ist eine ziemlich interessante Entwicklung, da sie an dem Tag bekannt wurde, wo 25 der 27 EU-Länder (außer Großbritannien und Tschechien) einen ´Fiskalpakt` unterzeichneten, durch den – nachdem er durch die Parlamente der einzelnen Länder ratifiziert wurde (in Irland bedarf es eines Referendums) – eine von den Deutschen initiierte ´Schuldenbremse` in den Verfassungen festschreiben wird. Die 25 EU-Länder versprechen im Grunde, ihre Kreditaufnahme zu reduzieren und ihre Haushalte auszugleichen.
Die spanische Arbeitslosenrate explodierte im Februar um massive 2,4%. Die Jugendarbeitslosigkeit (Arbeitnehmer unter 25 Jahren) liegt nun bei über 50% – ja Sie haben richtig gelesen. Die EU hat eine enorme Aufgabe vor sich. Sollte die EU gegenüber Spanien Zugeständnisse machen, kann man davon ausgehen, dass Portugal, Irland und all die anderen Euroländer ihre eigenen ´Forderungen` überbringen werden.
Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie Spanien in der Lage sein soll, seine eigenen Zielvorgaben einzuhalten. Die offizielle BSP-Prognose wurde bereits von -1,0% auf -1,7% abgesenkt, und das tatsächliche Ergebnis dürfte am Ende wahrscheinlich eher den pessimistischeren Prognosen entsprechen oder diese gar übertreffen.“
Und in Portugal sieht es auch nicht viel besser aus. Lew Rockwell schrieb vor ein paar Tagen:
„Die Lage in Portugal spitzt sich immer weiter zu. Jetzt wird bereits darüber gesprochen, dass die privaten Investoren auch bei portugiesischen Staatsanleihen mit einem Schuldenschnitt zur Kasse gebeten werden sollen. Das Folgende stammt aus einem Artikel des Telegraph, der Ende Januar veröffentlicht wurde:
´In einem Bericht des Kieler Instituts für Weltwirtschaft heißt es, dass Portugal jedes Jahr beim Primärhaushalt ein Überschuss in Höhe von 11% des BSP vorweisen müsste, um zu verhindern, dass die Schuldendynamik völlig außer Kontrolle gerät – und das selbst im Falle eines harmlosen Szenarios mit 2% jährlichem Wirtschaftswachstum.
<<Portugals Schulden sind untragbar. Das ist die einzig mögliche Schlussfolgerung>>, so David Bencek, ein Mitautor des Berichts, der davor warnt, dass ein Land langfristig nicht in der Lage sei, beim Primärhaushalt Überschüsse von über 5% zu erzielen.
<<Wir wissen nicht, was der Auslöser sein wird, aber wenn es bei den Griechen erst einmal eine Entscheidung gibt, werden die Leute damit anfangen, sich die Sache genau anzuschauen, und feststellen, dass sich Portugal in derselben Situation wie Griechenland vor einem Jahr befindet.>>`
Bedauerlicherweise trifft der Artikel des Telegraph genau ins Schwarze. Portugal befindet sich zurzeit auf demselben Weg, den Griechenland bereits entlang marschierte. Die Rendite für die 5-jährige portugiesische Staatsanleihe liegt zurzeit auf einem Allzeithoch von [22,87% am 30.01.2012]. Vor einem Jahr rentierten diese Papiere noch mit rund 6%. Das ist dieselbe Entwicklung, die auch in Griechenland stattfand. Vor einem Jahr rentierte die 5-jährige griechische Staatsanleihe mit rund 15%. Jetzt rentiert das Papier bei über 50% [61,2% am 12.03.2012].“
Die Welt ist zurzeit mit einer in der Menschheitsgeschichte beispiellosen Schuldenkrise konfrontiert – und Europa befindet sich mitten im Zentrum dieser Krise.
Italien kann sich aus dem Abwärtsstrudel befreien –dafür bedarf es jedoch der Hilfe der Europäischen Zentralbank, die Schulden zu niedrigeren Zinsen ausgeben muss, als sie von den Märkten zurzeit angeboten werden. Doch wenn man bei Italien Zugeständnisse macht, muss dasselbe dann nicht auch für Spanien und Portugal gelten?
Und während die Wirtschaften in Spanien und Portugal bedeutend schlechter dastehen als die italienische, sind die Schulden/BSP-Verhältnisse auf der iberischen Halbinsel bei Weitem nicht so schlecht wie das Italiens.
Von Frankreich will ich hier garnicht sprechen. Frankreich wird sich bis Mitte dieses Jahrzehnts in eine Krise biblischen Ausmaßes verwandelt haben. Ich will hier nur anmerken, dass Frankreich nicht Griechenland ist. Frankreich ist viel zu groß, als dass man es retten könnte. Frankreich wird die ganze Situation über den Haufen werfen, wenn es in seine eigene Problemphase eintaucht. Und die Wahl von Hollande wird daran überhaupt nichts ändern.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, wie die europäischen Länder ihre Defizite unter Kontrolle bekommen und damit anfangen können, ihre Schulden/BSP-Verhältnisse zu senken. Entweder ihr Bruttosozialprodukt wächst schneller als ihre Schulden oder sie reduzieren die Schulden.
Doch wie soll Spanien mit einer Arbeitslosigkeit von 20% und einem prognostizierten Haushaltsdefizit von 6% stark genug wachsen? Das wird in den nächsten paar Jahren mit Sicherheit nicht passieren.
Portugal hat mit denselben Problemen zu kämpfen. Die Austerität hat dort bereits ein Niveau erreicht, das das Wirtschaftswachstum zunehmend unwahrscheinlicher werden lässt, während weitere Kreditaufnahmen zwangsläufig zu Renditeanstiegen führen werden – außer die Europäische Zentralbank oder Europa ist bereit, die nördlichen Länder für die Rettung der Südländer zu besteuern. So, und nun versuchen Sie mal, das Ihrer Wählerschaft im Wahlkampf zu verkaufen!
Die Krise konnte verhindert werden, für den Augenblick zumindest – doch nur, weil die europäischen Politiker bereit sind, ihre Steuerzahler zur Kasse zu bitten und die Europäische Zentralbank einfach Geld drucken zu lassen. Dafür sollten die USA und der Rest der Welt in der Tat dankbar sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass es in den USA dieses Jahr zu einer Rezession kommt, nimmt ab, da die EU-Krise in der Tat zum Auslöser einer derartigen Wirtschaftsabschwächung in den USA hätte werden können.
Doch machen wir uns nichts vor: Die Staatschuldenkrise ist noch lange nicht vorbei – weder in Europa, noch in Japan oder den USA. Wir befinden uns aktuell lediglich in einer Ruhephase. Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit dem Spruch: „Die Märkte sagen uns, dass die Krise vorbei ist.“
Der Markt weiß bedeutend weniger, als zahlreiche Experten vermuten. Was wusste der Markt denn Mitte 2007? Nicht sehr viel, und das obschon die Warnhinweise überdeutlich aufblinkten, zumindest für einige von uns.
Traurig aber wahr: Der Fokus der Krise wird jetzt auf andere europäische Länder übergehen. Die wirtschaftlichen Daten der anderen Länder an der Peripherie der Eurozone sind auch nicht viel besser als die von Griechenland vor ein paar Jahren. All die Behauptungen und Beteuerungen der europäischen Politiker sind ebenfalls dieselben wie vor ein paar Jahren.
Die europäischen Schulden liegen zurzeit bei 443% des BSP – und somit weit über den 350% der USA. Die europäischen Banken arbeiten mit einem Fremdkapitalhebel von 30:1, das ist mindestens doppelt so hoch wie bei den US-Banken, und die sind schon kaputt genug.
Wir befinden uns im Endspiel. Und ja, es wird zur Ansteckung kommen.