Interview mit Dr. Paul Craig Roberts, dem früheren stellvertretenden US-Finanzminister, Mitherausgeber des Wall Street Journal und Professor für politische Wirtschaft des Center for Strategic and International Studies an der Georgetown University Washington DC.

Dr. Paul Craig Roberts, Global Research, 03.06.2010

Frage: Dr. Roberts, die Vereinigten Staaten werden als der erfolgreichste Staat in der heutigen Zeit angesehen. Was ist für den amerikanischen Erfolg verantwortlich?

Dr. Roberts: Propaganda. Wenn die Wahrheit bekannt wäre, würde es sich bei den USA um einen gescheiterten Staat handeln. Mehr dazu später. Die USA verdankt ihr erfolgreiches Bild (1) ihrer riesigen Landflächen und Bodenschätze, die durch die USA gewaltsam von den Ureinwohnern „befreit“ wurden, (2) Europas Selbstzerstörung, besonders die Großbritanniens, im Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg, (3) der wirtschaftlichen Zerstörung Russlands und weiten Teilen Asiens durch Kommunismus bzw. Sozialismus.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen die USA die Rolle der Reservewährung von Großbritannien. Das machte den US-Dollar zur Weltwährung und erlaubte es den USA ihre Rechnungen für Importe mit der eigenen Währung zu begleichen. Die Zerstörung anderer industrialisierter Länder im Zweiten Weltkrieg machte die USA zu dem einzig verbliebenen Land, welches in der Lage war die Weltmärkte mit Produkten zu versorgen. Dieser glückliche historische Umstand erweckte unter den Amerikanern den Eindruck, dass es sich bei ihnen um begünstigte Menschen handelt. Heute sprechen die neokonservativen Militaristen über die Vereinigten Staaten als einer „unersetzlichen Nation“. Mit anderen Worten stehen die Amerikaner über allen Anderen, außer natürlich den Israelis.

In den Augen der Amerikaner reicht eine vage „terroristische Bedrohung“, eine Erfindung ihrer eigenen Regierung, als Rechtfertigung für offene Aggression gegen muslimische Menschen und eine Agenda der Vorherrschaft in der Welt völlig aus.

Diese anmaßende Einstellung erklärt, warum es unter den meisten Amerikanern wegen der über eine Million getöteten und vier Millionen vertriebenen Iraker keine Reue gibt, welche die US-Invasion und die Besatzung, die komplett auf Lügen und Täuschung basierten, zur Folge hatten. Es erklärt, warum es unter den Amerikanern keine Reue für die zahllosen Afghanen gibt, die vom US-Militär unbekümmert ermordet wurden oder für die pakistanischen Zivilisten, die durch US-Drohnen und vor dem Bildschirm sitzenden „Soldaten“ ermordet wurden. Es erklärt, warum es keinen Aufschrei unter den Amerikanern gibt, wenn Israelis Zivilisten im Libanon und in Gaza bombardieren. Keiner auf der Welt wird glauben, dass der jüngste Akt israelischer Barbarei, der mörderische Angriff auf eine internationale Flottille mit Hilfsgütern, die sich auf den Weg in Richtung Gaza befand, nicht mit Israels amerikanischen Möglichmachern abgeklärt wurde.

Frage: Sie sagen, die USA wären ein gescheiterter Staat. Wie kann das sein? Was meinen Sie?

Dr. Roberts: Der Krieg gegen den Terror, den das Regime unter George W. Bush/Dick Cheney erfand, zerstörte die Verfassung der USA und die Bürgerrechte, die von der Verfassung verkörpert werden. Die Freiheitsurkunde ist in Luft aufgelöst worden. Das Obama-Regime hat den Bush/Cheney-Anschlag auf die amerikanische Freiheit institutionalisiert. Heute hat kein Amerikaner irgendwelche Rechte mehr, wenn er oder sie „terroristischer“ Aktivität beschuldigt wird. Das Obama-Regime hat die vage Definition der „terroristischen Aktivität“ auf „inländischen Extremismus“ ausgeweitet, eine weitere, nicht näher beschriebene vage Kategorie nach Gutdünken der Regierung. Kurz gesagt ist Jeder ein „Terrorist“ oder ein „inländischer Extremist“, der gegen eine Politik oder Maßnahme ist, die von der US-Regierung für ihre Agenda der Vorherrschaft in der Welt als notwendig erachtet wird.

Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern bestehen die USA nicht aus einer ethischen Gruppe. Es ist eine Ansammlung unterschiedlicher Menschen die unter einer Verfassung vereint sind. Als man die Verfassung zerstörte, hörten auch die USA auf zu existieren. Was heute existiert, sind Machtzentren, die sich der Rechenschaftspflicht entzogen haben. Die Wahlen bedeuten überhaupt nichts, da beide Parteien von denselben mächtigen Interessengruppen über die Wahlkampffinanzierungen abhängig sind. Die mächtigste Interessengruppe ist der militärische/sicherheitstechnische Komplex zu dem das Pentagon, die CIA, die ihnen dienenden Unternehmen, der Ausschuss für amerikanisch-israelische Angelegenheiten, die gerade den Golf von Mexiko zerstörende Ölindustrie, Wall Street (Investmentbanken und Hedge Fonds), die Versicherungsunternehmen, die Pharmaunternehmen und die Lebensmittel mit fragwürdigen Inhalt produzierenden Landwirtschaftsunternehmen gehören.

Diese unternehmerischen Mächte stellen eine Oligarchie dar, die durch Wahlen nicht verdrängt werden kann. Spätestens seit der „Globalismus“ zum Gesetz erhoben wurde, sind die Demokraten von derselben Einkommensquelle abhängig gewesen wie die Republikaner, da der Globalismus die Gewerkschaften zerstörte. Demzufolge gibt es zwischen den Republikanern und den Demokraten keinen Unterschied, oder keinen bedeutenden Unterschied.

Der „Krieg gegen den Terror“ vollendete das konstitutionelle/rechtliche Scheitern der USA. Die USA scheiterte auch wirtschaftlich. Unter dem Druck Wall Streets kurzfristige Gewinne zu machen, haben die US-Unternehmen ihre Produktion für die US-amerikanischen Verbrauchermärkte ins Ausland verlagert. Das Ergebnis war, dass dadurch das Bruttosozialprodukt der USA und Millionen gut bezahlter US-Arbeitsplätze in Länder wie China und Indien ausgelagert wurden, wo Arbeit und fachliche Expertise billig sind. Diese Praxis findet seit ungefähr 1990 statt.

Nach 20 Jahren des Outsourcings der US-Produktion, das zur Zerstörung amerikanischer Arbeitsplätze und der Steuergrundlage für die Bundesregierung, die Bundesstaaten und die Gemeinden führte, beläuft sich die US-Arbeitslosenrate, mit den Methodik des Jahres 1980 gemessen, auf über 20%. Die Leitern der Aufwärtsmobilität sind zerstört worden. Millionen junge Amerikaner mit Universitätsabschlüssen sind als Kellner und Barkeeper beschäftigt. An US-Universitäten erreichen die Einschreibungen von Ausländern einen immer höheren Anteil, während die amerikanische Bevölkerung feststellt, dass ein Universitätsabschluss durch die Verlagerung der Arbeitsplätze ins Ausland, mit denen die Graduierten gerechnet hatten, entwertet wurde.

Wenn die ausgelagerte US-Produktion als US-Import wieder ins Land zurückkehrt, zerstört das die Handelsbilanz. Ausländer verwenden ihre überschüssigen Dollars um bestehende US-Vermögenswerte zu erwerben.

Infolgedessen gehen die Dividenden, Zinsen, Kapitalerträge, Mauteinnahmen, Mieten und Gewinne nun an die ausländischen Eigentümer und erhöhen damit den Druck auf den US-Dollar. Die USA ist in der Lage gewesen den anwachsenden Berg ausländischer Forderungen aus dem US-Bruttosozialprodukt zu überleben, da es sich beim US-Dollar um die Reservewährung handelt. Der Druck, den die großen US-Haushalts- und Handelsdefizite auf den Dollar ausüben, wird jedoch zu massiv werden um seine Rolle aufrecht zu erhalten. Wenn der Dollar scheitert, wird die US-Bevölkerung verarmen.

Die USA sind extrem verschuldet, das gilt für die Regierung wie auch für die Bürger. Innerhalb des letzten Jahrzehnts war beim Familieneinkommen kein Wachstum zu verzeichnen. Die US-Wirtschaft wurde durch die Erhöhung der Konsumentenschulden aufrecht erhalten. Jetzt sind die Konsumenten so stark verschuldet, dass sie keine weiteren Gelder mehr aufnehmen können. Das bedeutet, dass der Hauptantriebsmotor der US-Wirtschaft, die Verbrauchernachfrage, nicht mehr zunimmt. Da die Verbrauchernachfrage 70% der Wirtschaft repräsentiert, kann es auch keine Erholung geben, wenn die Verbrauchernachfrage nicht ansteigt.

Die USA sind ein gescheiterter Staat, weil die Unternehmen bzw. die Regierung dem Volk gegenüber in keinster Weise rechenschaftspflichtig sind, sei es nun auf föderaler, bundesstaatlicher oder lokaler Ebene. British Petroleum zerstört gerade den Golf von Mexiko. Die US-Regierung hat nichts unternommen. Die Reaktion des Obama-Regimes auf die Krise ist noch verantwortungsloser als die Reaktion des Bush-Regimes auf den Wirbelsturm Katrina. Die Sumpfgebiete und Fischgründe werden gerade durch unkontrollierte kapitalistische Gier und eine die Umwelt verächtlich behandelnde Regierung zerstört. Die Tourismusindustrie von Florida wird gerade zunichte gemacht. Als Ergebnis des Versagens des amerikanischen Staats zerstört die Ölindustrie gerade eins der wertvollsten Ökosysteme auf dem Planeten.

Frage: Was kann getan werden?

Dr. Roberts: Das amerikanische Volk hat sich in einer Fantasiewelt verloren. Sie haben keine Ahnung, dass sie ihre Bürgerrechte eingebüßt haben. Sie lernen nur allmählich, dass ihre wirtschaftliche Zukunft gefährdet ist. Sie haben kaum eine Vorstellung von dem anwachsenden Hass der Welt auf Amerika, wegen seiner Zerstörung anderer Menschen. Kurz gesagt, die Amerikaner sind von sich selbst eingenommen. Sie haben überhaupt keine Ahnung von den Katastrophen, die sie durch ihre Ignoranz und Unmenschlichkeit über sich selbst und über die Welt gebracht haben.

Weite Teile der Welt schauen auf ein Land, das sowohl dumm als auch unmenschlich zu sein scheint und wundern sich über die feine Meinung, die Amerikaner über sich selbst haben. Handelt es sich bei Amerika um die tugendhafte „unersetzliche Nation“ neokonservativer Propaganda oder ist Amerika eine Plage für die Welt?

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